Ein Schulsystem außer Kontrolle?
22:12 Minuten
In Großbritannien gibt es Schulen, in denen man sich nicht berühren darf und für einen fehlenden Knopf nachsitzen muss. Die von Stiftungen betriebenen "Academies" setzen auf Leistung und Strafen. Vorzeigeschulen sollten sie sein – nun wächst der Protest.
Ein karger Schulhof im nordwestlichen Londoner Stadtteil Wembley. Pfiffe aus der Trillerpfeife beenden die Mittagspause an der Michaela Community School. Unter den Kommandos der Lehrerinnen und Lehrer stellen sich die Schülerinnen und Schüler in blau-grauen Schuluniformen in Zweierreihen zum Appell auf.
"25 Seconds… / You’ve got to be quicker, come on…"
Wer nicht schnell genug in seine Reihe eilt, wird ermahnt. Sobald alle in Reih und Glied stehen, beginnt eine Lehrerin mit ihrer zackigen Ansprache.
"You’ve shown us that you’re not very good…"
Bisher seien sie nicht besonders gut, die Testergebnisse miserabel, herrscht sie ihre Zehntklässler an.
"We know you can do better than that…"
Die Michaela Community School hat sich in den gut vier Jahren ihres Bestehens den Ruf erarbeitet, die strengste Schule Großbritanniens zu sein.
"Unsere Lehrmethoden sind sehr traditionell. Unser Motto lautet: Arbeite hart, sei freundlich. Wenn wir die Kinder dazu bringen, beides zu tun, sind wir erfolgreich."
Gründerin und Schulleiterin Katharine Birbalsingh hat den Appell auf dem Schulhof beobachtet. Die Mittvierzigerin streicht sich die schulterlangen braunen Korkenzieherlocken aus dem schmalen Gesicht und lächelt zufrieden. Sie will aufräumen mit dem, was sie als die Dogmen linker und progressiver Schulpolitik ausmacht, die sie einst selbst praktiziert hat: Individualisiertes Lernen oder Gruppenarbeit - Zeitverschwendung, die zu Lasten besonders der Kinder gehe, deren Eltern sich nicht um ihre Bildung kümmern, findet Birbalsingh.
"Lehrer verstehen sich da als Lernhilfen, laufen zwischen Gruppenarbeitstischen umher und lassen die Schüler arbeiten. Das ist aber kein Lehren. Das ist Babysitting."
Frontalunterricht soll Orientierung bieten
Bei ihr sollten stattdessen Frontalunterricht, wiederkehrende Anweisungen, Auszeichnungen und Strafen den Schülerinnen und Schülern Orientierung bieten. Nach der Standpauke auf dem Hof folgt Birbalsingh ihren Schülern, die schweigend in die Kantine eilen. Reden ist verboten auf den Schulfluren. Wie eine geölte Maschine gehen die Jugendlichen in Reihen aneinander vorbei, die erste Mittagsschicht heraus aus der Kantine, die zweite hinein, treppauf, treppab, links und rechts, anhalten, weitergehen. Vor dem Essen brüllen die Schüler im Chor das viktorianische Gedicht "Invictus" von William Ernest Henley.
"…I am the master of my fate, I am the captain of my soul."
"Ich bin der Herr meines Schicksals, ich bin der Kapitän meiner Seele", lauten die letzten Silben. Sie sollen den Kindern aus armen, bildungsfernen Familien in Wembley als Mantra dienen. Und jeden Tag gibt ein Lehrer ihnen ein Thema, über das sie bei Tisch reden sollen.
"And if we’re not talking about the subject, the teachers will come around and give us a demerit…"
Strafpunkt, Verwarnung, Ausschluss
Wenn ein Lehrer mitbekommt, dass sie über etwas anderes reden, erhielten sie ein Demerit, einen Strafpunkt, berichtet Parissa, eine schmale Achtklässlerin mit dunklen Haaren. Auch wenn sie im Unterricht nicht die Lehrer anblickten, erhielten sie eine Verwarnung. Nach der zweiten Verwarnung folge Nachsitzen, drei bedeuteten den Ausschluss vom Unterricht.
"Or in the class when we’re not looking at the teacher, if you aren’t following the rules, basically, you get a demerit, and two, you get a detention…"
Die Kinder lernen die Regeln in einem einwöchigen Kurs, bevor die Schule beginnt. Bootcamp heißt so etwas in der Michaela School – wie beim Militär.
