Anuk Arudpragasam: "Die Geschichte einer kurzen Ehe"
Aus dem Englischen von Hannes Meyer
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2017
222 Seiten, 22,00 Euro
Der Mensch als Material
Ein Flüchtlingslager, auf das Bomben fliegen, wo der Arzt ohne Narkose amputiert und Frauen vergewaltigt werden. In Anuk Arudpragasams Debütroman "Die Geschichte einer kurzen Ehe" kommen sich zwei Menschen in einer Welt näher, die jegliche Menschlichkeit verloren hat.
Flucht, Massaker, Rassismus, Terrorismus – viele Bücher, die im Laufe der vergangenen Monate erschienen sind, bilden auffallend häufig die grausamen Seiten der Realität ab. Und obwohl wir durch die Nachrichten erfahren, wie es derzeit in der Welt aussieht, leisten sie etwas, das über bloße Informationsvermittlung hinausgeht: sie geben dem Leid ein Gesicht und eine Geschichte.
Das tut auch der 1988 in Sri Lanka geborene Anuk Arudpragasam mit seinem Debütroman "Die Geschichte einer kurzen Ehe". Einen Tag und eine Nacht, aber gut zweihundert Seiten lang dauert diese Ehe. Dinesh und Ganga, die nicht einmal die Schule beenden konnten, bevor der Krieg sie aus ihrem Alltag katapultiert hat, begegnen sich in einem Flüchtlingslager. Mehrere tausend Menschen fristen dort ein erbärmliches Dasein auf Zeit. Das Lager liegt zwischen Meer und Dschungel. Von der einen Seite bombardieren Regierungstruppen, von der anderen Rebellen, die der Autor "die Bewegung" nennt und deren Mitglieder gerne im Lager junge Männer als Kanonenfutter rekrutieren oder alleinstehende Frauen vergewaltigen.
Dinesh war mit seiner Familie aufgebrochen, um den Kämpfen im Landesinneren zu entkommen. Sie packten Versatzstücke ihres bisherigen Lebens – Fernseher, Möbel, Kleidung, Fotos – auf einen Traktor und zogen los. Irgendwann ging das Benzin aus, sie zogen weiter mit dem, was sie tragen konnten. Immer wieder wurden sie beschossen. Am Schluss ist Dinesh allein mit dem, was er am Leib trägt. Die letzten beiden Taschen mit Habseligkeiten ließ er auf den Rändern eines Saris zurück, mit dem er seine getötete Mutter am Straßenrand bedeckt hatte.
Das tut auch der 1988 in Sri Lanka geborene Anuk Arudpragasam mit seinem Debütroman "Die Geschichte einer kurzen Ehe". Einen Tag und eine Nacht, aber gut zweihundert Seiten lang dauert diese Ehe. Dinesh und Ganga, die nicht einmal die Schule beenden konnten, bevor der Krieg sie aus ihrem Alltag katapultiert hat, begegnen sich in einem Flüchtlingslager. Mehrere tausend Menschen fristen dort ein erbärmliches Dasein auf Zeit. Das Lager liegt zwischen Meer und Dschungel. Von der einen Seite bombardieren Regierungstruppen, von der anderen Rebellen, die der Autor "die Bewegung" nennt und deren Mitglieder gerne im Lager junge Männer als Kanonenfutter rekrutieren oder alleinstehende Frauen vergewaltigen.
Dinesh war mit seiner Familie aufgebrochen, um den Kämpfen im Landesinneren zu entkommen. Sie packten Versatzstücke ihres bisherigen Lebens – Fernseher, Möbel, Kleidung, Fotos – auf einen Traktor und zogen los. Irgendwann ging das Benzin aus, sie zogen weiter mit dem, was sie tragen konnten. Immer wieder wurden sie beschossen. Am Schluss ist Dinesh allein mit dem, was er am Leib trägt. Die letzten beiden Taschen mit Habseligkeiten ließ er auf den Rändern eines Saris zurück, mit dem er seine getötete Mutter am Straßenrand bedeckt hatte.
Der Priester stirbt noch, bevor er das Paar trauen kann
Im Flüchtlingslager hilft Dinesh beim Bergen und Begraben der Leichen nach morgendlichen Bombenangriffen oder in einem zerstörten Schulgebäude, das als Nothospital dient. Es gibt dort noch einen Arzt, der stoisch, ohne Narkose, Glieder von Verletzten amputiert. Nach einer solchen Operation bietet ein Mann Dinesh seine Tochter Ganga als Ehefrau an, in der Hoffnung, sie so vor Vergewaltigung durch die Rebellen schützen zu können. Der Priester stirbt noch, bevor er das Paar trauen kann, so dass der Vater dies selber tun muss.
Es kommt zu einer zarten Annäherung der beiden Brautleute, die sich ihrem Schicksal ergeben. "Glück und Trauer sind etwas für Leute, die Kontrolle darüber haben, was ihnen passiert", antwortet Ganga auf die Frage, ob sie froh sei, nun verheiratet zu sein.
Anuk Arudpragasam erspart dem Leser nichts. Die Allgegenwart der Gewalt ist auf jeder Seite, in jedem Gedanken seiner Protagonisten spürbar. Als Individuen existieren sie nur mehr für den Leser, sich selbst begreifen die Figuren als Bruchstücke einer Realität, die sie nicht mehr gestalten können. Der Mensch ist in diesem Roman vor allem zu Material geworden, reduziert auf ein Minimum an Körperfunktionen. Er hat keine Vergangenheit mehr und keine Zukunft, allein eine absehbar kurze Gegenwart. Die einzige Hoffnung, die der Autor vermittelt, liegt in der Zartheit seiner Sprache. Sie allein steht – gegen alles, was sie schildert – für Menschlichkeit.
Anuk Arudpragasam erspart dem Leser nichts. Die Allgegenwart der Gewalt ist auf jeder Seite, in jedem Gedanken seiner Protagonisten spürbar. Als Individuen existieren sie nur mehr für den Leser, sich selbst begreifen die Figuren als Bruchstücke einer Realität, die sie nicht mehr gestalten können. Der Mensch ist in diesem Roman vor allem zu Material geworden, reduziert auf ein Minimum an Körperfunktionen. Er hat keine Vergangenheit mehr und keine Zukunft, allein eine absehbar kurze Gegenwart. Die einzige Hoffnung, die der Autor vermittelt, liegt in der Zartheit seiner Sprache. Sie allein steht – gegen alles, was sie schildert – für Menschlichkeit.