Obszönes Obst als Kunst
Sie nennen sich Instagram-Model oder Online-Exhibitionistin: Junge Netzkünstlerinnen zeigen in "Virtual Normality" ihre Fotografien. Die Ausstellung im Museum der bildenden Künste Leipzig ist verwirrend aufgeladen. Es sei ein Spiel mit Überzeichnung, sagen die Kuratorinnen.
Gesa Ufer: Sie selbst nennen sich Reality Artist, Instagram Model oder auch Online-Exhibitionistin – zumeist junge Frauen, die Smartphone und Apps zu ihrem künstlerischen Medium gemacht haben. Im Leipziger Museum der bildenden Künste zeigt die Ausstellung "Virtual Normality" die Werke dieser Netzkünstlerinnen 2.0. Die Kuratorinnen Anika Meier und Sabrina Steinek sind selbst Bloggerinnen und Instagrammerinnen und jetzt meine Gäste! Hallo, herzlich willkommen nach Leipzig!
Anika Meier und Sabrina Steinek: Hallo aus Leipzig!
Ufer: Netzkunst generell ist ja ein verhältnismäßig junges Format. Was zeichnet in Ihren Augen diese, nennen wir es mal: Smartphone-App-Kunst aus?
Meier: Vielleicht das wichtigste ist, dass soziale Medien wie Instagram, Tumblr und Twitter zum Großteil eigentlich Kanäle sind, auf denen die Arbeiten gezeigt werden, aber dass die künstlerischen Werke, die jetzt auch in der Ausstellung hängen, tatsächlich für Galerieräume und Museen gemacht werden. Also es sind Fotografien, fotografische Serien, das sind Installationen, wir haben zwei Installationen in der Ausstellung, wir haben viele Videoarbeiten. Das, was wir auf den Instagram-Kanälen der Künstlerinnen sehen, sind nicht deren Werke.
Ufer: Das heißt, wenn man jetzt zu Ihnen ins Museum kommt, ist das nicht ein einziges großes Flimmern zwischen Rechnern, Tablets oder Smartphones oder so?
"Wir haben nicht Instagram ausgedruckt"
Meier: Nein, wir haben nicht Instagram ausgedruckt. Wenn man es nicht weiß, dass die Arbeiten auch auf Instagram sind, würde man es nicht wissen. Aber es sind Themen in der Ausstellung, die es eben gibt, weil es die sozialen Medien gibt und weil unsere Künstlerinnen, die eigentlich alle Digital Natives sind, eben gemerkt haben, als sie dort angefangen haben präsent zu sein, dass es eben Themen gibt, über die gesprochen werden muss und die durch die sozialen Medien eben noch mal besonders wichtig geworden sind.
Ufer: Gefühlt gibt es ja kaum jemanden unter 30, der jetzt nicht regelmäßig Bilder und Fotos im Netz hochlädt. Wie haben Sie da im Grunde diese Auswahl getroffen? Ragen besonders talentierte Künstlerinnen ganz von alleine eigentlich über Klickzahlen so aus der Masse heraus?
Meier: Auf Zahlen haben wir gar nicht geachtet, da ging es ganz einfach darum, dass wir natürlich eine Gruppenaufstellung machen mussten, das heißt das musste zusammenpassen, es mussten verschiedene Themen vertreten sein, es mussten natürlich gute künstlerische Arbeiten sein. Und dann war es eigentlich sofort klar, Sabrina Steinek und ich befassen uns schon seit Längerem mit dem Thema und dann war es ganz klar, dass eben jemand wie Stephanie Sarley, die das Phänomen Foodporn sehr wörtlich nimmt und Fruitporn daraus macht, unbedingt in der Ausstellung sein muss, oder Signe Pierce, der im Kurzfilm "American Reflexxx" wichtige Themen anspricht. Also das war sehr klar, wen wir zeigen müssen.
Ufer: Das ist interessant, dass Sie diese beiden nennen! Lassen Sie uns gerne noch ein bisschen auf die eingehen! Genau, Stephanie Sarley mit diesen, ja, köstlichen Obstarrangements in Vagina-Form, da sehen wir Pfirsiche mit so zweideutigem Joghurtklecks, eine Gurke, die mit so einer ganz leichten Schokospitze veredelt wird. Das ist alles, ja, verwirrend aufgeladen, das ist so eine Kunst, die ganz raffiniert spielt mit Witz, Erotik, aber mitunter auch in so etwas Skurril-Pornografisches kippt. Mich hat das sehr überzeugt. Wie würden Sie beschreiben, was diese Arbeiten so auszeichnet?
Probleme mit der Zensur
Meier: Das ist eine Reaktion auf das, was in den sozialen Medien los ist. Und für die sozialen Medien ist wichtig, dass, wenn man jetzt sich vorstellt, man ist in Instagram, man sieht da ein Bild, man muss, wenn man schnell durch die App scrollt, eben sehr schnell verstehen, wenn man das Foto oder das Video sieht, worum es geht. Und darauf stellt sich natürlich Stephanie auch in ihrer Arbeit ein. Das heißt, wenn man das sieht, weiß man sofort: Da spielt jemand mit der weiblichen Sexualität. Und dann ist es natürlich auch ein Thema, das sehr kontrovers ist, und das ist was, was in den sozialen Medien eben wichtig ist. Wenn ich eine Debatte anstoßen will, dann muss es schnell verständlich sein und dann muss es eine Reaktion auslösen. Entweder sagt man, ja, das ist ein wichtiges Thema, oder die Leute fühlen sich dadurch irgendwie ... weiß ich auch nicht. Also Stephanie Sarley hatte ja große Probleme vor zwei Jahren noch mit dem Thema Zensur, da sind oft ihre Sachen runtergenommen oder gelöscht worden. Das hat sich jetzt natürlich verbessert, ich weiß gar nicht, ob das noch so oft passiert, aber vor zwei Jahren war dann der Account oft gesperrt, einmal musste sogar der "Guardian" so mehr oder weniger einschreiten.
