Alles für das Vaterland
Mit Knüppel und Pistole sorgte die spanische Guardia Civil bis zum Tod des Diktators Franco Mitte der Siebzigerjahre dafür, dass nur sein Wille im Land galt. Zwar hat sie sich mit der Demokratisierung verändert, doch an dem Erbe aus der Franco-Ära trägt die Guardia Civil bis heute.
Cabo Carlos: "Also, hier ist eine Bar mit Zapfhahn, wo wir uns regelmäßig nach der Arbeit treffen. Dann trinken wir Bier. Am Wochenende kommen die Familien zusammen, um gemeinsam eine Paella zuzubereiten. So ist das Leben in einem Casa Cuartel."
Zu Besuch in der neuen Polizeikaserne von San Agustín de Guadalix, eine von Lagerhallen und neuen Siedlungen geprägte spanische Schlafstadt, 30 Kilometer nördlich von Madrid gelegen.
Wie in San Agustín de Guadalix lebt ein großer Teil der Guardia Civil, einer paramilitärischen Polizeieinheit Spaniens, in sogenannten "Casa Cuartels", eine Mischung zwischen Kaserne und Polizeirevier, mit Wohnungen für die Polizisten und ihre Familien, meist deutlich getrennt von den übrigen Wohnvierteln und umgeben von hohen Mauern. Die hiesige Kaserne wurde erst vor einem Jahr errichtet. Entsprechend hoch sind die Sicherheitsstandards:
"Überall gibt es Kameras, aber nebenan, das ist eine Schule, kein Wohnhaus, darum wird uns auch keiner überfallen. Und hier ist ein kleiner Spielplatz auf dem Gelände für die kleinen Kinder.""
Im 19. Jahrhundert wurden die Polizeikasernen der Guardia Civil in den Dörfern Spaniens angelegt, um der Landbevölkerung staatliche Präsenz und Stärke zu demonstrieren. "Die Regierung muss zum Schutz von Personen und Besitz über eine Einheit in ständiger Bereitschaft verfügen", hieß es im Gründungserlass von 1844. Die einem strengen militärischen Regiment unterstellte Guardia Civil sicherte die Macht der jeweiligen Zentralregierung. Die Errichtung von eigenen Kasernen diente nicht zuletzt dazu, einen allzu engen Kontakt zur Bevölkerung zu vermeiden.
Heute sollen die Kasernen die Guardias auch vor Anschlägen von Gruppen wie der baskischen ETA schützen, die bereits Dutzenden Polizisten das Leben kosteten. Carlos Boladrón, Leiter der Kaserne in San Agustín de Guadalix:
"Ich habe keine Angst, ich fühle mich vollkommen sicher. Damit das so ist, müssen wir stets wachsam sein und uns auf alle Eventualitäten vorbereiten. Gefährlich wird es, wenn man sich entspannt und die Sicherheitsmaßnahmen außer Acht lässt.
Wir müssen immer darauf aufpassen, ob es jemanden gibt, der uns mit einer Kamera fotografiert. Oder ob ein Auto innerhalb unserer Sicherheitszone parkt. Derjenige, der im Eingangsbereich Dienst tut, muss das überwachen."
Vor allem unter Franco wurde die spanische Guardia Civil als Repressionsinstrument gegen politisch Andersdenkende genutzt. Bis heute sieht ein Teil der Spanier in der Guardia Civil ein Relikt aus vergangener Zeit. Ramón González, ein junger Anthropologe:
"Die Guardia Civil repräsentiert das alte Spanien, es ist eine Dorfpolizei, die sehr konservativ ist. Die Polizisten sind bornierte und rohe Typen. Die nichts machen - außer vielleicht Drogen klauen. Ihr Gesetz sagt: Ich bin das Recht. Das typische Symbol eines Guardias ist sein Tricornio - eine absurde Kopfbedeckung aus Plastik, die wie eine Narrenkappe aussieht."
