Stichwort Volksgerichtshof:
Der Volksgerichtshof diente den Nationalsozialisten ab 1934 zur "Bekämpfung von Staatsfeinden". Bis zum Kriegsende 1945 mussten sich mehr als 16.700 Menschen vor dem Tribunal verantworten. Ein knappes Drittel der Angeklagten wurde zum Tode verurteilt, die Verhandlungen glichen Schauprozessen, bei denen vor allem der Präsident des Hofs, Roland Freisler, eine unrühmliche Rolle spielte. Auch die Geschwister Hans und Sophie Scholl, Mitglieder der Widerstandsgruppe "Weiße Rose", wurden von Freisler dem Henker übergeben. Sie waren im Februar 1943 beim Auslegen von Flugblättern an der Universität in München überrascht und verhaftet worden. Freisler selbst kam 1945 bei einem Luftangriff der Alliierten ums Leben. Nicht wenige Staatsanwälte und Richter des Gerichtshofs arbeiteten auch nach dem Krieg als solche weiter – sie integrierten sich nahtlos ins neue Justizsystem, das jetzt ein demokratisches sein sollte. Dann wurde in den 1960er Jahren doch noch ermittelt, gegen den ehemaligen Beisitzer im ersten Senat des Volksgerichtshofs. Doch Hans-Joachim Rehse wurde 1968 freigesprochen. Das Landgericht Berlin kam zu dem Schluss, Rehse habe nicht das Recht gebeugt. Auch Freisler habe das im Übrigen nicht getan, hieß es: "Stünde er (Freisler) heute vor Gericht, er müsste freigesprochen werden." Erst 40 Jahre nach dem Ende der Nazi-Herrschaft erkannte der Bundestag offiziell, was der Volksgerichtshof gewesen war: ein "Terrorinstrument" ohne Rechtswirksamkeit. 1998 wurden alle Urteile des Hofs per Gesetz aufgehoben. (ahe)
Vom Tribunal zum Terrorgericht
Der NS-Volksgerichtshof war ein politisches Gericht: Hier wurde kurzer Prozess gemacht - die Urteile standen tags darauf in der Zeitung. Nun präsentiert eine Ausstellung in der Berliner "Topographie des Terrors" neue Forschungsergebnisse.
Liane von Billerbeck: Es ist die Stimme, diese sich überschlagende, hetzerische, die Angeklagten einzuschüchtern versuchende Stimme, die von ihm in Erinnerung geblieben ist: Roland Freisler, der Vorsitzende Richter am berüchtigten NS-Volksgerichtshof. Mehr als 16.000 Urteile wurde hier gefällt, über 5000 davon Todesurteile – und die meisten davon wurden auch vollstreckt.
In Erinnerung sind aber auch die ruhigen Stimmen der widerständigen Offiziere und Politiker, die nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 vor Freisler Gericht standen. Heute wird in der Berliner Topographie des Terrors die Ausstellung "Volksgerichtshof 1934 bis 1945 – Terror durch »Recht«" eröffnet.
Die Täter vorführen
Darüber spreche ich mit dem Historiker und Rabbiner Andreas Nachama, dem geschäftsführenden Direktor der Stiftung. Bereits 2004 gab es bei Ihnen eine Ausstellung über den NS-Volksgerichtshof. Was wissen Sie inzwischen Neues, dass sich eine neue Ausstellung lohnte?
Nachama: Damals war es ja eine Open-Air-Ausstellung. Wir hatten kein Gebäude, und so haben wir nur einen, sagen wir, kleinen Überblick geben können. Nicht nur die Forschung ist vorangekommen, sodass wir jetzt über mehr Urteile Bescheid wissen und auch das Unrecht in einzelnen Urteilen verdeutlichen können. Sondern wir haben heute auch bessere Möglichkeiten. Außerdem finde ich: An einem Ort der Täter sollte man auch mal die Täter vorführen, die in schwarzen Roben – oder in diesem Fall beim Volksgerichtshof: sogar in farbigen Roben – angeblich Recht gesprochen haben.
Buchstäblich "kurzer Prozess"
von Billerbeck: Der Volksgerichtshof wurde 1934 von den Nationalsozialisten als Sondergericht geschaffen, um vermeintliche "Staatsfeinde" abzuurteilen. Wie hat sich dieses Gericht im Laufe der zwölf Jahre verändert, bis hin zu den Schauprozessen in den allerletzten Kriegsjahren?
Nachama: Es wurde schon nach zwei Jahren ein sozusagen ordentliches Gericht, aber sein Charakteristikum gab es von Anfang an, das stand auch schon im Parteiprogramm der NSDAP: nämlich kurzen Prozess machen. Das heißt, die Prozesse waren alle extrem kurz. Der Volksgerichtshof ist auch oftmals zu den Orten des Geschehens hingegangen und hat vor Ort versucht, seine Urteile zusammenzubringen. Im Fall der Weißen Rose gingen sie zum Beispiel nach München. Innerhalb knapp einer Woche waren alle Beteiligten abgeurteilt.
