Wie Frieden gelingen kann
Gleich fünf Ausstellungen widmen sich in Münster ab heute dem Thema Frieden. Der Historiker Gerd Althoff betont die Bedeutung von Vertrauensbildung und Symbolik für historische Aussöhnungen, ob nun im Kalten Krieg oder jüngst zwischen Nord- und Südkorea.
Seinen Vortrag für die Eröffnungsfeier musste der Historiker Gerd Althoff noch einmal umschreiben, nachdem es am Freitag überraschend zum historischen Treffen der koreanischen Machthaber Kim Jong Un und Moon Jae In kam. Denn es geht in Münster ab heute um Frieden, in fünf Ausstellungen. "Frieden. Von der Antike bis heute" heißt die große Kooperationsschau, für die es mehrere Anlässe gibt: Vor 400 Jahren begann der Dreißigjährige Krieg, der mit dem Westfälischen Frieden von Münster und Osnabrück endete. Vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg. Und "Suche Frieden" ist auch nicht zufällig das Motto des Katholikentages vom 9. bis 13 Mai in Münster. (gem)
Das Gespräch im Wortlaut:
Ute Welty: Fünf Ausstellungen, vier Orte, ein Thema – ab heute sieht sich Münster ganz im Zeichen des Friedens, und zwar von der Antike bis heute. Und womöglich sind auch die Bilder ausstellungswürdig, die wir gerade aus Korea gesehen haben: Moon und Kim reichen sich die Hand, pflanzen eine Kiefer, bei manchen ist es auch eine Pinie, aber die Botanik soll den Frieden nicht stören. Und sie essen zusammen Rösti und kalte Nudeln als die zwei Gerichte, die für die Biografien des südkoreanischen Präsidenten und des nordkoreanischen Machthabers stehen. Wann Frieden entsteht oder hergestellt werden kann, und wann Bemühungen scheitern, damit hat sich der Historiker Gerd Althoff ausführlich beschäftigt. Seniorprofessor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität in Münster, der das Friedensprojekt wissenschaftlich begleitet. Guten Morgen, Herr Althoff!
Gerd Althoff: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Mit Ihrem Hintergrund – was haben Sie gedacht, als Sie die Bilder gesehen haben, die jetzt aus Korea und um die Welt gegangen sind?
Althoff: Ich hab erst gedacht, das gibt es doch gar nicht, und dann habe ich dies Beispiel schnell noch in meinen Vortrag für heute eingebaut, der bei der Eröffnungsfeier gehalten wird. Denn was die beiden da praktiziert haben, kennen wir aus der Geschichte wirklich schon lange, und auch übrigens aus der Moderne. Es ist also keine unbekannte Strategie, die dort angewandt worden ist.
Welty: Wie sieht denn diese Strategie genau aus?
Althoff: Mit einem Wort gesagt ist das Vertrauensbildung. Vertrauensbildung geschieht zu allen Zeiten vor allen Dingen durch symbolische Handlungen, durch zugewandte, freundschaftliche Kommunikation, und die stiftet das Vertrauen, das dann in der Lage ist, Sachfragen zu lösen. Also die Reihenfolge ist ja häufig umgekehrt, dass man erst versucht, die schwierigen Sachfragen zu lösen. Aber diese Strategie dreht das um, und das ist in der Geschichte durchaus eine erfolgreiche Strategie.
Welty: Das heißt, Frieden ist vor allen Dingen eine Frage der Emotionen?
Althoff: So ist es natürlich dann zugespitzt wahrscheinlich nicht mehr richtig. Ich denke, dass auch bestimmte natürlich strukturelle Verhältnisse solche Dinge begünstigen, und man muss genau untersuchen, in welchen Situationen das dann geschieht. Das können wir wahrscheinlich jetzt nicht machen. Aber dass persönliches Vertrauen eine große Wirkung hat, haben wir ja jetzt nicht nur bei diesem Beispiel uns anschauen können – wobei man noch fragen muss, wie lange das wirkt –, aber der ganze kalte Krieg ist ja in den 70er- und 80er-Jahren eigentlich mehr auf diese Weise aufgelöst und dann bis zur Wiedervereinigung geführt worden, als durch harte Sachfragen. Die standen auch da immer an zweiter Stelle.
