Hören Sie hier die ganze "Religionen"-Sendung vom 18. Juni 2017:
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Pioniere des interreligiösen Dialogs
Das Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur kommt an Sonn- und Feiertagen von Sikhs, Bahai, Buddhisten oder kleinen christlichen Gemeinschaften. Sie alle haben sich zusammengeschlossen in der Arbeitsgemeinschaft der Kirchen und Religionsgesellschaften in Berlin (AKR), die 1947 gegründet wurde.
Martin Schröder: "Kein Weltfriede ohne Religionsfriede – das ist bei uns natürlich täglich praktiziert. Wir versuchen, mit den anderen Gemeinschaften in Frieden zu leben und mehr dazu, ihnen selber auf ihrem Weg weiterzuhelfen. Ich nehme das gern als Beispiel: Ich bin mal um eine Beratung gebeten worden von einer jungen Frau, die mit einem Kind kam, und die übel misshandelt worden war in einer anderen Religionsgemeinschaft. Sie war an den Unitariern interessiert. Zum Schluss ist sie bei den Quäkern gelandet."
Martin Schröder ist Pfarrer der Unitarischen Kirche in Berlin, einer Kirche, die das christliche Dogma der Dreifaltigkeit ablehnt, an den einen Gott für alle Menschen glaubt – und auf jegliche Mission verzichtet. Zugleich ist Schröder seit zwölf Jahren Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Kirchen und Religionsgesellschaften, kurz AKR. 1947 wurde sie auf Initiative des evangelischen Landesbischofs Otto Dibelius gegründet. Unter den Nationalsozialisten waren nicht nur Juden verfolgt worden, sondern auch Angehörige kleiner religiöser Gemeinschaften. Ihre Kirchen wurden verboten, ihr Besitz beschlagnahmt, zahlreiche Geistliche und Gläubige inhaftiert. Nach dem Krieg gründeten sie ihre Kirchen neu – und suchten die Öffentlichkeit.
Martin Schröder: "Es ist die alte KZ-Erfahrung, die viele Mitglieder, die beigetreten sind, mitgebracht haben, nämlich nicht zu fragen, was das Trennende an ihren Religionen sei sondern eher das Verbindende. Und so haben sie auch keine Unterschiede gemacht zwischen sogenannten Sektierern und sozusagen regulären Christen. Jeder war willkommen, einzige Bedingung war, er möchte mitmachen."
Ungeachtet ihrer Größe verfügt heute jede Glaubensgemeinschaft über eine Stimme in der AKR. Große Gemeinschaften wie die Evangelische Kirche Deutschlands, die Römisch-katholische Kirche, die Islamische Gemeinde und die Jüdische Gemeinde Berlins stehen noch auf der Mitgliederliste. Aber diese Großen bestimmen heute nicht mehr das Wirken der Arbeitsgemeinschaft:
"Formal sind wir an die 20 Gemeinschaften, denn Rücktritte müssen ja auch formell erklärt werden, aber das tun viele auch wieder nicht. De facto: wir sind immer so zwischen zwölf, vierzehn Gemeinschaften, die hier aktiv sind."
Und das sind vor allem kleine Gemeinschaften. Etwa die Altkatholiken – Katholiken, die sich 1870 nach dem 1. Vatikanischen Konzil von der römisch-katholischen Mutterkirche abgespalten haben, weil sie das Unfehlbarkeitsdogma des Papstes nicht anerkennen wollten. Mit dabei ist auch die Johannische Kirche, die nicht nur die Bibel, sondern auch die Offenbarung ihres Religionsstifters Joseph Weißenberg als Heilige Schrift verehrt.
Was glauben die anderen?
Auch die Mormonen sind in der AKR vertreten, die Christliche Wissenschaft und die Bahai, Anhänger einer im 19. Jahrhundert in Persien entstandenen Religion, deren Stifter Baha'ulla die mystische Einheit aller Religionen verkündete. Im Rahmen der AKR erhalten alle Gemeinschaften die Möglichkeit, sich selbst darzustellen – sei es in Publikationen wie dem Sammelband "Was glauben die anderen?", dessen erste Auflage bereits 1954 erschien, sei es in Veranstaltungen der Berliner Volkshochschulen.
Andreas von Wehren: "Ein Leitsatz für unsere Arbeit ist auch heute noch ein Satz aus der Präambel, der heißt: 'Getragen von dem Willen, in gegenseitiger Achtung ihrer Eigenständigkeit für die Werte und die Freiheit religiösen Wirkens gemeinsam einzutreten, bilden Kirchen und Religionsgemeinschaften eine Arbeitsgemeinschaft.'"