Free Schools wie Michaela gibt es seit rund neun Jahren in Großbritannien. Sie sind entstanden, weil die damalige Regierungskoalition aus Konservativen und Liberaldemokraten fest daran glaubte, dass mehr private Initiative der Schulbildung in Großbritannien helfen würde: Lehrer, Universitäten, Bürgerinitiativen, Eltern oder Unternehmen durften fortan diese staatlich finanzierten Schulen gründen. Sie können den Lehrplan weitgehend selbst bestimmen, die Höhe von Gehältern festlegen und darüber verfügen, welche Regeln die Schüler zu befolgen haben.
Free Schools wie Michaela gibt es seit rund neun Jahren in Großbritannien. Sie sind entstanden, weil die damalige Regierungskoalition aus Konservativen und Liberaldemokraten fest daran glaubte, dass mehr private Initiative der Schulbildung in Großbritannien helfen würde: Lehrer, Universitäten, Bürgerinitiativen, Eltern oder Unternehmen durften fortan diese staatlich finanzierten Schulen gründen. Sie können den Lehrplan weitgehend selbst bestimmen, die Höhe von Gehältern festlegen und darüber verfügen, welche Regeln die Schüler zu befolgen haben.
Kurze Zeit später, am anderen Ende der Stadt: Drei, zwei, eins — Die Lehrerin in einer Mathestunde der Mossbourne Community Academy zählt einen kurzen Countdown hinunter, um die Aufmerksamkeit ihrer neunten Klasse zu erlangen. Mit Erfolg: Als sie bei eins angekommen ist, blicken alle Schülerinnen und Schüler zu ihr auf. Alice Painter, die Koordinatorin der Schule im Bezirk Hackney im Osten Londons, hat die Szene von der Tür des Klassenzimmers aus beobachtet.
"Wir erwarten ordentliches Verhalten und wir erwarten, dass die Lehrer die gesamte Schulstunde über ohne Störungen unterrichten können. Wir haben einfache Regeln, aber die setzen wir rigoros durch."
Die Schulbildung in Großbritannien wurde umgekrempelt
Painter spricht leise und wählt ihre Worte mit Bedacht. Dunkler Blazer, die schulterlangen blonden Haare leicht ergraut. Die stellvertretende Schulleiterin arbeitet an dieser weiterführenden Schule seit ihrer Gründung vor 15 Jahren und kümmert sich um die Zulassung der neuen Schüler. Die Mossbourne Community Academy ist in der relativ kurzen Zeit ihres Bestehens zu einer der berühmtesten Schulen Großbritanniens geworden — und hat einen wesentlichen Teil dazu beigetragen, die Schulbildung nicht nur in Hackney, sondern im gesamten Land gründlich umzukrempeln.
Lange war der Bezirk ein sozial benachteiligtes Arbeiterviertel mit vielen Einwanderern. Als sich später Künstler und Studenten hier niederließen, wurde Hackney auch unter Gutverdienern beliebt. Aber das Schulwesen war marode.
"Als die Schule 2004 eröffnet wurde, gingen um die 40 Prozent der Kinder aus Hackney nicht hier zur Schule, sondern anderswo, weil sie so unzufrieden mit den hiesigen weiterführenden Schulen waren. Mossbourne sollte das ändern und eine Leuchtturmschule sein, um den Kindern aus Hackney ausgezeichnete Bildung zu bieten."
Doch nicht alle Mütter und Väter freuen sich darüber, dass sie in der Nachbarschaft kaum eine Alternative zu den Academies haben, von denen alle ein ähnlich strenges Regiment wie Mossbourne führen.
Welches ist die beste Schule für mein Kind?
Eine von ihnen ist die Marketing-Expertin Katy Beale. Sie und ihr Mann lebten schon in Hackney, als sie noch keine Kinder hatten. Ihr zwölfjähriger Sohn Harper besucht die Mossbourne Victoria Park Academy, einen Ableger der Mossbourne Community Academy.
"Ich habe mich schwer getan mit der Entscheidung, welche die beste Schule für mein Kind ist. Auf der einen Seite steht die Qualität der Bildung, auf der anderen Seite die Frage, wie wohl sich die Kinder an der Schule fühlen. Ich kannte ja Mossbournes Ruf, eine sehr strenge Schule zu sein. Das hämmern sie dir richtig ein."
