Arbeitslose in die Kita
Ab August 2013 gibt es einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung in einer Kita. Doch noch fehlt dazu ausreichend Personal. Arbeitsministerin von der Leyen will daher Langzeitarbeitslose zu Erziehern umschulen lassen. Eine gute Idee?
Die Zeit wird knapp: Ab dem 1. August 2013 haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für jedes Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat. Noch fehlen allerdings je nach Schätzung zwischen 130.000 und 260.000 Plätze sowie Zehntausende von Erzieherinnen und Erziehern. Die Kommunen fürchten eine Klagewelle jener Eltern, deren Kinder nicht untergebracht werden können. Sie planen, auch ungelernte Hilfskräfte anzustellen. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen sorgt mit einem weiteren Vorschlag für Diskussionen: Sie will Langzeitarbeitslose – darunter auch 5000 ehemalige "Schlecker"- Mitarbeiterinnen – zu Erzieherinnen umschulen lassen.
"Diese 130.000 sind eine 'Wünsch-dir-was'- Zahl. Sie sind schlichtweg falsch!", empört sich Stefan Sell. Der Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik der Hochschule Koblenz weist schon seit Jahren auf die eklatanten Defizite in der Kinderbetreuung hin. "Aber wir haben damit ein Riesenproblem, denn an den Zahlen hängt viel: Schon bei den 130.000 Plätzen fehlen 20.000 bis 25.000 Erzieherinnen und Erzieher. Und diese Zahl gilt auch nur unter der Annahme, dass wir gleichzeitig 30.000 Tagespflegestellen haben."
Der Sozialwissenschaftler geht von 260.000 fehlenden Plätzen aus. Seiner Meinung nach ist der Stichtag nicht einzuhalten, jedenfalls nicht, wenn man nicht verantwortungslos an der Qualität der Betreuung sparen wolle.
"Ich denke, wir werden den Rechtsanspruch vorübergehend verschieben müssen. Aber nur für einen ganz bestimmten Preis, und der muss lauten: Bund, Länder und Kommunen müssen sich zu einem Krippengipfel einschließen in Berlin und sie dürfen nicht vorher rausgelassen werden, bevor sie sich nicht staatsvertraglich verbindlich auf ein Ausbauprogramm einigen. Der Personalschlüssel in den Kindertageseinrichtungen muss angehoben werden, und auch die Vergütung der Tagespflegepersonen muss verbessert werden."
Rahel Dreyer kennt diese Diskussionen nur zu gut. Die Professorin für Pädagogik und Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre an der Alice Salomon Hochschule Berlin setzt sich für eine Professionalisierung und bessere Anerkennung des Erzieher-Berufs ein. In ihren Studiengängen werden "Kindheitspädagogen" ausgebildet, darunter bereits berufserfahrene Erzieherinnen und Erzieher, aber auch junge Bewerber. Den Vorschlag, Arbeitslose umzuschulen, sieht sie skeptisch. In Einzelfällen könne dies klappen, aber gerade bei unter Dreijährigen müssten die Voraussetzungen der Bewerber penibel geprüft werden.
"Das hören die Frauen oft im Jobcenter: 'Sie sind doch Mutti von drei Kindern, da können sie doch auch andere Kinder betreuen.' Aber das reicht eben nicht. Sie betreuen ja nicht ihre eigenen Kinder, sondern andere Kinder, das ist auch eine andere Eingewöhnung. Man sollte auch einen gewissen Hintergrund haben, was können Kinder in dem Alter, was können sie nicht. Man sollte auch genügend pädagogische Feinfühligkeit haben, gerade bei unter Dreijährigen, die sich nicht äußern können. Schließlich haben wir nicht nur einen Betreuungs-, sondern auch einen Bildungsauftrag."
"Arbeitslose in die Kita – Wer soll unsere Kinder erziehen?"
Darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit der Pädagogin Rahel Dreyer und dem Sozialwissenschaftler Stefan Sell. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen im Internet:
Über Prof. Dr. Rahel Dreyer
Über Prof. Dr. Stefan Sell
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