Das muss man sich einfach vorstellen: Schon die kurze Zeit zeigt, dass dort nicht die Sorgfalt verwendet wurde, die man von einem Gericht eigentlich erwarten würde, insbesondere von einem Gericht, bei dem nicht über irgendwelche Verkehrsübertretungen verhandelt wird, sondern wo es um Leben und Tod geht.
Stete Radikalisierung
von Billerbeck: Gab es in der westeuropäischen Rechtsgeschichte etwas Vergleichbares?
Nachama: Nein, nicht in der westeuropäischen. Schnellverfahren gab es natürlich auch andernorts, insbesondere etwa zur gleichen in der Sowjetunion. Man muss das schon sehen, wie es ist. Das war auch ein Zug der Zeit, der 20er- und 30er-Jahre. In den 20er-Jahren stand es in den Parteiprogrammen der NSDAP, ab '34 gab es den Volksgerichtshof, der sich immer weiter radikalisiert hat – obwohl er ab 1936 in die sozusagen ordentliche Gerichtsbarkeit als höchstes Reichsgericht eingeordnet worden war und damit kein Sondergericht mehr darstellte.
An zwei Zahlen kann man das gut ablesen: 1936 gab es elf Todesurteile, 1943 1.662. Daran sieht man einfach, was dort passiert ist. Nach Kriegsbeginn hat sich das so radikalisiert. Jemand, der über den Krieg auch nur negativ geräuspert hat, musste damit rechnen, dass er am Ende dafür mit seinem Leben bezahlt, wenn er denunziert wurde.
von Billerbeck: Wie präsent waren diese Urteile damals in der Bevölkerung?
Nachama: Wenn man die Ausgaben des "Völkischen Beobachters" oder anderer Zeitungen im "Dritten Reich" vom Tag der Urteilsverkündung aufschlägt, sieht man das sehr deutlich: Man konnte das auf den Titelblättern nachlesen. Mit der Angst vor der Todesstrafe, mit der Repression wurde Politik gemacht.
Späte Aufarbeitung
von Billerbeck: Was den Umgang mit den Mordrichtern von einst angeht, hat sich die Bundesregierung nicht mit Ruhm bekleckert hat. Wie ist das mit den Richtern, die am Volksgerichtshof tätig waren?
Nachama: Spätestens 1956 gab es das sogenannte Richterprivileg in der Bundesrepublik. Das heißt: Ein Richter war sozusagen nicht Teil des Unrechtssystems, sondern er hat eben Recht gesprochen, auch wenn das Recht extremes Unrecht gewesen war. Erst, sagen wir mal, im Rahmen dieser Filbinger-Affäre Jahrzehnte später ist das aufgearbeitet worden – also am Ende der 70er-Jahre.
Filbinger war ja noch der Meinung, was damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein – das ist dann problematisiert worden. Wirklich belangt worden sind diese Richter in der Bundesrepublik meines Wissens nicht.
Lange Zeit große Solidarität – mit den Tätern
von Billerbeck: Wenn man liest, dass die Urteile des Volksgerichtshof erst 1998 per Gesetz durch den Bundestag aufgehoben wurden, ist man eigentlich nur fassungslos. 1998! Warum hat das so lange gedauert?
Nachama: Ich glaube, es lag auch daran, dass die Beteiligten noch gelebt haben – nicht die beteiligten Opfer, sondern die beteiligten Richter – und dass es da eine große Solidarität gab. Man muss sich nur ansehen, wie viel Abgeordnete in einem Deutschen Bundestag auch Juristen sind. Da gibt es eine Form von Kameraderie. Die hat über Jahrzehnte am Ende auch über Generationen hinweg gehalten. Das Traurige ist ja, dass sich zum Beispiel die Witwe von Kreisler, der ja 1944 bei einem Luftangriff ums Leben kam, noch lange Zeit seiner Pension erfreuen konnte – so lange, wie sie eben gelebt hat in der Bundesrepublik.
von Billerbeck: Weil er ja auch weiter Richter geblieben wäre, in Klammern.
Nachama: Weil er auch weiter Richter oder zumindest Jurist gewesen wäre, danach hat sich das berechnet. Es hieß dann: Das war ein führender Richter, also wäre er zumindest führender Jurist gewesen. Über diese Brücke hat man dann diese Pension berechnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
"Volksgerichtshof 1934 bis 1945 – Terror durch »Recht«"
bis 21. Oktober 2018 in der "Topographie des Terrors" in Berlin
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