Perspektivlos in Afghanistan
Trotz aller Kritik hält die Bundesregierung an Abschiebungen nach Afghanistan fest. Das Land sei sicher, heißt es. Viele Abgeschobene erleben es aber ganz anders. Aber das ist fast noch das geringste Problem der Abgeschobenen.
Es sind Textnachrichten voller Wut, Trauer und Schmerz, die zwischen Kabul und dem hessischen Hanau hin und hergehen, zwischen Matiullah und seiner deutschen Freundin.
Sie: "Du warst immer der, der die große Fresse hatte und gesagt hat, das bekommen wir hin! Bla, bla, bla. Und jetzt sitze ich alleine hier, momentan geht’s mir nicht gut, und du warst immer der, der mich wieder hoch gebracht hat. Aber Du bist nicht mehr da."
Er: "Ja, ich weiß. Das war mein Fehler. Aber jetzt kannst nur noch Du mir helfen. Ich will nicht wie damals nach Deutschland flüchten, ich schwöre es Dir. Da ist einfach zu viel passiert."
Sie: "Ich weiß."
Er: "Schatz, ich versuche, Schlafen zu gehen, ok? Gute Nacht – ich habe Dich geli-ebt, mein Herz."
Sie: "Ja, aber Du hast es mir nie selbst gesagt."
Er: "Ja, ich weiß. Aber Du hast es gewusst."
Sie: "Weißt Du was? Ich vermisse Dich gerade voll! So sehr, dass ich heulen könnte."
Er: "Ich Dich auch, mein Herz."
Matiullah: "Wir schreiben jeden Tag auf WhatsApp, und meine Freundin weint auch die ganze Zeit, warum die Deutschen so etwas mit mir gemacht haben."
Matiullah ist 22 Jahre alt. Mitte Dezember wurde er nach Afghanistan abgeschoben. Erst, so schildert er es, tauchten Polizisten in dem Restaurant auf, in dem er arbeitete, und verhafteten ihn. Dann landete er im Abschiebegefängnis. Schließlich brachte man ihn zum Charterflugzeug nach Afghanistan, in Hand- und Fußfesseln. Bis Kabul wurde Matiullah von drei deutschen Polizisten begleitet. Zwei saßen neben ihm, einer hinter ihm. Es war das unwürdige Ende seines Traums von einem besseren Leben.
"Ich hab alles, meine Miete, meine Sachen selbst bezahlt, ich habe keine Hilfe vom Staat bekommen. Ich bin immer noch am überlegen, warum die Deutschen so was mit mir gemacht haben."
Flucht aus Afghanistan vor sieben Jahren
Matiullah zeigt seinen Schulabschluss, den Arbeitsvertrag mit einer Pizzeria, den Mietvertrag und die Lohnabrechnungen. Matiullah hat in Deutschland Steuern gezahlt. Detailliert berichtet er von seiner Flucht vor sieben Jahren. Damals war er gerade einmal 15 Jahre alt. Im Iran eingezwängt in einem Kofferraum. In dem Land sei er außerdem verprügelt worden. In der Türkei eingezwängt im Gepäckraum eines Reisebusses. Im Schlauchboot über die Ägäis.
"Von Griechenland nach Italien zu fahren, war voll schwierig. Wir waren zu Sechst in einem Lkw, wir hatten zwei Meter Platz, rechts, links, oben war alles zu. Wir hatten nichts zu essen gehabt, für drei Nächte und zwei Tage. Wir hatten ein bisschen Wasser, wir haben dann in die Wasserflasche gepisst. Dann war ich 15 Tage in Italien. Ich habe auf der Straße geschlafen. Und von da bin ich nach Deutschland gegangen. Das war richtig schwer für mich. Ich war nie weg von meiner Familie, und dann so ein langer Weg nach Deutschland. Das war wirklich schwer für mich. Davon habe ich das alles bekommen."
In Kabul - antriebslos und ratlos
Mit "das alles" meint Matiullah seine anfänglichen Aggressionen, die er meist an sich selbst ausließ. Er zeigt eine Bescheinigung, dass er erfolgreich an einer Konfliktberatung teilgenommen hat. Danach machte er nicht nur den Schulabschluss, sondern auch eine Lehre zur Fachkraft im Gastgewerbe. Seine Ärzte bescheinigen Matiullah jedoch noch immer eine Depression. Er hat außerdem Hepatitis. Auf einem Schreiben des Krankenhauses in Hanau steht, dass Matiullah in Afghanistan nicht ausreichend behandelt werden kann. Und jetzt ist er doch in Kabul, antriebslos und ratlos.