Heute tragen die Angehörigen der Guardia Civil ihr Tricornio, eine Art spanische Variante der preußischen Pickelhaube, nur noch zu besonderen Anlässen. 35 Jahre sind seit dem Tod Francos vergangen. Inzwischen decken sich die Aufgaben der kasernierten Polizei neben Sonderfunktionen wie Terrorismusbekämpfung und Grenzschutz weitgehend mit denen anderer Polizeieinheiten des Landes.
Dennoch ist manchem die Institution der Guardia Civil unheimlich geblieben. Eine Mehrheit hat dagegen, wie Umfragen zeigen, mittlerweile ein positives Bild.
Es war die sozialistische Regierung unter Felipe González, die ab 1982 vorsichtige Reformen einleitete. Vier Jahre nach Amtsantritt wagte es Regierungschef González, das Kommando der trotz ihres Namens "Zivilgarde" stets dem Militär unterstellten Guarde erstmalig einem Zivilisten zu übertragen. Damit war der Reformwille der Sozialisten allerdings erschöpft. Die Guardia Civil blieb ein Zwitter. Cabo Carlos Boladrón aus der Kaserne von San Agustín:
"Selbstverständlich gibt es Dinge, die man verbessern könnte. Aber das liegt nicht in meiner Hand. Außerdem hat sich schon vieles verändert, auch wenn es ein langsamer Prozess ist. Als ich angefangen habe, gab es deutlich härtere militärische Vorschriften.
Heute ist es eine ganz normale Arbeit, die bestimmten Regeln folgt, wo es Chefs gibt, die man respektieren muss. Genauso wie andere meinen Anweisungen Folge leisten müssen. Was ich ändern würde? Natürlich würde ich mich über einen besseres Gehalt freuen ... "
Einen Tag später bei der Organisation AUGC, einer Interessenvertretung der Guardias. Das schmucklose Büro liegt im Souterrain eines Wohnhauses in Madrid. In drei kleinen Zimmern stapeln sich auf dem Boden und den Schreibtischen Berge von Akten und Werbebroschüren. Fast 40 Prozent der rund 70.000 Guardias sind dort organisiert. Die AUGC hat alle Hände voll zu tun, weil es ständig Konflikt e mit Vorgesetzten gibt. Denn bis heute dürfen die Guardias keine Gewerkschaften gründen.
Die in der AUGC organisierten Polizisten sehen den Zustand der Guardia Civil sehr kritisch: Enrique Borja, der mit seiner Ehefrau außerhalb einer Kaserne lebt.
"Wer in einer Kaserne lebt, trifft ständig seine Vorgesetzten, mit denen es unter Umständen vorher Probleme gab. Wenn man außerhalb wohnt, gibt es normale Nachbarn, mit denen man sich unterhalten kann. In einem Casa Cuartel kann man der Arbeit nie entgehen."
Enriques Frau Maria Teresa kommt aus einer Guardia Civil-Familie und ist in einer Polizeikaserne aufgewachsen. Sie weiß, dass moderne Kasernen wie die in San Agustín eine Ausnahme sind: Viele andere sind stattdessen in alten, zum Teil denkmalgeschützten, Gebäuden untergebracht, die häufig baufällig sind, weil Geld für die Renovierung fehlt.
Maria Teresa Camporico: "Bis zum Alter von 20 Jahren habe ich in einem Casa Cuartel gewohnt. Als Kind war das eine schöne Zeit. Doch dann habe ich einen Guardia Civil geheiratet und wieder in einer Kaserne gelebt. Da hatte sich meine Meinung schon geändert.
Zum einem, weil der Zustand vieler Gebäude sehr schlecht ist und sie nicht gepflegt werden. Zum anderen, was die Sicherheit betrifft. Ich lebe jetzt in einer Wohnung außerhalb der Kaserne, wo ich mich persönlich erheblich sicherer fühle."
