Kein Signal für Europa
Die EU-Abgeordnete Julia Reda ist optimistisch, dass die US-Entscheidung gegen die Netzneutralität sich nicht auf die EU auswirken wird. Im Gegenteil - sie glaubt, dass das europäische Gesetz eines Tages auch in Washington als Vorbild dienen könnte.
Noch werden alle Daten im Internet gleich behandelt. Doch damit soll es nach dem Willen der US-Kommunikationsbehörde FCC bald vorbei sein.Wenn die US-Telekom-Aufsicht FCC die Netzneutralität in den USA abschafft, könnte diese bahnbrechende Entscheidung auch in Europa Konsequenzen haben, fürchten viele Kritiker.
Vorteile in der EU
Julia Reda sitzt für die Piratenpartei im Europäischen Parlament und ist optimistisch, dass die EU gegenüber vergleichbaren Regelungen gut gewappnet ist. "Wir haben in Europa einen ganz massiven strukturellen Vorteil gegenüber den USA, und das ist eben, dass wir die Netzneutralität gesetzlich festgelegt haben und das nicht einfach vollständig der Regulierungsbehörde überlassen haben", sagte Reda im Deutschlandfunk Kultur. "Insofern glaube ich nicht, dass die FCC-Entscheidung jetzt eine Signalwirkung hat und dazu führt, dass es auch in Europa zu Rückschritten bei der Netzneutralität kommt."
Sie hoffe ganz im Gegenteil, dass auch in den USA die Folgen der Abschaffung der Netzneutralität sehr bald sichtbar würden und der öffentliche Druck gegen diese Entscheidung dann dazu führe, dass auch dort ein Netzneutralitätsgesetz eingeführt werde. "Allerdings ist bis dahin schon viel Schaden gerade für innovative Unternehmen und für die Nutzerinnen und Nutzer in den USA geschehen", sagte Reda.
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Heute wird die oberste amerikanische Telekommunikationsbehörde, die FCC, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit etwas beschließen, was sich die Internetnetzanbieter in den USA und anderswo in der Welt schon seit Langem wünschen, nämlich das Ende der sogenannten Netzneutralität, das heißt das Ende der Zeit, in der im Internet alle Daten, ob groß oder klein und egal, woher sie kommen, grundsätzlich mit der gleichen Geschwindigkeit und ohne Prioritäten transportiert wurden, und wer jetzt sagt, na ja, ist mir doch wurscht, ich habe zu Hause schnelles Internet, der täuscht sich wirklich. Mark Hoffmann berichtet aus den USA.
Mark Hoffmann über die heute erwartete Entscheidung der US-Telekommunikationsaufsicht FCC zur Abschaffung der Netzneutralität. Das gilt dann natürlich zunächst einmal nur für die Vereinigten Staaten, aber nationale Grenzen bedeuten im Internet natürlich wenig, und deshalb wollen wir nach den Folgen dieser Entscheidung jetzt Julia Reder fragen. Sie sitzt für die Piratenpartei im Europäischen Parlament. Schönen guten Morgen, Frau Reda!
Julia Reda: Guten Morgen.
Kassel: Welche Folgen wird denn diese Entscheidung der FCC voraussichtlich für Europa haben und für Deutschland?
Reda: Also einerseits haben wir in Europa nach wie vor ein Netzneutralitätsgesetz, und das wird durch diese amerikanische Entscheidung nicht geändert, aber trotzdem sind die Folgen der Abschaffung der Netzneutralität weitreichend, weil das Internet ein globales Netz ist, und das bedeutet für Menschen in Europa zunächst mal weniger Vielfalt.
Es wird schwieriger sein, in Amerika neue Unternehmen, neue Startups zu gründen, die Konkurrenz machen zu den großen Internetfirmen, die wir heute schon haben, und das wirkt sich langfristig auf das gesamte Internet-Ökosystem auf der Welt aus. Also weniger neue Dienste, weniger Innovation bedeutet, zumindest nach einiger Zeit, dann auch weniger Vielfalt für die Menschen, die in Europa das Internet nutzen.
