Adrian Piper
"A Synthesis of Intuitions, 1965 to 2016"
Museum of Modern Art, New York
31.3 - 22.7. 2018
12.4 - 22.9.2019
Haus der Kunst, München
Die Spätgewürdigte
Adrian Piper, Pionierin der konzeptionellen Kunst, beschäftigt sich schon lange mit Themen, die auch heute noch aktuell sind: Rassismus, Sexismus, Kolonialismus und Fremdenfeindlichkeit. Im Museum of Modern Art wird die bisher größte Werkschau der Künstlerin gezeigt.
Das erste, was einem bei dem Besuch von Adrian Pipers Werkschau "A Synthesis of Intuitions, 1965 to 2016" auffällt ist die unerhörte Fülle der ausgestellten Arbeiten: Zeichnungen, Skizzen, Texte, Fotografien, Videos, Sounds, Collagen und Installationen, Performance, Videokunst und digitale Arbeiten – eine intensive Auseinandersetzung über einen Zeitraum von 50 Jahren mit Themen, wie sie aktueller nicht sein können: Rassismus, Sexismus, Armut und Reichtum, Kolonialismus und Fremdenfeindlichkeit.
Mehr als 260 Exponate haben die Kuratoren zusammen mit der Künstlerin ausgesucht. Noch nie zuvor hat das MoMA alle Galerien des sechsten Stockwerks für eine einzige Ausstellung freigegeben. Für Kurator Christophe Cherix eine längst überfällige Geste: "Was ich so erstaunlich finde ist, dass diese Themen von Anfang an im Zentrum von Pipers Arbeit stehen und wir haben nicht richtig hingeschaut. Über die Gesellschaft nachzudenken und wie Kunst helfen kann, sie besser zu verstehen, wie wir miteinander kommunizieren, wie wir uns aufeinander beziehen, wie kritisch oder nicht wir Regeln gehorchen. All dies. Wir waren uns einig, dass sie unter ihren Zeitgenossen nicht gebührend gewürdigt wurde."
Die Fülle ist überwältigend
Zugegeben, die chronologisch strukturierte Ausstellung ist in ihrer Fülle überwältigend, aber man kann hier, vielleicht zum ersten Mal, die großen Bögen ihrer Arbeit sehen. Ob sie nun durch ihr künstlerisches Alter-Ego "The Mythic Being" mit Perücke und Schnauzbart in den 70er Jahren durch Manhattan läuft, in den frühen 80ern Tanzworkshops zu Funk- und Discomusik anbietet, in "Vanilla Nightmares" Zeitungsmeldungen mit Kohlezeichnungen schwarzer nackter Menschen übermalt oder ihre Anti-Visitenkarten verteilt, immer spürt man neben ihrer ungeheuren Kraft, der Lust zu Provozieren und dem ausgeprägten Humor auch die traumatische Erfahrung, als Frau und Afroamerikanerin Objekt gesellschaftlicher Verachtung, Sexismus und Rassismus zu sein. In ihrer berühmten Videoarbeit "Cornered" fordert sie 1988 eine Stellungnahme des Beobachters.
Besonders eindrücklich ist die Installation "What It’s Like, What it Is #3", die 1991 entstand. Ein hoher schneeweißer Raum in hellem Neonlicht, umgeben von Sitzstufen, deren Abschluss oben ein schmales Spiegelband bildet, das den Raum unendlich wiederspiegelt. Merkwürdig von Zeit und Raum entrückt, starrt man auf eine quadratische weiße Säule in der Mitte mit einem Monitor. Ein Mann mit dunkler Hautfarbe schaut direkt zum Beobachter. "Ich bin nicht faul. Ich bin nicht geil. Ich stinke nicht." sagt er.
Der Besucher wird zum Performer
In "The Humming Room", einer für diese Schau etwas umfunktionierten Installation von 2012, darf man einen Teil der Ausstellung nicht betreten, wenn man nicht summend durch einen Verbindungsgang geht. Ein Museumswärter, der sonst darauf aufpasst, dass Kunstwerke nicht berührt werden, besteht nun darauf, der Künstlerin zu gehorchen. Die Installation verlangt vom Besucher eine Entscheidung und macht ihn für kurze Zeit zum Performer.
Für Kurator Christophe Cherix besteht Adrian Pipers ungebrochene Aktualität darin, dass sie auf die Wurzel allen Übels verweist, der Illusion des unschuldigen Zuschauers: "Es geht im Grunde nicht um Rassen- oder Geschlechterrollen, nicht um Sex. All das sind Symptome. Das wirkliche Problem ist nicht Fremdenfeindlichkeit, sondern wie wir sie geschehen lassen, nicht wie wir mit Frauen am Arbeitsplatz oder anderswo umgehen, sondern wie unsere Gesellschaft dies akzeptiert."
Am Ende dieser tief beeindruckenden Ausstellung sieht man Adrian Piper auf dem Alexanderplatz in Berlin tanzen; unter House Musik, die man durch den Lichtschacht bis in die Eingangshalle des MoMA sechs Stockwerke tiefer hören kann. Sie scheint nach 50 Jahren künstlerischen Schaffens nichts von ihrer kraftvollen Lebendigkeit verloren zu haben.