Abrechnung mit dem Gewichtswahn
Seit Jahren häufen sich die Medienmeldungen und die Politik bläst ins selbe Horn: Die Deutschen würden immer dicker. Besonders unter Kindern nähme die Zahl der Übergewichtigen stark zu. Abspeckprogramme seien dringend erforderlich. Statt Glotze, Computer und Chips mehr Sport und Gemüse.
Unverantwortliche Panikmache – wie der Berliner Soziologe Friedrich Schorb in seinem Buch beweist. Die Belege für die zu dicken Deutschen seien alles andere als eindeutig, so der Autor: Statt Klarheit Statistiktricks.
So wurden in den USA allein dadurch, dass man in den neunziger Jahren die Berechnung änderte und den BMI, den Body-Mass-Index einführte, von einem Tag auf den anderen 35 Millionen Amerikaner übergewichtig, ohne auch nur ein Gramm zugelegt zu haben. Ein zweifelhafter Maßstab, denn der BMI unterscheidet weder zwischen alt und jung, Europäer oder Asiate, Sportler oder Schreibtischhocker.
Doch all diese Faktoren spielen eine Rolle. Nimmt man den BMI als einzigen Maßstab, müssten Arnold Schwarzenegger und Brad Pitt dringend abspecken. Sie gelten danach als krankhaft fettleibig, weil Muskelmasse eben aus der Berechnung rausfällt.
Um die Statistiktricks zu entlarven, führt Friedrich Schorb nun seinerseits so viele Statistiken an, dass einem beim Lesen bisweilen von den Zahlen ganz schwindlig wird. Der Autor bemüht sich um eine möglichst sachliche Argumentation. Er zitiert viel aus Studien und Zeitungen, greift geradezu genüsslich absurde Statements aus Politik, Medien und Medizin auf, zeigt, mit welchen Tricks und Halbwahrheiten agiert wird.
An drastischen Vorschlägen fehlt es nicht. Wer zu viel Pfunde auf die Waage bringt, soll dafür zum Beispiel weniger Leistungen aus der Krankenversicherung beziehen, weil er angeblich die Kassen über Gebühr belastet. Unsinn sagt der Autor. Dickere Menschen sind keineswegs häufiger krank als normalgewichtige und ein leichtes Übergewicht scheint im Alter sogar vor Krankheiten zu schützen. Allein bei der Gruppe der überdurchschnittlich Dicken kann man deutliche gesundheitliche Probleme feststellen. Ansonsten mögen ein paar Kilo mehr die Ästhetik stören, der Körper verkraftet sie leicht.
Der Einzige, der von den Schreckensmeldungen profitiert, ist die Pharmaindustrie mit ihren diversen Schlankheitsmitteln. Die aber bergen erhebliche gesundheitliche Risiken, einmal ganz abgesehen davon, dass ihr Einsatz den klassischen JoJo-Effekt auslöst. Nach dem Abspecken folgt regelmäßig eine Gewichtszunahme.
Falsch ist ebenfalls die typische Behauptung, die Unterschicht habe keinerlei Gesundheitsbewusstsein, liebe fettriefende Speisen vor der Glotze zu verzehren. Hartz IV-Empfänger können sich, Sarrazin zum Trotz, nicht gesund ernähren. Ihnen fehlt einfach das Geld für frisches Obst und Gemüse. Fastfood ist billiger.
Friedrich Schorbs Sachbuch ist eine vehemente Abrechnung mit dem Gewichtswahn unserer Gesellschaft. Was aber auch er nicht zu erklären vermag, ist, warum die Menschen seit dem Zweiten Weltkrieg überhaupt zugenommen haben, denn wir tragen heute mehr Pfunde mit uns rum als noch vor Hundert Jahren. Dennoch, und darauf verweist Friedrich Schorb immer wieder, werden wir älter als unsere Vorfahren. Weniger körperliche Arbeit und mehr Nahrungsmittel können also nicht so schlecht sein, wie behauptet wird.