Wenn sich Breschnew mit Brandt oder Gorbatschow mit Kohl und all den anderen Staatsmännern trafen, haben ja solche informellen und symbolischen Dinge eine riesengroße Rolle gespielt. Und all diese Politiker haben natürlich auch immer größten Wert darauf gelegt – um das Wort Emotion noch mal zu gebrauchen –, dass sie persönliche Freunde geworden seien in diesen informellen Treffen, an der Wolga oder in Oggersheim beim Saumagen, und so weiter. Es gab auch den "Geist von Camp David", der ja ähnlich ist, …
Welty: Nicht zu vergessen, dass die Strickjacke eine große Rolle spielt bei diesen ganzen Geschichten …
Althoff: Ja. Wie eine Ikone ist die ja dann ins Haus der Geschichte gekommen, weil sie symbolisierte, das sind Menschen, die miteinander auskommen, die alles wohl zum Guten wenden werden.
Freundlich anschauen an beiden Ufern des Rheins
Welty: Jetzt haben wir über den Kalten Krieg gesprochen, wir haben Korea angetextet. Das ist also gar kein kleines Thema, was Sie sich da vorgenommen haben. Was wählt man aus für solche Ausstellungen, und warum entscheidet man sich gegen das eine oder das andere?
Althoff: Das ist natürlich schwierig. Ich glaube, das ist nicht nur eine rationale Sache, sondern das ist natürlich auch eine Sache, was kann man bekommen, und wo ist der symbolische Gehalt besonders präsent. Man kann natürlich aus der Antike, aus dem Mittelalter Beispiele nehmen, die relativ nahe zu diesen Dingen zu sein scheinen. In Bonn am Rhein – das ist auch noch der gleiche Ort sozusagen – haben sich schon vor tausend Jahren Könige getroffen und haben den Frieden als Freundschaftsbündnis inszeniert.
Und dazu mussten sie erstmal einen Tag auf beiden Ufern des Rheines stehen und sich gegenseitig freundlich anschauen. Und dann stiegen sie ein in der Mitte des Rheins verankertes Schiff, und dort schworen sie sich gegenseitige Freundschaft. Wenn Sie das vergleichen mit den koreanischen Dingen, und dass sie danach dann auch noch gemeinsam gegessen und vor allen Dingen getrunken haben – das sind dann häufig Gelage, um eben dieses Vertrauen zu stärken. Das ist doch relativ parallel, oder?
Welty: Das Wasser spielt auch immer eine große Rolle, nicht? Gestern hat es ja auch das Wasser aus zwei Flüssen, nämlich einem nordkoreanischen und einem südkoreanischen gegeben, um diesen Baum zum ersten Mal zu wässern.
Althoff: Ja. Das sind aber alles Symbole für Gemeinsamkeit in dem Moment. Wir nehmen das Wasser unserer Flüsse jetzt gemeinsam, um eben einen Baum, der ja auch ein Symbol ist für Leben und so weiter, um den eben zu pflanzen und zum Gedeihen zu bringen.
Gewaltmonopol als Fortschritt
Welty: Braucht es immer einen Krieg, um Frieden zu schließen?
Althoff: Gut, wenn kein Krieg da ist, ist der Frieden ja schon da. Aber ernsthaft, es ist wirklich so, dass es nie gelungen ist, sichere Wege zum Frieden zu etablieren und allgemeinverbindlich zu machen. Der einzige wirkliche Fortschritt, den man auf dem Gebiet der Friedensherstellung in der Geschichte eigentlich diagnostizieren kann, ist, dass die Staaten, als sie sich bildeten, ihre Bürger gezwungen haben oder genötigt oder dazu gebracht haben, sich friedlich zu verhalten. Der Staat hat das sogenannte Gewaltmonopol für sich reklamiert und setzt es ja bis heute in der Regel auch durch.
Welty: Ich wollte noch gern wissen, warum sind Friedensverträge eigentlich nicht immer das Papier wert, auf dem sie geschrieben wurden, was ja anknüpft an das, was Sie gerade gesagt haben.
Althoff: Das sind einmal natürlich Interessen, die dagegensprechen, das sind Geisteshaltungen, die näher im Grunde genommen einen Konflikt und Krieg befördern als den Frieden. Und es ist eben offensichtlich schwer, und das ist uns ja auch beim Ende des Kalten Krieges passiert, diesen Frieden so mit Inhalt, also mit Freundschaft, mit Eintracht, mit konkreten Verbindungen dann zu füllen, dass alle zufrieden sind. Man sagt ja, dass es Gerechtigkeit, die ja auch immer mit Frieden verbunden wird, auf Erden eigentlich nie gegeben hat, weil die Interessen so unterschiedlich sind.
Welty: Der Frieden gleich in fünf Ausstellungen, ab heute in Münster, wissenschaftlich begleitet vom Historiker Gerd Althoff. Und der hält auch heute den Eröffnungsvortrag mit aktuellen Bezügen zu Korea. Haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch!
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Die Ausstellungen in dem Kooperationsprojekt "Frieden. Von der Antike bis heute" sind in Münster bis zum 2. September zu sehen