Den Deutschen einen Stups geben
"Wirksam regieren" heißt eine Arbeitsgruppe, die die Bundesregierung seit einem Jahr dabei berät, wie sie das Volk psychologisch richtig lenken kann. Eine problematische Methode, findet der Philosoph Robert Lepenies, denn sie wirke vor allem "im Dunkeln".
Nudging - so lautet der Fachbegriff dafür, Menschen mit psychologischen Tricks einen Stups in die erwünschte Richtung zu geben. Die Werbung bedient sich solcher Methoden schon lange, doch mittlerweile hat sie auch die Politik für sich entdeckt. Die Bundesregierung lässt sich seit einem Jahr von Verhaltenswissenschaftlern beraten. Zur Analyse sicher sinnvoll, sagt der Philosoph und Politikwissenschaftler Robert Lepenies, doch er rät zur Vorsicht.
Das Kernproblem sei, dass diese Methoden nicht mit unseren demokratischen Grundprinzipien vereinbar seien, so Lepenies. "Es werden keine Gründe gegeben und diese Instrumente wirken unterbewusst - und das ist problematisch." Man dürfe Nudging daher nicht als neutrales Politikinstrument betrachten, sondern müsse es auch hinterfragen: "Nur weil wir Entscheidungskontexte verändern können, bedeutet das ja noch nicht, dass wir es normativ sollen oder dürfen."
Zentral sei, zwischen verhaltenswissenschaftlicher Analyse und verhaltenswissenschaftlichen Instrumenten zu unterscheiden, so der Politikwissenschaftler. "Die Analyse ist extrem wichtig, sie gibt uns Informationen darüber, wie Menschen tatsächlich handeln." Dies bedeute jedoch noch nicht, dass sich daraus die Anwendung beeinflussender Instrumente ableiten lasse.
Lepenies: "Ich denke, man sollte Nudges soweit es möglich ist mit Rechtsnormen flankieren, das bedeutet: sichtbar machen. Aufgenommen in eine Rechtsordnung könnten diese Instrumente dann sichtbar und angreifbar sein und dann auch im öffentlichen Prozessen diskutiert - und vielleicht auch wieder rückgängig gemacht werden. Werden sie das nicht, wirken sie sozusagen im Dunkeln."
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Heute vor einem Jahr fing eine Projektgruppe im Bundeskanzleramt zu arbeiten an: "Wirksames Regieren" lautete ihr Auftrag. Eine Psychologin, eine Verhaltensökonomin und eine Juristin sollten die Wirksamkeit politischer Maßnahmen verbessern. Was damit gemeint ist und was die Arbeitsgruppe geleistet hat, wissen wir nicht, ist geheim, Bundeskanzleramt eben. Experten gehen jedenfalls davon aus, dass es sich hierbei um ein sogenanntes Nudging handelt. Das sind also psychologische Anschubser, mit denen Menschen dazu bewegt werden sollen, das Richtige zu tun – oder was Politiker dafür halten.
Vorsetzer Nudging:
Paternalismus statt Aufklärung – ein Jahr Arbeitsgruppe "Wirksam regieren". Darüber sprechen wir jetzt mit dem Politologen Robert Lepenies, er hat in Oxford studiert, in Berlin promoviert, war Fulbright-Stipendiat in Harvard und wurde für seine Forschungsarbeiten vielfach ausgezeichnet und forscht derzeit am Institut für praktische Philosophie der FU Berlin. Herr Lepenies, schönen guten Morgen!
Robert Lepenies: Guten Morgen!
von Billerbeck: Allzu viel sichtbar ist von dieser Arbeit, dieser Wirksam-Regieren-Arbeitsgruppe bislang nicht. Ist das für Sie ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Lepenies: Ich würde sagen, das ist eher ein gutes Zeichen. Zum einen darf man den Wissenschaftlern – das ist ein sehr kleines Team, das dort arbeitet – erst mal etwas Zeit geben, um sich mit diesem neuen Ansatz in der Politik erst mal auszuprobieren. Und dann ist es auch ein gutes Zeichen, dass wir etwas mehr Zeit haben, darüber zu sprechen, was eigentlich die gesellschaftlichen Auswirkungen dieses neuen Politikinstruments sind.
von Billerbeck: Was spricht denn nun dagegen, Menschen zum gesünderen oder klimabewussteren, also zum besseren Leben anzuregen? Vielleicht ist es ja sinnvoll, den Bürger vor sich selbst zu retten?
Lepenies: Es gibt vielfach Kritik, dass Nudging die Schwächen von Menschen ausnutzt und auf Verhaltensmuster zurückgreift, um Menschen in eine richtige Bewegung, in die richtige Richtung zu steuern. Ich glaube, das Kernproblem ist das Instrument selbst, und dass die Instrumente nicht mit unseren demokratischen Grundprinzipien vereinbar sind. Denn sie tragen keine Handlungsgründe aus, es werden keine Gründe gegeben, und diese Instrumente wirken unterbewusst. Und das ist problematisch, denke ich.