"Ich muss überlegen, was ich mit meinem Leben machen soll. Ich muss Miete zahlen, ich muss meiner Familie helfen, denn ich bin der Älteste, ich habe zwei Brüder und zwei kleine Schwestern. Und wissen Sie, jeden Tag explodiert hier eine Bombe, gestern war’s auch so, ich weiß nicht, wie viele Leute gestorben sind."
Tatsächlich war am Tag vor dem Interview mit Matiullah in Kabul eine Bombe explodiert, mal wieder, dieses Mal am Obersten Gericht Afghanistans. 21 Menschen wurden getötet. In Deutschland hat davon kaum jemand Notiz genommen.
Wie real die Gefahr selbst in Kabul ist, das hat offenbar auch ein aus Deutschland Abgeschobener schmerzvoll erfahren müssen. Atiqullah zeigt seine Schrammen im Gesicht. Als die Sprengsätze am Obersten Gericht in Kabul explodierten und mehr als 20 Menschen töteten, sei er nur hundert Meter entfernt gewesen, sagt der 23-Jährige. 2015 war Atiqullah nach Deutschland gekommen. Eine Familie aus der Nähe von Bamberg hatte sich um ihn gekümmert. Nach seiner Abschiebung Ende Januar hatte sie ihm Geld nach Kabul geschickt. Am 8. Februar wollte Atiqullah das Geld abholen gehen. Dann, so schildert er es, habe es geknallt.
"Dann weiß ich nicht mehr, was passierte. Meine Hand wurde weggerissen. Ein Taxifahrer hat mich ins Krankenhaus mitgebracht. Dort hat ein Arzt die Wunden sauber gemacht. Der Taxifahrer meinte danach nur: Wo wohnst Du genau? Du bist krank und Du kannst nicht alleine nach Hause gehen."
"Dann weiß ich nicht mehr, was passierte. Meine Hand wurde weggerissen. Ein Taxifahrer hat mich ins Krankenhaus mitgebracht. Dort hat ein Arzt die Wunden sauber gemacht. Der Taxifahrer meinte danach nur: Wo wohnst Du genau? Du bist krank und Du kannst nicht alleine nach Hause gehen."
Aussicht auf eine Ausbildung als Pfleger
Es ist schwierig, Atiqullahs Angaben zum Anschlag lückenlos zu überprüfen. Sicher dagegen ist: Der junge Mann wurde Ende Januar mit dem zweiten Charterflug von Frankfurt nach Kabul deportiert. Helfer aus Bayern berichten, dass er in Deutschland integriert war und Aussicht auf eine Ausbildung als Pfleger hatte. Atiqullah wäre gern Arzt geworden. Er sagt, er habe sich in Deutschland nichts zu Schulden kommen lassen. Und in Kabul habe er keine Familie, die sei seit zehn Monaten in der Türkei. In Afghanistan gebe es niemanden, der auf ihn gewartet habe. Nach seiner Abschiebung kam er im Gästehaus der Internationalen Organisation für Migration, kurz IOM, unter. Die IOM ist ein Ableger der Vereinten Nationen. Atiqullah hat zwei Wochen Zeit, sich etwas Eigenes zu suchen. Aber das Gästehaus verlässt er seit dem Anschlag kaum noch.
"Nach den 14 Tagen habe ich den Chef getroffen und gesagt: Ich brauche noch Zeit, weil ich keinen Pass habe. Er hat gesagt: Wie lange brauchst Du noch?"
Atiqullah ist nicht der Einzige, der offenbar ohne Ausweispapiere deportiert wurde: Auch andere Abgeschobene berichten, dass sie noch Dokumente bei den Behörden des Landes beantragen müssen. In Afghanistan kann das dauern. Ohne Papiere aber ist es so gut wie unmöglich, ein neues Leben zu starten. Dabei hatte die Bundesregierung versprochen, die Menschen behutsam abzuschieben. Afghanistan habe sich bereit erklärt, alle nötigen Dokumente für die Abgeschobenen schnell auszustellen. Und ein Rücknahme-Abkommen der Europäischen Union mit Afghanistan trägt den Titel "Gemeinsamer Weg nach vorne in Migrationsfragen". Unterzeichnet wurde es im vergangenen Oktober. Es gilt als offenes Geheimnis, dass die Europäische Union weitere Finanzhilfen an Afghanistan auch an die Rücknahme von Flüchtlingen gekoppelt hat. Die EU sicherte zu, sich an Maßnahmen zur Reintegration von Menschen wie Matiullah oder Atiqullah zu beteiligen. Das zuständige afghanische Ministerium für die Wiedereingliederung von Rückkehrern gilt aber als ineffektiv und überlastet.