Schwäche beim Mobilfunk
Kassel: Es gab mal Zeiten, da war es genau umgekehrt. Jetzt haben Sie gerade ja indirekt gesagt, in Europa ist es noch nicht so schlimm wie wahrscheinlich in wenigen Stunden in den USA, wenn dieser Entschluss kommt. Es gab auch mal andere Phasen: Im Oktober 2015, als das Gesetzespaket für den elektronischen Binnenmarkt verabschiedet wurde, war doch Europa eigentlich der erste Teil dieser Welt, der gesagt hat, zumindest beim mobilen Internet, lassen wir langsam ein paar Einschränkungen zu bei der Netzneutralität.
Reda: Das Netzneutralitätsgesetz, das wir in Europa haben, hat tatsächlich beim Mobilfunk eine große Schwäche, und das ist, dass es nicht klar regelt, was erlaubt ist und was nicht und letzten Endes den Regulierungsbehörden dort sehr viel Freiraum lässt. Also das betrifft insbesondere sogenannte Zerorating-Angebote wie zum Beispiel StreamOn der Telekom, wo gesagt wird, ein bestimmter Dienst, meinetwegen ein Musikstreaming-Dienst, wird vom monatlichen Datenvolumen nicht abgezogen, und den kann man so viel nutzen wie man will.
Die Telefonanbieter behaupten jetzt, das wäre keine Verletzung der Netzneutralität. Aber eigentlich ist es relativ offensichtlich, dass wenn ich einen Dienst so lange nutzen kann wie ich will und die Konkurrenz meinetwegen nur für zehn Gigabyte im Monat, dass das eine Ungleichbehandlung darstellt und letzten Endes dazu führt, dass es weniger Dienste in diesem Bereich gibt. Meine Hoffnung ist, dass letzten Endes Klagen gegen solche Zerorating-Dienste dazu führen werden, dass sie auch unter dem europäischen Netzneutralitätsgesetz verboten werden. Allerdings ist das ein Punkt, der gerichtlich geklärt werden muss, während bisher zumindest unter den amerikanischen Reglungen so etwas deutlicher und klarer verboten war.
Verletzung der Netzneutralität
Kassel: Nun behauptet die Telekom bei StreamOn, und auch Vodafone bei entfernt ähnlichen Produkt, Vodafone Pass, dass die entsprechenden Anbieter nichts dafür zahlen müssen, da aufgenommen zu werden. Wenn jetzt aber die Netzneutralität, so wie in Amerika von der FCC geplant, wirklich komplett abgeschafft wird, das würde schon bedeuten, dass jeder dann zahlen kann und muss, um besser durch das Internet seine Kunden zu erreichen als andere, oder?
Reda: Also zunächst muss man sagen, selbst wenn bei StreamOn die Anbieter nichts zahlen müssen, ist es trotzdem eine Verletzung der Netzneutralität, weil man sich trotzdem den Geschäftsbedingungen der Telekom unterwerfen muss und das nicht jeder gerade kleinere Anbieter tatsächlich tun kann. In den USA, wenn die Netzneutralität abgeschafft wird, besteht auch dort die Möglichkeit, diesen Vorgang noch mal gerichtlich zu kippen.
Es gab eine ganze Reihe von Unregelmäßigkeiten in dem Prozess bei der FCC zur Abschaffung der Netzneutralität, insbesondere, dass es eine massive Kampagne von Identitätsklau gab. Also in der öffentlichen Konsultation der FCC sind sehr, sehr viele Antworten pro Netzneutralität und gegen Netzneutralität eingegangen. Bei den Antworten gegen Netzneutralität hat man festgestellt, die sind meistens identisch im Wortlaut und kommen von Personen, die überhaupt nichts davon wissen, dass sie angeblich sich bei der FCC gegen die Netzneutralität eingesetzt haben.
