Andreas Bernard: "Komplizen des Erkennungsdienstes. Das Selbst in der digitalen Kultur"
Verlag S. Fischer, Frankfurt/Main 2017
240 Seiten, 24 Euro
Warum wir so gern unsere Daten preisgeben
Ob Fitnesstracker, GPS oder Facebook-Profil: Wir geben intimste Daten preis - und machen uns so zu Komplizen von Erkennungsdiensten und Datenkraken. Dass dahinter mehr steckt als nur Gedankenlosigkeit, zeigt Andreas Bernard in "Komplizen des Erkennungsdienstes".
Persönliche Profile sind die modernen Austausch-Knotenpunkte im Internet: Auf Facebook, LinkedIn, Instagram und in tausenden von kleineren Foren geben Nutzerinnen und Nutzer des World Wide Web bereitwillig und flächendeckend ihre beruflichen Werdegänge und politischen Überzeugungen preis. Sie lassen sich über ihre privaten Vorlieben und Abneigungen aus, senden ihr Konterfei und nicht selten auch ihre Adresse und Mobilfunknummer gleich anbei.
In seinem scharfsinnigen und verstörenden Buch "Komplizen des Erkennungsdienstes" zeichnet Andreas Bernard den düsteren Werdegang des modernen digitalen Profils nach: Es stammt aus Psychiatrie und Kriminalistik – noch vor 25 Jahren waren nur Serienmörder oder Psychiatriepatienten Gegenstand eines "Profils".
Mit GPS legen wir uns selbst elektronische Fußfesseln an
So gründlich, wie der Kulturwissenschaftler die Geschichte der freiwilligen Selbstentblößung und ausufernden Fremderfassung durch datensammelnde Konzerne wie Google oder Amazon Revue passieren lässt, widmet er sich auch weiteren Erfassungsformen der digitalen Welt: Die elektronische Fußfessel, die man noch vor einigen Jahren brauchte, um den Aufenthaltsort eines Menschen aus der Ferne zu protokollieren und zu kontrollieren, ist zu den GPS-Gadgets von Apple, Google & Co. mutiert. Minutiös schneiden sie mit, wie ein Mensch sich täglich bewegt, sofern Nutzerin und Nutzer dies in den Tiefen ihrer Handyeinstellungen nicht zu verhindern wissen.
Ihren Anfang nahm, so der Autor, die Positionsbestimmung per GPS-Signal in der Militärforschung, als es darum ging, die Position feindlicher Raumflugkörper exakt zu bestimmen. Und was früher der Lügendetektor maß, um Verbrecher zu überführen – Blutdruck, Schweißfluss, Herzschlag – liefern heute ungleich ausgefuchster Gesundheitsarmbänder, die den körperlichen Zustand ihres Trägers lückenlos überwachen und der digitalen Öffentlichkeit präsentieren.
Hinter der Selbstüberwachung stehen ökonomische Zwänge
Doch geschieht alles das tatsächlich so gedankenlos und freiwillig, wie es oberflächlich scheinen mag? Andreas Bernards Buch gewinnt an Tiefe, wenn es die ökonomische Zwänge in den Blick nimmt, die hinter der modernen Selbstüberwachung, aber auch hinter den ausufernden Wettbewerbsvergnügungen in Internet und Privatfernsehen stehen – Model- und Superstarwahlen, Sternchenvergaben, Ratinglisten, Daumen rauf und Daumen runter.
Das moderne Selbst bringt sich fortwährend in Evaluierungslagen – die Technologie befördert das, die Wurzel solchen Verhaltens liegen jedoch in den massiven Umstellungen auf dem Arbeitsmarkt seit den 1980er-Jahren. Stabile Arbeitsverhältnisse sind weitgehend passé. Mehr als kurzfristige Honorarverträge können selbst hochqualifizierte junge Menschen oft jahrelang nicht ergattern. Da heißt es, sich profilieren und präsentieren – allzeit bereit, im Konkurrenzkampf durch geschicktes Eigenmarketing den Kopf über Wasser zu halten.
Neoliberalismus trifft auf Selbstermächtigung
Am Anfang des Cyberspace standen emanzipatorischen Ideen, erinnert Andreas Bernard in seinem wichtigen und überaus lesenswerten Buch: Selbstermächtigung, gleichberechtigte Vernetzung. Sie sind mit Neoliberalismus und Profitstreben so eng zusammengewachsen, dass man die Fugen kaum noch sieht.