Wiedereingliederungshilfen für Abgeschobene
Deshalb stehen am Flughafen Kabul Mitarbeiter der IOM bereit, um Abgeschobene aus Europa in Empfang zu nehmen. Matiullah zum Beispiel bekam einen Zettel in die Hand, der ihn über Wiedereingliederungshilfen aufklären sollte. Auf dem Zettel steht, dass Matiullah finanzielle Unterstützung bekommt, wenn er zum Beispiel einen Laden aufmachen will. Shah Zaman ist der Projektleiter der IOM, der sich um Menschen wie Matiullah und ihre Angelegenheiten kümmert.
"Der Rückkehrer wird aufgeklärt, dass er gewisse Hilfen in Anspruch nehmen kann. Hier geht es konkret darum, dass er zum Beispiel Dokumente vorlegen muss wie Mietvertrag, Geschäftslizenz oder Rechnungen, wenn er etwas gekauft hat."
Sachleistungen in Höhe von bis zu 700 Euro stehen Menschen zu, die aus Deutschland abgeschoben wurden, das bestätigt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), auf Anfrage. Freiwilligen Rückkehrern winken bis zu zweitausend Dollar. Shah Zaman muss jeden Fall mit dem BAMF abklären. Erst wenn ein Signal aus Deutschland kommt, kann er Rückkehrern wirklich helfen. Aber er gibt zu, dass es derzeit alles andere als einfach sei, als Rückkehrer ein Geschäft in Kabul zu eröffnen.
"Ein unabhängiges Business zu eröffnen, ist schwierig. Wir raten jedem Abgeschob-enen, ihre Familien darum zu bitten, sie mit Kontakten oder Kunden zu versorgen. Sobald wir vom BAMF die Bestätigung haben, diskutieren wir jeden Fall mit den Rückkehrern und reden mit ihnen darüber, wofür sie die Starthilfe nutzen wollen."
Matiullah hat sich bereits informiert, wie er Hilfen in Anspruch nehmen kann. Er hat auch einen afghanischen Pass und einen Onkel in Kabul. Aber er ist skeptisch. Die afghanische Wirtschaft liegt am Boden. Sofern sich ein Bruttoinlandsprodukt in einem Kriegsland überhaupt messen lässt – in Afghanistan verzeichnete die Weltbank bereits 2015 praktisch ein Nullwachstum. Was dagegen geradezu dramatisch anwächst, ist der Zustrom an Menschen. Kabul ist voller Kriegsflüchtlinge aus allen Teilen des Landes. Außerdem wurden fast eine Million Afghanen 2016 aus Iran und Pakistan herausgedrängt, viele von ihnen gingen nach Kabul. Sie hausen zum Teil in Rohbauten ohne Strom und ohne Wasser. Und sie konkurrieren mit den Rückkehrern aus Europa um die wenigen Arbeitsplätze, die in Kabul und anderswo überhaupt noch frei sind. Das UN-Flüchtlingshilfswerk spricht davon, dass Afghanistan gar nicht mehr in der Lage sei, noch mehr Menschen aufzunehmen. Die Städte seien längst – so wörtlich – "überstrapaziert".
In Deutschland mit Job - in Kabul Bittsteller
Und so hat sich der Alltag auch für Matiullah umgekehrt. In Deutschland, mit seinem Job und der Ausbildung, hatte er sich stark gefühlt. Er konnte Geld nach Kabul schicken. Jetzt ist er selbst Bittsteller. Seine Eltern seien tot, sagt er. Der Vater starb demnach bereits 2010, die Mutter im vergangenen Mai. Jetzt leben er und seine Geschwister bei seinem Onkel in Kabul.
"Ich habe seit zwei Monaten die Miete nicht bezahlt. Er sagt jetzt nichts, aber nach ein paar Tagen oder Wochen wird er natürlich sagen: Hallo? Jetzt reicht‘s! Du musst mal was machen."
"Mal was machen" - aber wie? Wo anfangen? Diese Frage stellt sich auch Samir Narang. Sein derzeitiges Leben spielt sich fast ausschließlich hinter den Mauern eines Sikh-Tempels in Kabul ab. Die Sikhs sind eine religiöse Minderheit, bekannt eher aus Indien und zu erkennen an ihren Turbanen. Samir selbst ist nach eigenen Angaben eigentlich Hindu, aber Hindus und Sikhs haben sich in der Not in Afghanistan zusammengetan. Der Grund: Sie leiden unter erheblichem Druck seitens konservativer islamischer Hardliner. Der Grund: Sie leiden unter erheblichem Druck seitens konservativer islamischer Hardliner. Die Diskriminierung – so heißt es - habe sich verschärft.
