Aeham Ahmad: Und die Vögel werden singen. Ich, der Pianist aus den Trümmern
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017
360 Seiten, 20 Euro
Der Pianist aus den Trümmern
Ein junger Mann sitzt zwischen zerstörten Häusern an einem Klavier und singt: Dieses Bild aus Syrien ging 2014 um die Welt. Es zeigt Aeham Ahmad, den "Pianisten aus den Trümmern". Seit zwei Jahren lebt er in Deutschland − jetzt hat er seine Geschichte in einem Buch erzählt.
Das Klavier ist völlig verstimmt, die Kulisse gespenstisch: Schwarz verkohlte Häuser, deren Fronten bei einem Bombenangriff weggerissen wurden. Aeham Ahmad spielt inmitten von Trümmern.
Mit geschlossenen Augen singt der hagere, junge Mann vor drei Jahren gegen seinen Schmerz an und gegen das Vergessen. Denn die Menschen in Yarmouk, seinem Viertel, eigentlich ein Palästinenser-Lager am Rand von Damaskus, fühlen sich vom Rest der Welt im Stich gelassen.
"Assad hat uns belagern lassen. Sie können das in meinem Buch lesen. Wenn man die Dinge verstehen will, erklärt es ganz gut, wie alles begonnen hat. Wie die palästinensischen Milizen zuerst Assad unterstützt haben und später dann nicht mehr. Daraufhin kam die Blockade für unser Viertel. Die Leute sind vor Hunger gestorben. Und 2015 kam dann auch noch der IS. Es ist egal, dass dessen Leute mein Klavier abgefackelt haben. Syrien war schon vorher in Brand gesetzt worden."
Aeham Ahmad sitzt angespannt auf dem Stuhl eines Frankfurter Cafés. Die Erinnerungen lassen den 29-Jährigen nicht los. Dabei macht er doch so gerne Späße, witzelt mit den Veranstaltern seiner Lesung, umarmt voller Herzenswärme die neuen Bekannten, die ihm dabei helfen, in Deutschland Fuß zu fassen. Vor zwei Jahren ist er aus Syrien hierher geflohen. Seine Frau und seine beiden kleinen Kinder konnte Aeham Ahmad inzwischen nachholen.
"Ich habe jetzt eine Wohnung in Wiesbaden. Ich habe einen Flügel. Eine wunderbare Dame hat ihn mir einfach geschenkt. Meine Frau geht zum Integrationskurs. Meine beiden Jungs gehen in den Kindergarten und lernen Deutsch. Und ich renne von einem Ort zum anderen. 'Los, los, immer weiter', denke ich. Denn, wenn ich nur fünf Minuten da sitze und nachdenke, werde ich verrückt."
Nur in der Musik findet Aeham Ahmad Trost. Er gibt Konzerte, hat mit dem Kasseler Jazz-Musiker Edgar Knecht vor kurzem eine gemeinsame CD herausgebracht.
"Ich mache das, weil ich es mag"
"Ich bin kein großer Künstler. Aber ich finde es großartig, wie Edgar meine ganz eigene Kunst respektiert. Bei zwei meiner Finger wurden die Sehnen von Bombensplittern durchtrennt. Ich kann nicht mehr Rachmaninow spielen wie früher. Und ich habe auch nicht Jazz studiert. Aber ich mache das, weil ich es mag."
Das musikalische Talent wurde Aeham Ahmed vom Vater in die Wiege gelegt. Der Mann ist blind, aber hat sich selbst zum Instrumentenbauer ausgebildet. Schon früh fördert er den Sohn, spart für dessen Klavierstunden. So schafft es Aeham tatsächlich, als Schüler am staatlichen Musikinstitut von Damaskus aufgenommen zu werden. Und dass, obwohl er doch "nur" ein Palästinenserkind ist, aus dem Ghetto von Yarmouk. Später studiert Aeham Ahmad Musikpädagogik, unterrichtet bis zu 200 Schüler. Es geht ihm gut. Doch als in Syrien der Krieg ausbricht, wird Yarmouk vom Assad-Regime zu feindlichem Gebiet erklärt.
Trotzig packt Aeham Ahmad ein Klavier auf einen Rollwagen und singt mitten auf der Straße mit Kindern. Die Musik soll ihnen Freude bereiten, sie ablenken vom Elend des Krieges um sie herum. Doch eines Tages wird ein Mädchen direkt neben dem Klavier von einem Scharfschützen erschossen.
Plötzlich zwitscherten drei Vögel
Aeham Ahmad ist zutiefst erschüttert, zieht sich erst zurück und kehrt irgendwann allein mit seinem Klavier in die Trümmer von Yarmouk zurück. Das berühmte Foto entsteht. Es ist auch auf dem Cover seines Buches abgebildet.
"Und die Vögel werden singen", heißt die Autobiografie. Denn als er an jenem Tag spielte, zwitscherten plötzlich auf einem Balkon gegenüber drei Vögel.
"Es gibt immer Hoffnung",
schreibt Aeham Ahmad am Ende seines zutiefst bewegenden Buches. Er hofft auf Frieden für Syrien.
"Meine Kinder Ahmed und Kinan wachsen jetzt an einem schönen Ort auf. Aber da sind immer noch Kinder, die tagtäglich sterben, in Syrien, auf der Flucht. Und wo sind die Kinder, die mit mir gesungen haben? Die sind immer noch in Yarmouk."