Enrique Borja äußert sich ebenfalls kritisch:
"Das Problem ist, dass viele Angst haben, offen zu reden. Bis vor einem Jahr dachten viele, die Interessenvertretungen der Guardias seien illegal. Es gab Vorgesetzte, die Untergebene gemobbt haben, weil sie sich ihnen angeschlossen haben.
Viele denken, wir seien gegen die Guardia Civil, aber das stimmt nicht. Wir sind vielleicht größere Liebhaber der Guardia Civil, als manch einer von denen, die sagen, sie seien Militärs, die echten Guardias."
Bis heute können die Guardias bei Fehlverhalten nach strengen militärischen Strafgesetzen verurteilt werden.
Es ist nicht zuletzt der militärische Charakter der Guardia Civil, der in den letzten Jahren innerhalb der Einheiten in die Kritik geraten ist. Auch dagegen protestierten die rund 10.000 Angehörigen der Truppen, als sie sich unter dem Motto Würde und Demokratie zu einer Demonstration am Plaza Mayor in Madrid versammelten.
Enrique Borja: "Da gibt es völlig ungemessene Strafen – wie im Krieg. Eine Polizistin hat zum Beispiel am Heiligabend während ihres Dienstes kurz ihren Zuständigkeitsbereich verlassen, um ihren Kollegen zu Weihnachten zu gratulieren. Daraufhin wurde sie nach militärischem Recht zu drei Monaten Militärgefängnis verurteilt.
Heute könnten auch interne disziplinarische Strafen zur Anwendung kommen – das wären bei einem solchen Vergehen maximal fünf Tage Lohnabzug. Aber es ist der Vorgesetzte, der – je nachdem, ob er dich mag oder nicht – entscheidet, ob das militärische Strafrecht oder die internen disziplinarischen Maßnahmen angewendet werden. Das ist völlig unlogisch."
Juan Antonio Delgado: "Warum haben weder die Führung der Guardia Civil noch die Regierung Interesse an Reformen? Weil die Angehörigen der Guardia Civil im Vergleich niedrigere Löhne als andere Polizisten bekommen und mehr arbeiten müssen. Was bedeutet das? Dass eine Militärpolizei billig und gefügig ist."
Für Juan Antonio Delgado, den Pressesprecher der Interessensvertretung der Garde, liegt der Hauptgrund für den politischen Reformunwillen am Geldmangel, darin, dass jede Reform kosten würde. Außerdem tun sich Spaniens regierende Sozialisten wohl auch deshalb mit einer grundlegenden Neustrukturierung der traditionellen Militärpolizei schwer, weil sie die Wähler aus dem rechten Spektrum nicht verprellen wollen. Gleichzeitig steht die weiter existierende militärische Organisation der Guardia Civil zunehmend in einem eigentümlichen Kontrast zur Demokratisierung Spaniens nach Francos Tod.
Juan Antonio Delgado: "Wir glauben, dass eine Militärpolizei im vereinigten Europa der Vergangenheit, dem 19. Jahrhundert angehört – nur in wenigen der entwickelten Ländern gibt es noch eine solche Militärpolizei. Darum fordern wir unter anderem die Abschaffung des militärischen Strafrechts, gerechtere Regelungen zur Arbeitszeit und bessere Arbeitsbedingungen.
Denn die Selbstmordrate bei der Guardia Civil hat eine Rekordhöhe. Man versucht, das zu verheimlichen, weil man ja nichts ändern will. Aber es steht fest, dass die Selbstmordrate innerhalb der Guardia fünf Mal höher ist als im gesellschaftlichen Vergleich."
Am "Palacio Real", dem Königspalast in Madrid: Neben einem Straßenmusikanten stehen Guardias Civiles in ihren grünen Uniformen und bewachen das Eingangstor. Sie tragen die traditionelle Kopfbedeckung, den trapezförmigen Dreispitz, der mit schwarzer Lackfarbe überzogen ist. Neben der Guardia Civil gibt es die Lokalpolizei, die an ihren schwarzen Uniformen zu erkennen ist, und die blau gekleidete Nationalpolizei, deren Uniformen als Erkennungszeichen die rot-gelb-rote spanische Flagge zieren.