"Vor ein paar Tagen gab es hier eine Schießerei. Ganz in der Nähe. Deswegen habe ich Angst. Aber ich gehe nicht allein nach draußen. Ich will nicht sterben hier. Ich bin allein, gar keine Hilfe. Vor zwei, drei Tagen hatte ich Fieber. Aber ich habe kein Geld für Tabletten oder den Arzt, gar nichts. Ich wollte meinen Pass haben, den afghanischen, nichts. Ich bin seit zwei Monaten hier. Es gab keine Hilfe, gar nichts."
Die Familie lebt noch in Rostock
Samir ist 24 Jahre alt, er lebte vier Jahre lang in Hamburg. Seine Familie befindet sich in Rostock. Auch Samir landete erst im Abschiebegefängnis und wurde dann zum Frankfurter Flughafen gebracht. Dort hatte er – so schildert er es – nur ein paar Minuten, um sich von seinen eigens angereisten Eltern zu verabschieden, in ein sehr ungewisses Leben. Auch er hat – wie er sagt - keine Ausweisdokumente, mit denen er zum Beispiel Hilfen bei der IOM abrufen könnte. Einen Pass zu beantragen, ist für Samir sogar doppelt schwer. Er spricht, obwohl er nach eigenen Angaben in Kabul aufgewachsen ist, kaum Dari oder Paschtu, das sind die Landessprachen Afghanistans. Samirs Dialekt kommt ursprünglich aus Pakistan. Im Tempel versteht ihn jeder, in der Stadt aber nicht. Sein Sprachproblem begründet Samir damit, dass die Angehörigen der Sikh- und Hindu-Minderheit weitgehend unter sich blieben, was auch die Sikh-Älteren bestätigen. Außenstehenden misstrauen sie grundsätzlich. Das gilt auch für Besucher aus dem Westen.
"Wenn man hier bleibt, dann kann man sehen, was hier passiert. Sie sehen das doch auch. Es gibt hier keine Sicherheit. Wie kann ich hier bleiben?"
Diskriminierung gehört zum Alltag
Samir sitzt in einem kleinen Zimmer, die Sonne ist bereits untergegangen, der Strom ist ausgefallen, draußen ist es bitterkalt, zwei Handys spenden Licht. Es gibt heißen Tee. Samirs Zimmernachbar ist vorbei gekommen. Rajpal, ein junger Sikh, der draußen in einem Laden arbeitet. Viele Sikhs sind traditionell Händler. Rajpal bestätigt, dass Diskriminierung auch zu seinem Alltag in Kabul gehört.
"Seit ich ein Kind bin, habe ich Angst davor, dass mir andere Jungs meinen Turban wegreißen. Und ständig verlangen Leute, dass ich zum Islam konvertiere, sie verlangen, dass ich Koranverse rezitiere. Und wenn ich das nicht kann, dann meinen sie, wir sollten Afghanistan verlassen, wir hätten hier nichts zu suchen."
Rajpal fügt hinzu, dass auch er gern nach Europa gegangen wäre. Aber dafür habe es an Geld für die Schlepper gefehlt. Jetzt kümmert er sich um Samir. Der Neuankömmling habe Hilfe bitter nötig. Im Gegensatz zu dem Abgeschobenen aus Hamburg spricht Rajpal die geläufigen afghanischen Sprachen.
"Seit Samir hier ist, hat er mehrfach so heftig geweint, dass wir dachten, es sei etwas passiert, jemand habe ihn angegriffen. Wir versuchen dann, mit ihm zu reden. Wir schauen mit ihm Filme. Wir wissen, dass er trauert, weil er nicht bei seiner Familie sein kann."