Besprochen von Johannes Kaiser
Friedrich Schorb: Dick, doof und arm? - Die große Lüge vom Übergewicht und wer von ihr profitiert
Droemer Verlag 2009, 240 Seiten, 26,95 Euro
So wurden in den USA allein dadurch, dass man in den neunziger Jahren die Berechnung änderte und den BMI, den Body-Mass-Index einführte, von einem Tag auf den anderen 35 Millionen Amerikaner übergewichtig, ohne auch nur ein Gramm zugelegt zu haben. Ein zweifelhafter Maßstab, denn der BMI unterscheidet weder zwischen alt und jung, Europäer oder Asiate, Sportler oder Schreibtischhocker.
Doch all diese Faktoren spielen eine Rolle. Nimmt man den BMI als einzigen Maßstab, müssten Arnold Schwarzenegger und Brad Pitt dringend abspecken. Sie gelten danach als krankhaft fettleibig, weil Muskelmasse eben aus der Berechnung rausfällt.
Um die Statistiktricks zu entlarven, führt Friedrich Schorb nun seinerseits so viele Statistiken an, dass einem beim Lesen bisweilen von den Zahlen ganz schwindlig wird. Der Autor bemüht sich um eine möglichst sachliche Argumentation. Er zitiert viel aus Studien und Zeitungen, greift geradezu genüsslich absurde Statements aus Politik, Medien und Medizin auf, zeigt, mit welchen Tricks und Halbwahrheiten agiert wird.
An drastischen Vorschlägen fehlt es nicht. Wer zu viel Pfunde auf die Waage bringt, soll dafür zum Beispiel weniger Leistungen aus der Krankenversicherung beziehen, weil er angeblich die Kassen über Gebühr belastet. Unsinn sagt der Autor. Dickere Menschen sind keineswegs häufiger krank als normalgewichtige und ein leichtes Übergewicht scheint im Alter sogar vor Krankheiten zu schützen. Allein bei der Gruppe der überdurchschnittlich Dicken kann man deutliche gesundheitliche Probleme feststellen. Ansonsten mögen ein paar Kilo mehr die Ästhetik stören, der Körper verkraftet sie leicht.
Der Einzige, der von den Schreckensmeldungen profitiert, ist die Pharmaindustrie mit ihren diversen Schlankheitsmitteln. Die aber bergen erhebliche gesundheitliche Risiken, einmal ganz abgesehen davon, dass ihr Einsatz den klassischen JoJo-Effekt auslöst. Nach dem Abspecken folgt regelmäßig eine Gewichtszunahme.
Falsch ist ebenfalls die typische Behauptung, die Unterschicht habe keinerlei Gesundheitsbewusstsein, liebe fettriefende Speisen vor der Glotze zu verzehren. Hartz IV-Empfänger können sich, Sarrazin zum Trotz, nicht gesund ernähren. Ihnen fehlt einfach das Geld für frisches Obst und Gemüse. Fastfood ist billiger.
Friedrich Schorbs Sachbuch ist eine vehemente Abrechnung mit dem Gewichtswahn unserer Gesellschaft. Was aber auch er nicht zu erklären vermag, ist, warum die Menschen seit dem Zweiten Weltkrieg überhaupt zugenommen haben, denn wir tragen heute mehr Pfunde mit uns rum als noch vor Hundert Jahren. Dennoch, und darauf verweist Friedrich Schorb immer wieder, werden wir älter als unsere Vorfahren. Weniger körperliche Arbeit und mehr Nahrungsmittel können also nicht so schlecht sein, wie behauptet wird.
Besprochen von Johannes Kaiser
Friedrich Schorb: Dick, doof und arm? - Die große Lüge vom Übergewicht und wer von ihr profitiert
Droemer Verlag 2009, 240 Seiten, 26,95 Euro