Diese Ambivalenz empfänden viele, sagt Beale. Die junge Frau trägt ein einfaches helles T-Shirt zu einer bequemen grauen Stoffhose. Sie habe gerade noch in ihrem Schrebergarten gearbeitet, berichtet sie in der modernen Küche ihres viktorianischen Reihenhauses, als ihr Sohn von der Schule nach Hause kommt.
Diese Ambivalenz empfänden viele, sagt Beale. Die junge Frau trägt ein einfaches helles T-Shirt zu einer bequemen grauen Stoffhose. Sie habe gerade noch in ihrem Schrebergarten gearbeitet, berichtet sie in der modernen Küche ihres viktorianischen Reihenhauses, als ihr Sohn von der Schule nach Hause kommt.
"Mum!"
"Hi! You’re alright?"
Kaum dass er ein paar Schritte in die Wohnung gemacht hat, reißt Harper sich das Hemd seiner Schuluniform aus der Hose. Katy kommt ihm im schmalen Flur entgegen.
"What don’t you like about your uniform?"
"It’s really tight and all these buttons and it’s uncomfortable and you can’t reach anywhere."
40 Mal Nachsitzen in einem Schuljahr
Die Uniform sei eng und unbequem, er könne sich darin kaum bewegen, sagt Harper. Der Junge ist schlank und groß, seine blonden Haare sind etwas verwuschelt. Das Revers seines grauen Jacketts ist von einer hellblauen Stoffkante eingefasst. Auf der linken Brust prangt das Logo seiner Schule. Zum weißen Hemd trägt er eine blau-grau gestreifte Krawatte.
"The trouble is that Harper has lost the buttons on his Blazer..."
Die Knöpfe von Harpers Jackett seien abgerissen, sagt seine Mutter Katy. Sie wundere sich, dass er dafür noch nicht nachsitzen musste. Denn das müssten die Schüler oft schon für ein so kleines Vergehen. Ungefähr 40 Mal hat es Harper im vergangenen Schuljahr erwischt — in seinem ersten Jahr nach der Grundschule.
Die Knöpfe von Harpers Jackett seien abgerissen, sagt seine Mutter Katy. Sie wundere sich, dass er dafür noch nicht nachsitzen musste. Denn das müssten die Schüler oft schon für ein so kleines Vergehen. Ungefähr 40 Mal hat es Harper im vergangenen Schuljahr erwischt — in seinem ersten Jahr nach der Grundschule.
"It’s super strict, you know, unnecessarily strict. Can’t touch each other, can’t even high-five your mates."
Viele Regeln seien unnötig streng, sagt Harper und verdreht die Augen, zum Beispiel, dass er nicht mal mit seinen Freunden abschlagen kann, weil Berührungen generell verboten sind — aus Angst, Schüler könnten drangsaliert werden.
"When I come home and my mum is like, give me a hug. And I’m like, wait, what, can I hug you know? Oh yeah, I can."
Als er anfänglich aus der Schule kam und seine Mutter ihn umarmen wollte, musste er erst einmal überlegen, ob es in Ordnung sei, berichtet Harper. Er stöhnt auf, als er an den Motivationsspruch denkt, den sie vor jeder Stunde aufsagen müssen.
Als er anfänglich aus der Schule kam und seine Mutter ihn umarmen wollte, musste er erst einmal überlegen, ob es in Ordnung sei, berichtet Harper. Er stöhnt auf, als er an den Motivationsspruch denkt, den sie vor jeder Stunde aufsagen müssen.
"O my God, yeah, it’s painful. We have to say this… it’s called the reflection."
Reflektion nennen sie dieses Mantra, mit dem Schüler beteuern, dass sie neugierig, ruhig und aufmerksam sein wollen. Harper kann es auswendig.
"Im Laufe dieser Unterrichtsstunde will ich neugierig sein, ruhig bleiben und ein offenes Ohr haben, damit ich in dieser und allen anderen Klassen mein wahres Potenzial entfalten kann."
Er sei trotz allem an der Schule geblieben, sagt Harper, seiner Freunde wegen und weil er sich nicht noch einmal anderswo eingewöhnen wollte. Außerdem fühle er sich hier sicher und lerne viel. Und Katy Beale berichtet, dass sie spüre, wie sehr die Lehrer sich um Harper bemühten.
"Die gute Fürsorge der Lehrer gleicht für mich in gewisser Weise die Strenge an der Schule aus."