Gebäudeschutz, wie der vor dem Madrider Königspalast, zählt zu den Spezialaufgaben der Guardia Civil. Daneben ist sie für den Verkehr auf allen Überlandstraßen zuständig, für die Bekämpfung von Schmuggel und Terrorismus, die Überwachung der Grenzen und Küsten und für die Sicherheit an Häfen und zum Teil auch an Flughäfen.
Weil es gleich drei verschiedene Polizeiorgane in Spanien gibt, kommt es immer wieder zu Kompetenzgerangel, was auch an der Aufgabenverteilung liegt. So darf die Lokalpolizei zwar Drogen sicherstellen, aber nicht beschlagnahmen. Das ist Aufgabe der Guardia Civil. Die Ermittlungen zur Straftat führt wiederum die Nationalpolizei durch, in deren Zuständigkeit Drogenhandel und organisiertes Verbrechen fallen.
Die meisten Spanier machen heute kaum mehr einen Unterschied zwischen den verschiedenen Polizeieinheiten. Von systematischen Menschenrechtverletzungen durch die Guardia Civil wie unter Franco ist nichts mehr zu hören. Da haben inzwischen die besonderen Polizeieinheiten der Autonomieregionen Spaniens einen deutlich schlechteren Ruf. Besonders die katalanischen "Mossos d'Esquadra" sind wegen ihres oft brutalen Vorgehens gefürchtet. Die Guardia Civil sei dagegen längst eine normale Polizeieinheit geworden.
Selbst Spanier, für die die Guardia Civil bis heute die Franco-Diktatur symbolisiert, räumen ein, dass sich die Zeiten inzwischen geändert haben. Der Anthropologe Ramón González:
"Wer heute zur Guardia Civil geht, macht dies nicht, weil er zum Militär will, sondern weil es eine Arbeit ist, die ein festes Gehalt bringt. Man hat auch keine Angst mehr vor den Guardias. Respekt natürlich schon, weil sie einem Schaden zufügen können.
In Spanien gibt es aber auch nur sehr wenige Fälle von polizeilicher Folter. In Ländern Südamerikas oder in Mexiko muss man vielleicht Angst vor dem Militär und der Polizei haben, bei uns allenfalls Respekt."
Zu Besuch in der neuen Polizeikaserne von San Agustín de Guadalix, eine von Lagerhallen und neuen Siedlungen geprägte spanische Schlafstadt, 30 Kilometer nördlich von Madrid gelegen.
Wie in San Agustín de Guadalix lebt ein großer Teil der Guardia Civil, einer paramilitärischen Polizeieinheit Spaniens, in sogenannten "Casa Cuartels", eine Mischung zwischen Kaserne und Polizeirevier, mit Wohnungen für die Polizisten und ihre Familien, meist deutlich getrennt von den übrigen Wohnvierteln und umgeben von hohen Mauern. Die hiesige Kaserne wurde erst vor einem Jahr errichtet. Entsprechend hoch sind die Sicherheitsstandards:
"Überall gibt es Kameras, aber nebenan, das ist eine Schule, kein Wohnhaus, darum wird uns auch keiner überfallen. Und hier ist ein kleiner Spielplatz auf dem Gelände für die kleinen Kinder.""
Im 19. Jahrhundert wurden die Polizeikasernen der Guardia Civil in den Dörfern Spaniens angelegt, um der Landbevölkerung staatliche Präsenz und Stärke zu demonstrieren. "Die Regierung muss zum Schutz von Personen und Besitz über eine Einheit in ständiger Bereitschaft verfügen", hieß es im Gründungserlass von 1844. Die einem strengen militärischen Regiment unterstellte Guardia Civil sicherte die Macht der jeweiligen Zentralregierung. Die Errichtung von eigenen Kasernen diente nicht zuletzt dazu, einen allzu engen Kontakt zur Bevölkerung zu vermeiden.
