Andy Weir: "Artemis"
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski
Heyne, München 2018
432 Seiten, 15 Euro
Reflektion über das Hier und Jetzt
Mit "Der Marsianer" etablierte sich Andy Weir aus dem Stand als Bestseller-Autor. Das gelang ihm auch, weil er ganz in Ruhe das Wissen der Internet-Communitys anzapfen konnte. Sein zweiter Roman spielt nun auf dem Mond, fällt jedoch im Vergleich enttäuschend aus.
Hinter dem Erfolg des Mega-Bestsellers "Der Marsianer" steckte eine dieser unglaublichen Vom-Teller-Wäscher-Zum-Millionär-Geschichten: Da veröffentlichte der Programmierer-Nobody Andy Weir im Jahre 2011 einen Fortsetzungsroman auf seiner Webseite – und erreichte damit so viele Leser, dass schließlich ein Verlag anbiss und eine Verfilmung folgte.
Seinen ersten Roman schrieb Weir im Netz
Die Bestseller-Sensation wurde so zum Symbol für die Hoffnung der Verlage, im Internet und unter den Selbstverlegern neue Talente zu finden. Die Story über den Astronauten Mark Watney, der allein auf dem Mars zurückgelassen wird und wie ein MacGyver der Raumfahrt ums Überleben kämpfen muss, war allerdings auch deshalb in aller Munde, weil sie eine Brücke zwischen der tendenziell nerdigen Welt der Science-Fiction-Leser und dem Mainstream baute.
Andy Weir hatte das Schwarm-Wissen seiner ersten Leser genutzt und mit ihnen zusammen wissenschaftliche Fakten so geschickt in seine Geschichte eingebaut, dass sie jedem verständlich wurden. Da stellt sich die Frage, ob Andy Weir das Kunststück wiederholen kann, jetzt, da er statt Testlesern im Netz Verlag, Lektor, Agent und Hollywood-Deal im Rücken hat.
Vom Mars zum Mond
In seinem zweiten Roman "Artemis" hat er die Handlung auf den Mond verlegt. Seine Protagonistin ist Jazz Bashra, eine 26-jährige säkulare Muslimin saudi-arabischer Herkunft, die seit ihrem sechsten Lebensjahr in der ersten und einzigen Stadt im Weltall lebt. Artemis ist ein Touristenmagnet, der Platz in den fünf Blasen, aus denen die Stadt besteht, ist begrenzt und sehr teuer. Und so schlägt sich Jazz als Schmugglerin durch, um sich ein gerade einmal sarggroßes "Appartement" leisten zu können. Bei ihren Botengängen kommt sie dem organisierten Verbrechen auf die Spur, das versucht, die Mondstadt zu unterwandern.
Weir setzt auf seine bewährten Mittel: Auch diesmal schafft er Spannungsmomente aus dem Kontrast zwischen der für den Menschen tödlichen Umgebung des Alls und dem Entdeckerdrang der Protagonisten. Die Story ist erneut gespickt mit allerlei wissenschaftlichen Exkursen, die die beschriebene Zukunft ganz real erscheinen lassen.
Jazz Bahara flucht so leidenschaftlich wie Mark Watney – und Weir macht wieder deutlich, dass sich die Raumfahrt nicht für nationalistische Zwecke eignet, die Bevölkerung seiner Mondstadt hat er international zusammengewürfelt. Alles gute Voraussetzungen für einen zweiten internationalen Bestseller, könnte man meinen. Trotzdem fügen sich die bewährten Elemente diesmal nicht zu einem stimmigen Ganzen zusammen: Sie wirken wie auf dem Reißbrett entworfen.
Gute Literatur entsteht nicht am Fließband
Gute Science-Fiction ist immer ein Beitrag zur aktuellen Lage und führt oft mitten in den politischen Diskurs. Indem sie anregt, über die Zukunft nachzudenken, zwingt sie den Leser auch, über das Hier und Jetzt zu reflektieren. Andy Weir, das merkt man "Artemis" an, mangelt es da nicht an Potential. Die Idee einer Mondstadt, die Idee des Mondtourismus und auch die Vorstellung davon, dass die Menschheit ins All expandiert, all das könnte schon bald Realität werden und sollte deshalb unbedingt diskutiert werden.
Aber dieser Folgeroman zeigt einmal mehr: Gute Literatur entsteht nicht am Fließband. Das Schriftsteller-Dasein ist ein einsames Geschäft. Ob Quereinsteiger oder alter Hase: Eine gute Geschichte braucht manchmal einfach Zeit, um sich zu entwickeln. Diese Zeit scheint Andy Weir diesmal nicht bekommen zu haben. Hollywood scharrt schon mit den Füßen, 20th-Century Fox hat angekündigt, auch "Artemis" verfilmen zu wollen.