Regierung reagierte auf gescheiterte Schulen
An der Stelle, wo heute die moderne Mossborune Community Academy aus Glas, Stahl und Holz steht, war einst die Hackney Downs School beheimatet, eine von der Kommune betriebene Comprehensive School — vergleichbar mit einer deutschen Gesamtschule —, die eher durch Drogendelikte und Gewaltverbrechen von sich reden machte als durch erfolgreichen Unterricht. So wie hier sah es in vielen sozial benachteiligten Gegenden des Landes aus.
Die damalige Labour-Regierung setzte dem ihr Academy-Programm entgegen: Gescheiterte staatliche Schulen sollten durch sogenannte Academies ersetzt werden. Diese werden von Academy-Trusts betrieben, privaten Stiftungen, die nicht mehr der jeweiligen Kommunalverwaltung unterstehen, sondern direkt dem Bildungsministerium. Die Schulen sind weiterhin staatlich finanziert und frei zugänglich, aber den Stiftungen steht es weitgehend frei, wie sie ihr Geld ausgegeben und wie der Lehrplan aussieht. Die Mossbourne Community Academy werde gern als Beweis für den Erfolg des Modells angeführt, erzählt Koordinatorin Alice Painter stolz.
"Wir erzielen herausragende Ergebnisse, wir gehören landesweit durchgängig zum besten Prozent der Schulen. Im vergangenen Jahr haben acht unserer Schüler einen Studienplatz in Oxbridge erhalten. Das ist ein sehr hoher Anteil bei einer Oberstufe von rund 130 Schülern."
Von einem Studium in Oxford oder Cambridge konnten Jugendliche aus Hackney bis dahin nur träumen. Entsprechend hoch sind die Anmeldungen, wenn ein neues Schuljahr bevorsteht.
Klare Werte, hohe Erwartungen, strikte Regeln
Bei einem Tag der offenen Tür in der Mossbourne Academy stimmt der Schulchor in der Turnhalle einen Kanon an, während die Besucher die Stuhlreihen füllen. Die Jungen und Mädchen in grau-roten Schuluniformen singen davon, dass sie neugierig und aufmerksam mitarbeiten wollen, um alles aus sich herauszuholen. Nach dem Gesang ergreift die Schulleiterin Rebecca Warren das Wort.
"Sie wissen womöglich, dass die Mossbourne Community Academy für klare Werte, hohe Erwartungen und strikte Regeln bekannt ist. Wir werden streng sein, aber auch gerecht."
Der Erfolg von Schulen wie der Mossbourne Academy hat dazu beigetragen, dass das Modell sich in ganz Großbritannien durchgesetzt hat. Knapp 7500 Academies gibt es heute. Vor allem unter den weiterführenden Schulen ist ihr Anteil hoch, fast Dreiviertel von ihnen sind Academies. Allerdings könnten bei weitem nicht alle so gute Ergebnisse vorweisen wie Mossbourne, sagt Becky Francis, die das Institut für Erziehungswissenschaft am University College London leitet. Die Professorin berät den Bildungsausschuss im britischen Parlament und hat zu Beginn selbst an Konzepten für Academies mitgearbeitet.
Der Erfolg von Schulen wie der Mossbourne Academy hat dazu beigetragen, dass das Modell sich in ganz Großbritannien durchgesetzt hat. Knapp 7500 Academies gibt es heute. Vor allem unter den weiterführenden Schulen ist ihr Anteil hoch, fast Dreiviertel von ihnen sind Academies. Allerdings könnten bei weitem nicht alle so gute Ergebnisse vorweisen wie Mossbourne, sagt Becky Francis, die das Institut für Erziehungswissenschaft am University College London leitet. Die Professorin berät den Bildungsausschuss im britischen Parlament und hat zu Beginn selbst an Konzepten für Academies mitgearbeitet.
"Zu der Zeit herrschte großes Vertrauen in die Privatwirtschaft. Zugleich misstrauten sie den örtlichen Behörden, die Leistung der Schulen in benachteiligten Gegenden zu verbessern. Sie glaubten, dass sie die Lebenschancen der Kinder verbessern könnten, wenn sie die Schulleiter und die Leitungsgremien austauschen, die Schule mit mehr Geld wiederbeleben und führenden Wirtschaftsvertretern eine Aufgabe in der Verwaltung geben."