Die FCC hat sich damit nicht weiter beschäftigt, hat gesagt, das ist schon alles in Ordnung so, und es kommt sicherlich auch nicht von ungefähr, dass der FCC-Chef letzten Endes selbst aus der Telekomindustrie kommt. Das heißt also, man kann zumindest die Hoffnung haben, dass letzten Endes auch die amerikanische Abschaffung der Netzneutralität am Ende vor Gericht landet.
Massiver Lobbyismus
Kassel: Es gibt ja eine erstaunliche Gruppierung von Gegnern in den USA. Gut, Google, Apple, andere Großkonzerne sind dabei, teilweise die Kirchen und ganz andere, und diese Vereinigung der Gegner dieser Entscheidung, die heute leider wahrscheinlich trotzdem erst mal fallen wird, die haben unter anderem auch gesagt, die FCC, also die oberste amerikanische Telekommunikationskontrollbehörde versteht das Internet nicht. Haben Sie diese Befürchtung auch oder sagen Sie, ganz im Gegenteil, die verstehen das leider ganz, ganz gut und wissen genau, was sie tun?
Reda: Also man muss schon befürchten, dass gerade Herr Pai sehr genau weiß, was er tut, weil er eben selbst aus der Telekomindustrie kommt, und natürlich muss man wissen, dass der Markt der Telekommunikationsanbieter in den USA sehr stark konzentriert ist. In vielen ländlichen Gegenden insbesondere gibt es ohnehin nur einen Anbieter.
Die haben natürlich ein Interesse daran, die Netzneutralität abzuschaffen und eine zusätzliche Einnahmequelle zu generieren oder möglicherweise ihre eigenen Onlinedienste gegenüber der Konkurrenz zu bevorzugen. Insofern glaube ich, hat man es eher mit massivem Lobbyismus und nicht mit Unkenntnis zu tun.
Hoffnung auf neue Debatte in den USA
Kassel: Aber wenn wir uns das alles angucken: FCC in Amerika, diese – ich formuliere es mal ganz vorsichtig – in Grenzbereichen uneindeutigen Regelungen in Europa zumindest bei mobilem Internet und, und, und, und die verschiedenen Interessen verschieden starker Player, glauben Sie wirklich, dass die komplette Netzneutralität, so wie wir sie bisher immer hatten, auf die Dauer bleiben wird und kann?
Reda: Ich glaube schon, dass wir die Chance haben, die Netzneutralität durchzusetzen, denn es gibt auch viele Länder, wo es sehr positive Entwicklungen gibt. Also zum Beispiel hat Facebook versucht, in Indien Zerorating-Dienste als einen großen Gewinn für Internetzugang zu verkaufen. Dort hat die Bevölkerung ganz klar gesagt, wir wollen das nicht und hat sich damit letzten Endes auch durchgesetzt. Auch in Europa kann die Netzneutralität eben durch die konsequente Anwendung unseres Gesetzes durch die Gerichte eigentlich nur gestärkt werden.
Wir haben in Europa einen ganz massiven strukturellen Vorteil gegenüber den USA, und das ist eben, dass wir die Netzneutralität gesetzlich festgelegt haben und das nicht einfach vollständig der Regulierungsbehörde überlassen haben. Insofern glaube ich nicht, dass die FCC-Entscheidung jetzt eine Signalwirkung hat und dazu führt, dass es auch in Europa zu Rückschritten bei der Netzneutralität kommt, sondern im Gegenteil, meine Hoffnung ist, dass man die Folgen der Abschaffung der Netzneutralität sehr bald sehen wird und letzten Endes der öffentliche Druck in den USA dazu führt, dass auch dort ein Netzneutralitätsgesetz eingeführt wird. Allerdings ist bis dahin schon viel Schaden gerade für innovative Unternehmen und für die Nutzerinnen und Nutzer in den USA geschehen.
Kassel: Allerdings bist auf den letzten Satz ist das für mich jetzt auch ein Anzeichen oder ein Grund für Optimismus, was Sie da gesagt haben, deshalb danke ich Ihnen umso mehr! Julia Reda war das, sie ist Abgeordnete der Piratenpartei im Europäischen Parlament. Frau Reda, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.