Ufer: Und Signe Pierce, über die haben Sie gerade auch schon gesprochen, die hat so eine Art Manifest zum Thema veröffentlicht, das diese ganze Ambivalenz zu enthalten scheint. Sie posiert da meistens, man muss schon sagen: auch recht sexy, in unterschiedlichsten Szenen, und setzt dann Untertitel darunter wie "We are the stars of our own reality show". Mir scheint das eben in ganz vielen Fällen gar nicht so als Brechung, sondern als totale Affirmation von Stereotypen und Klischees über Frauen im Netz. Wie sehen Sie das?
Steinek: Natürlich spielt das extrem mit diesem Erotischen, mit diesem Pornografischen, doch gerade darum geht es ja auch. Es geht darum, dass, nur weil wir feministische Ansichten vertreten, wir uns ja jetzt nicht mehr in Kleider stecken dürfen oder nicht Sexualität präsentieren dürfen. Es spielt explizit mit dieser Überzeichnung.
Ufer: Aber wir haben es ja hier mit einem wirklich superflüchtigen Medium in enorm beschleunigten Zeiten zu tun. Da ist Aufmerksamkeitsökonomie ein wichtiges Stichwort. Wenn es doch eigentlich immer wieder darum geht, möglichst viele Klickzahlen zu erreichen, muss frau dann im Zweifel nicht auch, sagen wir, greller, überzeichneter, vielleicht auch sexualisierter um diese Aufmerksamkeit buhlen, um wahrgenommen zu werden?
"Keine Clickbaiting-Kunst"
Meier: Ich weiß gar nicht, ob es bei den Künstlerinnen so sehr um Likes oder Follower-Zahlen geht. Denen geht es natürlich darum, eine Arbeit zu produzieren, und die Künstlerinnen sind ja bei uns beispielsweise auch in der Ausstellung, weil sie das eben seit Jahren machen, seit Jahren gute Arbeiten. Und als Signe Pierce mit der Regisseurin Alli Coates damals durch Myrtle Beach gelaufen ist oder die beiden dorthin gefahren sind, um dann eben durch das Stadtzentrum zu laufen, war ja gar nicht absehbar, was da passieren wird. Sie dachten, okay, da wird es Reaktionen geben, aber dass sich dann sofort ein Mobb bildet, weil Signe Pierce eben diese spiegelnde Maske trägt, das konnte man ja gar nicht absehen. Und sie haben dann, während diese "Performance" eben lief, natürlich gemerkt, was das für eine wahnsinnig starke Arbeit am Ende werden wird. Aber das ist ja keine Clickbaiting-Kunst.
Ufer: Ja, trotzdem bleibt bei mir gerade in diesem Fall so ein gewisses Unbehagen. Ich fühlte mich, muss ich ehrlich sagen, ein bisschen auch sogar an Cicciolina erinnert, diese Pornokünstlerin, die mit Jeff Koons zusammengearbeitet hat, weil mir nicht ganz klar war, an welchen Stellen Frauen wie Signe Pierce Erwartungen tatsächlich aufbrechen, anstatt sie zu befeuern. Wo, würden Sie sagen, verläuft diese Gratwanderung, diese Linie, wie machen das diese Frauen, wenn sie es tun?
Meier: Na ja, sie hat ja gezeigt, was passiert, wenn eine Frau – oder auch gar nicht klar ist, ist es eine Frau oder ein Mann –, wenn so eine Person tatsächlich in der Realität landet und man irgendwie so eine Lego-Figur dann plötzlich auf die Straße setzt. Was passiert dann da, wie gehen die Menschen damit um, wie gehen Menschen mit diesen Klischees und Stereotypen um, wie reagieren sie darauf? Und da zeigt diese Arbeit sehr stark, dass das nicht akzeptiert wird, dass Frauen sexy gekleidet sind. Also die Arbeit gibt es auf der Straße und dann hatte sie ja ein zweites Leben oder einen zweiten Reflex, wie Signe Pierce das auch nennt, im Netz, da gab es ja ein riesengroßes Entsetzen, weil man sich das ja gar nicht vorstellen konnte. Und so stoßen die Künstlerinnen ja Diskussionen an und regen Dialoge an. Wir sprechen ja jetzt auch darüber und das, worum es eigentlich geht und was sich ändern sollte.
Ufer: Einen guten ersten Überblick über die Arbeit dieser zeitgenössischen Netzkünstlerinnen liefert die Ausstellung "Virtual Normality", die von heute an im Leipziger Museum der bildenden Künste zu sehen ist. Anika Meier und Sabrina Steinek haben die Schau kuratiert, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
Meier/Steinek: Danke Ihnen, schöne Grüße nach Berlin!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.