Einige Triumphe, aber auch einige düstere Fehlleistungen
Unter der Labour-Regierung wurden anfangs nur rund 200 Schulen in Academies umgewandelt, die besonders schlecht abgeschnitten hatten. Richtig Fahrt nahm das Programm erst auf, als es die nachfolgende Koalitionsregierung aus Konservativen und Liberaldemokraten nach 2010 stark ausweitete. Fortan wurden nicht nur schwächelnde Schulen der Kommunalverwaltung entzogen. Auch besonders gut bewertete Schulen durften selbstständig werden. Zeitgleich wurde die Gründung von freien Schulen zugelassen.
"Einige der Academy-Ketten haben Außergewöhnliches erreicht, leider gibt es aber auch das Gegenteil: Eine größere Gruppe von Schulen, die sich nicht nur nicht verbessert haben, sondern offenbar immer schlechter werden. Was das Versprechen der Academies angeht, die Situation von Schülern in benachteiligten Gegenden zu verbessern, haben wir also ein sehr gemischtes Bild – einige Triumphe, aber auch einige düstere Fehlleistungen."
Sagt Bildungsexpertin Becky Francis. Gegen diese Fehlleistungen regt sich immer häufiger Widerstand: Im ganzen Land gingen Eltern und Schüler in den vergangenen Monaten auf die Straße, wenn wieder eine örtliche Schule übernommen werden sollte. Sie beklagen Intransparenz und fehlende Rechenschaft der privaten Stiftungen. Viele davon sind ihrer Aufgabe nicht gewachsen. Der erste gravierende Fall erschütterte Großbritannien vor knapp zwei Jahren in Wakefield im nordenglischen West Yorkshire.
Im Büro der Lehrergewerkschaft National Education Union im Gemeindezentrum von Wakefield hängen Protestplakate vergangener Kampagnen, daneben Holzregale voller Aktenordner. Es riecht nach altem Papier und kaltem Tee. Von hier aus organisiert Sally Kincaid, die örtliche Vertreterin der Lehrergewerkschaft, ihren Widerstand gegen das Academy-Programm.
"Die Gegend ist ohnehin sozial benachteiligt. Dreiviertel unserer Schulen liegen in ehemaligen Bergarbeiterstädten. Hier, in diesen Schulen, schlug mal das Herz dieser Orte. Jetzt sind sie gar nicht mehr Teil der Gemeinden. Sie gehören irgendeiner großen Kette an."
Das Academy-System - von Grund auf verdorben?
Was sich in Wakefield abgespielt hat, ist Kincaids Ansicht nach ein Beweis dafür, dass das Academy-System von Grund auf verdorben ist. Im September 2017 brach hier der Wakefield City Academies Trust zusammen, eine von zwei Multi-Academy-Trusts, die mehrere Schulen der Region betrieben.
"Als Wakefield City kollabierte, hatten 21 Schulen plötzlich niemanden mehr, der sich um sie kümmerte. Das Bildungsministerium hatte dem Trust noch Schulen zugeteilt, obwohl es schon von finanziellen Problemen und Misswirtschaft im Trust wusste."
8000 Schülerinnen und Schüler waren von dem Kollaps betroffen. Der Wakefield City Academies Trust war die erste von mehreren Stiftungen, die landesweit scheiterten. Selbst Architekten des Academy-Programms räumen heute Fehler ein. Sam Freedman war Berater des damaligen konservativen Bildungsministers Michael Gove, als dieser vor neun Jahren die Academy-Idee drastisch ausweitete.
Freedman schrieb mit Gove die Gesetze, die die Entstehung der großen Academy-Stiftungen ermöglichten.
"Ein Fehler war, dass wir es sehr schnell geschehen ließen. Zu viele Schulen wurden zeitgleich zu Academies umgewandelt. Die Stiftungsketten wuchsen sehr schnell und einige gerieten außer Kontrolle. Sie wurden zu groß und waren nicht mehr in der Lage, ihre Schulen zu verwalten."
Daraus resultierte die Forderung von Politik und Gewerkschaften, dass die Kommunen wieder mehr Mitspracherecht erhalten und sich die Kontrolle über gescheiterte Academies zurückholen können. Auch Politiker der Labour-Partei, die das Academy-Programm einst initiierte, unterstützen dieses Vorgehen. Doch die Tories wollen davon nichts wissen. Das Bildungsministerium der konservativen Regierung hält trotz allem daran fest, dass Academies die besseren Schulen sind. Und die Debatte über einen Exit wird in Großbritannien derzeit woanders geführt.