Heute sollen die Kasernen die Guardias auch vor Anschlägen von Gruppen wie der baskischen ETA schützen, die bereits Dutzenden Polizisten das Leben kosteten. Carlos Boladrón, Leiter der Kaserne in San Agustín de Guadalix:
"Ich habe keine Angst, ich fühle mich vollkommen sicher. Damit das so ist, müssen wir stets wachsam sein und uns auf alle Eventualitäten vorbereiten. Gefährlich wird es, wenn man sich entspannt und die Sicherheitsmaßnahmen außer Acht lässt.
Wir müssen immer darauf aufpassen, ob es jemanden gibt, der uns mit einer Kamera fotografiert. Oder ob ein Auto innerhalb unserer Sicherheitszone parkt. Derjenige, der im Eingangsbereich Dienst tut, muss das überwachen."
Vor allem unter Franco wurde die spanische Guardia Civil als Repressionsinstrument gegen politisch Andersdenkende genutzt. Bis heute sieht ein Teil der Spanier in der Guardia Civil ein Relikt aus vergangener Zeit. Ramón González, ein junger Anthropologe:
"Die Guardia Civil repräsentiert das alte Spanien, es ist eine Dorfpolizei, die sehr konservativ ist. Die Polizisten sind bornierte und rohe Typen. Die nichts machen - außer vielleicht Drogen klauen. Ihr Gesetz sagt: Ich bin das Recht. Das typische Symbol eines Guardias ist sein Tricornio - eine absurde Kopfbedeckung aus Plastik, die wie eine Narrenkappe aussieht."
Heute tragen die Angehörigen der Guardia Civil ihr Tricornio, eine Art spanische Variante der preußischen Pickelhaube, nur noch zu besonderen Anlässen. 35 Jahre sind seit dem Tod Francos vergangen. Inzwischen decken sich die Aufgaben der kasernierten Polizei neben Sonderfunktionen wie Terrorismusbekämpfung und Grenzschutz weitgehend mit denen anderer Polizeieinheiten des Landes.
Dennoch ist manchem die Institution der Guardia Civil unheimlich geblieben. Eine Mehrheit hat dagegen, wie Umfragen zeigen, mittlerweile ein positives Bild.
Es war die sozialistische Regierung unter Felipe González, die ab 1982 vorsichtige Reformen einleitete. Vier Jahre nach Amtsantritt wagte es Regierungschef González, das Kommando der trotz ihres Namens "Zivilgarde" stets dem Militär unterstellten Guarde erstmalig einem Zivilisten zu übertragen. Damit war der Reformwille der Sozialisten allerdings erschöpft. Die Guardia Civil blieb ein Zwitter. Cabo Carlos Boladrón aus der Kaserne von San Agustín:
"Selbstverständlich gibt es Dinge, die man verbessern könnte. Aber das liegt nicht in meiner Hand. Außerdem hat sich schon vieles verändert, auch wenn es ein langsamer Prozess ist. Als ich angefangen habe, gab es deutlich härtere militärische Vorschriften.
Heute ist es eine ganz normale Arbeit, die bestimmten Regeln folgt, wo es Chefs gibt, die man respektieren muss. Genauso wie andere meinen Anweisungen Folge leisten müssen. Was ich ändern würde? Natürlich würde ich mich über einen besseres Gehalt freuen ... "
Einen Tag später bei der Organisation AUGC, einer Interessenvertretung der Guardias. Das schmucklose Büro liegt im Souterrain eines Wohnhauses in Madrid. In drei kleinen Zimmern stapeln sich auf dem Boden und den Schreibtischen Berge von Akten und Werbebroschüren. Fast 40 Prozent der rund 70.000 Guardias sind dort organisiert. Die AUGC hat alle Hände voll zu tun, weil es ständig Konflikt e mit Vorgesetzten gibt. Denn bis heute dürfen die Guardias keine Gewerkschaften gründen.