Rückkehrer stehen unter Druck
Fareshta Querees weiß, wie sehr die Rückkehrer unter Druck stehen. Die 35-jährige Medizinerin empfängt ….. in einem Hochhaus in Kabuls Innenstadt. Von der obersten Etage hat Doktor Fareshta einen wunderbaren Blick auf die schneebedeckten Berge, die Kabul einrahmen und an denen sich die ganze Schönheit Afghanistans ablesen lässt. Aber wie zur Erinnerung an die triste Realität donnern immer wieder Militär-Hubschrauber über das Stadtzentrum. Jedes Mal, wenn ein Abschiebeflug aus Europa in Kabul landet, schickt Doktor Fareshta Mitarbeiter zum Flughafen, um die jungen Männer in ihre Beratungsstelle einzuladen. Sie verteilen Informationsblätter der Internationalen psychosozialen Beratungs-Organisation, kurz: IPSO, die vom Auswärtigen Amt in Berlin unterstützt wird. Auf den Blättern haben Doktor Fareshta und ihre Mitarbeiter typische Gefühls- und Verhaltensmerkmale von Rückkehrern zusammengefasst:
"Du fühlst Dich einsam. Du entwickelst kein Interesse für irgendetwas. Du wirst schnell wütend. Du hast Angst und bist unruhig. Du schläfst nicht mehr ordentlich. Du bist ständig müde. Du fühlst Dich nutzlos. Du willst etwas in Deinem Leben ändern, Du hast aber das Gefühl, dass Du es nicht schaffst."
Psychotherapie soll Abgeschobenen helfen
Die Beratung der IPSO ist kostenlos. Und in einer konservativen, kriegsgeplagten Gesellschaft wie der afghanischen versuchen Doktor Fareshta und ihre Mitarbeiter, eine klaffende Lücke zu füllen. Auch nach Anschlägen bieten sie Hilfe, beispielsweise nach dem Angriff auf die amerikanische Universität im November. Damals, sagt Doktor Fareshta, seien viele Studenten, die den Terror miterleben mussten, zur Beratungsstelle gekommen. Das Hauptaugenmerk gelte aber den Rückkehrern:
"Unsere Gesellschaft wird von Schamgefühlen regiert. Und die Rückkehrer, das sehen wir in unseren Beratungen immer wieder, die fühlen sich als Versager. Sie haben keine Lust mehr auf ihr Leben, auf ein neues Leben. Und deshalb interessieren sie sich auch gar nicht für die Gesellschaft hier. Und selbst wenn jemand ihnen gut zureden will und einfach nur fragt: Mensch, warum hat es in Europa nicht geklappt? Dann ist es purer Stress für sie."
"Sie versuchen nicht einmal, über ihre Nöte zu reden. Unser Ziel ist es, sie zum Sprechen zu bringen. Flucht und Rückkehr, das ist nicht einfach. Viele sind traumatisiert. Und dazu kommt, dass die Gesellschaft dafür kein Verständnis aufbringt. Ihre eigenen Familien werfen ihnen häufig vor, versagt zu haben. Dass sie Fehler gemacht haben. Dass sie vielleicht nicht geduldig waren."
In nicht wenigen Fällen leiten Doktor Fareshta und ihr Team eine regelrechte Psychotherapie ein. Andere Betroffene, glaubt Doktor Fareshta, schaffen es aber, durch professionelle Beratung zumindest eine Vision für ihre Zukunft zu entwickeln. Jobs schaffen kann aber auch die junge Ärztin nicht. Sie kann Ideen geben, motivieren, den Blick der jungen Rückkehrer auf ihr Heimatland etwas ändern, ihnen ein wenig Leben einhauchen. Aber es gibt in Kabul auch viele Geschichten von Rückkehrern, die im Drogensumpf stecken. Und anderen, die sich längst wieder auf den Weg gemacht haben nach Europa.
Atiqullah, der in Kabul offenbar nur knapp einem Anschlag entkommen ist, will auch zurück nach Deutschland, wie die meisten Rückkehrer. Bei der psychosozialen Betreuung von Doktor Fareshta war er noch nicht. Atiqullah plant auch gar nicht erst, sich in Afghanistan wieder einzuleben. Er sagt, er würde die Flucht nach Europa auch noch zehn Mal wagen, wenn er denn das Geld hätte. In Afghanistan aber gebe es einfach keine Perspektive. Samir, der Hindu, hofft, dass seine Familie und sein Anwalt in Deutschland dafür sorgen werden, dass er zurück kehren kann. Sein Anwalt bestätigt, dass der Fall ungewöhnlich sei.
Matiullah dagegen war inzwischen bei Doktor Fareshta. Er braucht eine Vision für sein Leben in Afghanistan. Denn er sieht für sich derzeit keinen Weg zurück, auch wenn sein Anwalt den Fall ebenfalls weiter verfolgen will. Aber in die deutsche Botschaft in Kabul habe man ihn nicht einmal hinein gelassen, sagt Matiullah. Und selbst wenn er das Geld für eine weitere Flucht nach Europa hätte: Matiullah betont, noch einmal könne er sich eine derartige Tortur nicht antun. Was für ihn aus Deutschland bleibt, sind lediglich traurige Textnachrichten seiner Freundin.