Die Tricks der Werbeindustrie in der Politik
von Billerbeck: Nun arbeitet die Werbeindustrie ja schon seit Langem mit solchen Methoden. Warum soll es der Staat nicht im guten Interesse auch tun?
Lepenies: Das stimmt, die größten Nudges gibt es in der Privatwirtschaft und die sehen wir tagtäglich in der Werbung. Allerdings denke ich, dass Nudging in der Politik etwas Neues ist, und es ist neu aus zwei Gründen: Zum einen wird Nudging systematisch gefordert und gefördert aus der Politik heraus, zum anderen gibt es auch immer mehr Wissenschaftler, die versuchen, ihre Erkenntnisse in die Politik einzubringen und systematisch dafür zu öffnen. Das ist neu.
von Billerbeck: Aber nun findet ja menschliches Handeln ohnehin immer in einem Umfeld statt. Also, wir müssen uns ja nur vorstellen, wir gehen in die Kantine, der Apfel liegt auf Augenhöhe anstelle von Schokolade. Dann ist das ja ein Nudge in dem Sinne, das heißt, ich greife eher zu dem Apfel als zur Schokolade. Das ist doch gut?
Lepenies: Das ist gut, das könnte natürlich jeder andere Nudge auch sein, jedes andere Politikziel könnte damit erreicht werden. Ich denke, wir dürfen Nudges nicht als neutrales Politikinstrument betrachten, sondern als Politikinstrument, das bestimmte Charakteristiken hat, von denen wir fragen müssen: Ist das jetzt gut oder schlecht, dass wir das haben? Und nur weil wir Entscheidungskontexte verändern können, bedeutet das ja noch nicht, dass wir es normativ sollen oder dürfen.
von Billerbeck: Aber ist es nicht möglich, solche verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnisse ganz legitim auch im öffentlichen Interesse einzusetzen?
Lepenies: Ja, ich würde hier unterscheiden zwischen verhaltenswissenschaftlicher Analyse und verhaltenswissenschaftlichen Instrumenten, die Nudges beispielsweise sind. Die Analyse ist extrem wichtig. Sie gibt uns Information darüber, wie Menschen tatsächlich handeln. Und zum Beispiel kann man darüber herausfinden, dass Arme und Reiche in kognitiv ganz anderen Welten leben. Das ist ein Beispiel, wie Verhaltensanalyse, verhaltenswissenschaftliche Analyse uns mehr erklären kann, wie die Welt funktioniert. Aber das bedeutet noch nicht, dass wir dann notwendigerweise den Schritt gehen sollen, aus dieser Analyse dann Instrumente zu machen, um Politik zu beeinflussen.
Rechtsnormen müssen Nudging flankieren
von Billerbeck: Das heißt, Sie sind gegen das Instrument, dieses Nudging an sich und wollen es irgendwie flankieren, mit Rechtsnormen, mit einem Umfeld oder womit?
Lepenies: Genau. Ich denke, man sollte Nudges, soweit es möglich ist, mit Rechtsnormen flankieren, das bedeutet: sichtbar machen. Denn aufgenommen in eine Rechtsordnung könnten diese Instrumente dann sichtbar und angreifbar sein und dann auch in öffentlichen Prozessen diskutiert werden. Und vielleicht auch wieder rückgängig gemacht werden. Werden sie das nicht, wirken sie sozusagen im Dunkeln, dann ist es sehr schwer für einen demokratischen Prozess, diese Nudges wieder zurückzunehmen.
von Billerbeck: Aber genau das will doch diese Arbeitsgruppe, die da beim Bundeskanzleramt sitzt, gar nicht, dass wir das in die Öffentlichkeit bringen? Denn wir erfahren ja gar nichts darüber, was die da eigentlich tun! Ist diese Forderung da nicht sinnlos in diesem Fall?
Lepenies: Also, ich unterstelle den Wissenschaftlerinnen im Bundeskanzleramt die besten Absichten. Ich denke nur, dass wir uns mehr Zeit nehmen müssen, über das Instrument selber nachzudenken und eben die gesellschaftlichen Implikationen dieser Instrumente. Und es ist glaube ich ganz gut, dass wir erst mal nicht so viel hören. Ich glaube, das Team ist auch sehr mit interner Abstimmung beschäftigt, und dass wir uns Zeit …
von Billerbeck: Drei Leute!
Lepenies: Abstimmung mit einem Ministerium beispielsweise. Aber ich denke, diesen Trend hin zur verhaltenswissenschaftlichen Politikführung sieht man auch in anderen Bereichen. Beispielsweise gab es in letzter Woche das nationale Programm für nachhaltigen Konsum vom Ministerium für Verbraucherschutz und vom Ministerium für Umweltschutz. Und so sehen wir, dass verhaltenswissenschaftliche Instrumente in ganz unterschiedlichen Bereichen der Politik jetzt Einfluss nehmen.
von Billerbeck: Der Soziologe Robert Lepenies über Nudging in der Politik und die möglichen Folgen für unsere Gesellschaft. Danke für Ihren Besuch!
Lepenies: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.