Die in der AUGC organisierten Polizisten sehen den Zustand der Guardia Civil sehr kritisch: Enrique Borja, der mit seiner Ehefrau außerhalb einer Kaserne lebt.
"Wer in einer Kaserne lebt, trifft ständig seine Vorgesetzten, mit denen es unter Umständen vorher Probleme gab. Wenn man außerhalb wohnt, gibt es normale Nachbarn, mit denen man sich unterhalten kann. In einem Casa Cuartel kann man der Arbeit nie entgehen."
Enriques Frau Maria Teresa kommt aus einer Guardia Civil-Familie und ist in einer Polizeikaserne aufgewachsen. Sie weiß, dass moderne Kasernen wie die in San Agustín eine Ausnahme sind: Viele andere sind stattdessen in alten, zum Teil denkmalgeschützten, Gebäuden untergebracht, die häufig baufällig sind, weil Geld für die Renovierung fehlt.
Maria Teresa Camporico: "Bis zum Alter von 20 Jahren habe ich in einem Casa Cuartel gewohnt. Als Kind war das eine schöne Zeit. Doch dann habe ich einen Guardia Civil geheiratet und wieder in einer Kaserne gelebt. Da hatte sich meine Meinung schon geändert.
Zum einem, weil der Zustand vieler Gebäude sehr schlecht ist und sie nicht gepflegt werden. Zum anderen, was die Sicherheit betrifft. Ich lebe jetzt in einer Wohnung außerhalb der Kaserne, wo ich mich persönlich erheblich sicherer fühle."
Enrique Borja äußert sich ebenfalls kritisch:
"Das Problem ist, dass viele Angst haben, offen zu reden. Bis vor einem Jahr dachten viele, die Interessenvertretungen der Guardias seien illegal. Es gab Vorgesetzte, die Untergebene gemobbt haben, weil sie sich ihnen angeschlossen haben.
Viele denken, wir seien gegen die Guardia Civil, aber das stimmt nicht. Wir sind vielleicht größere Liebhaber der Guardia Civil, als manch einer von denen, die sagen, sie seien Militärs, die echten Guardias."
Bis heute können die Guardias bei Fehlverhalten nach strengen militärischen Strafgesetzen verurteilt werden.
Es ist nicht zuletzt der militärische Charakter der Guardia Civil, der in den letzten Jahren innerhalb der Einheiten in die Kritik geraten ist. Auch dagegen protestierten die rund 10.000 Angehörigen der Truppen, als sie sich unter dem Motto Würde und Demokratie zu einer Demonstration am Plaza Mayor in Madrid versammelten.
Enrique Borja: "Da gibt es völlig ungemessene Strafen – wie im Krieg. Eine Polizistin hat zum Beispiel am Heiligabend während ihres Dienstes kurz ihren Zuständigkeitsbereich verlassen, um ihren Kollegen zu Weihnachten zu gratulieren. Daraufhin wurde sie nach militärischem Recht zu drei Monaten Militärgefängnis verurteilt.
Heute könnten auch interne disziplinarische Strafen zur Anwendung kommen – das wären bei einem solchen Vergehen maximal fünf Tage Lohnabzug. Aber es ist der Vorgesetzte, der – je nachdem, ob er dich mag oder nicht – entscheidet, ob das militärische Strafrecht oder die internen disziplinarischen Maßnahmen angewendet werden. Das ist völlig unlogisch."
Juan Antonio Delgado: "Warum haben weder die Führung der Guardia Civil noch die Regierung Interesse an Reformen? Weil die Angehörigen der Guardia Civil im Vergleich niedrigere Löhne als andere Polizisten bekommen und mehr arbeiten müssen. Was bedeutet das? Dass eine Militärpolizei billig und gefügig ist."