Andreas von Wehren ist Pfarrer der Christengemeinschaft, die die anthroposophische Lehre Rudolf Steiners zur Auslegung der Bibel heranzieht. Wegen theologischer Vorbehalte wird die Christengemeinschaft von den großen Kirchen nicht als Teil der Ökumene anerkannt. Die AKR hingegen bewertet die Glaubensinhalte ihrer Mitglieder nicht, sagt Petra-Beate Schildbach. Sie ist Delegierte der Sufi-Bewegung bei der AKR. Diese Bewegung erkennt sufistische Weisheit in allen Religionen, womit sie sich vom islamischen Sufismus abgrenzt. Schildbach sagt, die Arbeit in der AKR setze hundertprozentige Toleranz voraus:
"Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, den wir immer wieder versuchen, durchzutragen. Wenn dann jemand sagt: 'Die haben aber das und das.' Dann sagen wir: 'Das wollen wir hier aber nicht vertiefen.' Sondern wir wollen hier jedem die Gelegenheit geben, sich selbst darzustellen und die Auswertung, das überlassen wir dann den anderen."
Martin Schröder: "Das einzige Kriterium ist im Grunde genommen die Position in der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Wir haben deshalb eine Ausnahme auch, wir haben systematisch abgelehnt das Aufnehmen von Scientology. Diese Organisation schien uns nicht demokratisch begründet und wir wollten sie nicht in unseren Reihen haben."
Ergänzt Pfarrer Schröder. Den von der AKR propagierten Verzicht auf die Einordnung der Glaubenslehren sieht Reinhard Hempelmann kritisch. Der Theologe arbeitet für die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, die sich mit den Entwicklungen der Glaubenslandschaft in Deutschland befasst:
"Ich halte das für sehr nachvollziehbar, dass man so etwas macht, ich glaube allerdings schon, dass man natürlich im praktischen Leben, auch im praktischen Zusammenleben ohne Urteilsbildungen zu religiösen Gemeinschaften nicht ganz auskommt."
Ihr Engagement in der AKR lässt die Evangelische Kirche seit einigen Jahren ruhen, weil sie sich dort unterrepräsentiert fühlt, aber auch, weil sie andere Schwerpunkte in ihrer Arbeit setzt. Sie will vor allem die Ökumene stärken:
"Im ökumenischen Dialog gibt es einen gemeinsamen Bezug auf die biblische und christliche Tradition, auf das Bekenntnis zu dem dreieinigen Gott. Sie versuchen die christliche Sendung zu praktizieren, im Nächstendienst, in der Diakonie ..."
Für ein friedvolles Zusammenleben aller Religionen
Trotzdem, sagt Hempelmann, schätze man die Pionierarbeit der AKR und ihr Anliegen, für ein friedvolles Zusammenleben aller Religionen zu werben.
"Man kann sicher anerkennend sagen, bereits nach dem Krieg hat sich ja fast niemand für das Thema interreligiöser Dialog interessiert. Gleichwohl kann man sagen, dass heute natürlich so ein Themenbereich Dialog der Religionen, der Weltanschauungen zu einem sehr zentralen Thema der Politik, natürlich auch der Religionsgemeinschaften selbst, der Kirchen und auch der Gesellschaft geworden ist."
70 Jahre nach Gründung der AKR ist der Kreis der Akteure, die an interreligiösen Diskursen teilnehmen, wesentlich erweitert. Viele der neuen Akteure verfügen zudem über größere Ressourcen, bieten moderne Veranstaltungsformate an und erreichen damit eine breite Öffentlichkeit: So initiierte die Berliner Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten im Jahr 2011 den "Berliner Dialog der Religionen", aus dem im Jahr 2014 das "Berliner Forum der Religionen" hervorging. Mehr als 100 Religionsgemeinschaften nehmen daran teil, die großen Kirchen, Vertreter der Weltreligionen sowie viele in der AKR vertretene Gemeinschaften. Das Berliner Forum der Religionen veranstaltet regelmäßig "Die Lange Nacht der Religionen", es unterhält den "Pavillon der Kulturen" auf der Internationalen Gartenschau in Berlin-Marzahn. Darüberhinaus gibt es im Internet eine Karte mit "Orten der Stille" und einen interreligiösen Stadtplan. Davon, sagt Pfarrer Schröder, profitieren alle, die sich für religiöse Vielfalt einsetzen. Trotzdem wünscht sich die Arbeitsgemeinschaft der Kirchen und Religionsgesellschaften für ihre eigene Arbeit:
Schröder: "Immer weiteren Erfolg."
Hackel: "... dass es aufwärts geht."
Von Wehren: "dass wir ein Ort sind für Menschen, die doch auf der Suche sind nach spiritueller Erfahrung, dass die uns finden und dass wir für sie da sein können."