Für Juan Antonio Delgado, den Pressesprecher der Interessensvertretung der Garde, liegt der Hauptgrund für den politischen Reformunwillen am Geldmangel, darin, dass jede Reform kosten würde. Außerdem tun sich Spaniens regierende Sozialisten wohl auch deshalb mit einer grundlegenden Neustrukturierung der traditionellen Militärpolizei schwer, weil sie die Wähler aus dem rechten Spektrum nicht verprellen wollen. Gleichzeitig steht die weiter existierende militärische Organisation der Guardia Civil zunehmend in einem eigentümlichen Kontrast zur Demokratisierung Spaniens nach Francos Tod.
Juan Antonio Delgado: "Wir glauben, dass eine Militärpolizei im vereinigten Europa der Vergangenheit, dem 19. Jahrhundert angehört – nur in wenigen der entwickelten Ländern gibt es noch eine solche Militärpolizei. Darum fordern wir unter anderem die Abschaffung des militärischen Strafrechts, gerechtere Regelungen zur Arbeitszeit und bessere Arbeitsbedingungen.
Denn die Selbstmordrate bei der Guardia Civil hat eine Rekordhöhe. Man versucht, das zu verheimlichen, weil man ja nichts ändern will. Aber es steht fest, dass die Selbstmordrate innerhalb der Guardia fünf Mal höher ist als im gesellschaftlichen Vergleich."
Am "Palacio Real", dem Königspalast in Madrid: Neben einem Straßenmusikanten stehen Guardias Civiles in ihren grünen Uniformen und bewachen das Eingangstor. Sie tragen die traditionelle Kopfbedeckung, den trapezförmigen Dreispitz, der mit schwarzer Lackfarbe überzogen ist. Neben der Guardia Civil gibt es die Lokalpolizei, die an ihren schwarzen Uniformen zu erkennen ist, und die blau gekleidete Nationalpolizei, deren Uniformen als Erkennungszeichen die rot-gelb-rote spanische Flagge zieren.
Gebäudeschutz, wie der vor dem Madrider Königspalast, zählt zu den Spezialaufgaben der Guardia Civil. Daneben ist sie für den Verkehr auf allen Überlandstraßen zuständig, für die Bekämpfung von Schmuggel und Terrorismus, die Überwachung der Grenzen und Küsten und für die Sicherheit an Häfen und zum Teil auch an Flughäfen.
Weil es gleich drei verschiedene Polizeiorgane in Spanien gibt, kommt es immer wieder zu Kompetenzgerangel, was auch an der Aufgabenverteilung liegt. So darf die Lokalpolizei zwar Drogen sicherstellen, aber nicht beschlagnahmen. Das ist Aufgabe der Guardia Civil. Die Ermittlungen zur Straftat führt wiederum die Nationalpolizei durch, in deren Zuständigkeit Drogenhandel und organisiertes Verbrechen fallen.
Die meisten Spanier machen heute kaum mehr einen Unterschied zwischen den verschiedenen Polizeieinheiten. Von systematischen Menschenrechtverletzungen durch die Guardia Civil wie unter Franco ist nichts mehr zu hören. Da haben inzwischen die besonderen Polizeieinheiten der Autonomieregionen Spaniens einen deutlich schlechteren Ruf. Besonders die katalanischen "Mossos d'Esquadra" sind wegen ihres oft brutalen Vorgehens gefürchtet. Die Guardia Civil sei dagegen längst eine normale Polizeieinheit geworden.
Selbst Spanier, für die die Guardia Civil bis heute die Franco-Diktatur symbolisiert, räumen ein, dass sich die Zeiten inzwischen geändert haben. Der Anthropologe Ramón González:
"Wer heute zur Guardia Civil geht, macht dies nicht, weil er zum Militär will, sondern weil es eine Arbeit ist, die ein festes Gehalt bringt. Man hat auch keine Angst mehr vor den Guardias. Respekt natürlich schon, weil sie einem Schaden zufügen können.
In Spanien gibt es aber auch nur sehr wenige Fälle von polizeilicher Folter. In Ländern Südamerikas oder in Mexiko muss man vielleicht Angst vor dem Militär und der Polizei haben, bei uns allenfalls Respekt."