Autobiografie als Angebot zum Dialog
Der Philosophieprofessor Sari Nusseibeh erzählt anhand seines eigenen Lebens die Geschichte des palästinensischen Volkes. Dezent und humorvoll erläutert er in "Es war einmal ein Land" Hintergründe für die Entstehung von Gewalt und Sprachlosigkeit im palästinensisch-israelischen Verhältnis.
Sari Nusseibeh, Präsident der Al-Quds-Universität in Jerusalem, sitzt im November 2004 im Flugzeug Richtung Boston. Der palästinensische Philosophieprofessor unterrichtet zu dieser Zeit in Harvard. Er kommt von der Beerdigung Yassir Arafats, dessen Repräsentant in Jerusalem Nusseibeh bis vor kurzem gewesen war. Seine Reiselektüre ist der autobiografische Roman des israelischen Erzählers Amos Oz, in dem Entstehung und Entwicklung Israels anhand von Oz’ Familiengeschichte veranschaulicht wird. Nusseibeh, der keine 50 Meter entfernt von Oz in Jerusalem aufgewachsen ist, bemerkt, dass Araber in den Kindheitserfahrungen des Israelis nicht vorkommen - für ihn Auslöser, die Geschichte Israel-Palästinas aus palästinensischer Sicht zu beschreiben. Er will so der "Unfähigkeit sich das Leben der 'Anderen' vorzustellen" - für Nusseibeh Kern des anhaltenden Konfliktes - entgegenwirken.
"Es war einmal ein Land - Ein Leben in Palästina" nennt Nusseibeh seine politische Autobiografie. Der Autor, Jahrgang 1949, entstammt einer angesehenen Jerusalemer Familie. Seit dem 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung bewahrt sie den Schlüssel für die Grabeskirche auf. Nusseibeh wächst in der muslimischen, weltlich ausgerichteten Führungsschicht Palästinas auf und genießt Privilegien. Besucht eine christliche Schule in Jerusalem, studiert in Oxford, promoviert in Harvard. Von westlicher Philosophie und Literatur angezogen, von Liberalität des Vaters und Freiheitsgeist der europäischen 68er beeinflusst, entwickelt sich Nusseibeh zu einem Querdenker, der palästinensische Identität aus Traditionen seines Volkes und Ideen des abendländischen Humanismus schaffen will.
Das prägt auch seine Haltung gegenüber den Israelis. Anders als viele Palästinenser der folgenden Generationen hat Nusseibeh Juden nicht nur als Soldaten kennengelernt. Moshe Dayan und Teddy Kollek verkehrten in seinem Elternhaus, an der Uni gehörte Avishai Margalit zu seinen Freunden. Nach dem Sechs-Tage-Krieg lernt Nusseibeh Hebräisch, arbeitet als Freiwilliger in einem Kibbuz. Ende der 70er Jahre beginnt er an der Hebräischen Universität in Jerusalem, dann an der Birzeit Universität im Westjordanland, zu unterrichten. Durch den Kontakt mit der Lebenswelt seiner Studenten politisiert sich Nusseibeh. Er engagiert sich in der Ersten Intifada gegen die israelische Besetzung. Selbst in Zeiten maximaler Gewaltanwendung zwischen Israelis und Palästinensern, gilt Nusseibeh als Vertreter eines Dialogs.
Seine Autobiografie macht deutlich, wie lebensbedrohlich solch eine Position inmitten fanatisierter Konfliktparteien ist. Mehrfach versuchen sie, den Philosophieprofessor und politischen Strategen Nusseibeh zum Schweigen zu bringen. Seine Stellung als Berater Arafats, zugleich aber als Kritiker der palästinensischen Autonomiebehörde und der Hamas, sowie als Initiator einer Friedensinitiative - gemeinsam mit dem ehemaligen israelischen Geheimdienstchef Ayalon - machen ihn zur Zielscheibe der Extremisten auf beiden Seiten.
Nusseibeh verschafft dem Leser differenzierte Einblicke in seine persönliche Entwicklung und in die Geschichte des palästinensischen Volkes. Sein Buch ist keine Abrechnung mit den Fehlern, die es in den letzten Jahrzehnten gemacht hat. Auch keine Anklage der Unrechtspolitik der Israelis. Nüchtern erläutert Nusseibeh Hintergründe für die Entstehung von Gewalt und Sprachlosigkeit im palästinensisch-israelischen Verhältnis. Der Autor stellt sein Insiderwissen zur Verfügung, nie professoral, immer engagiert, dezent humorvoll. Ein Buch das bezeugt, dass Israel und Palästina enger und vielfältiger miteinander verbunden sind, als es Fanatiker auf beiden Seiten wahrhaben wollen.
Rezensensiert von Carsten Hueck
Sari Nusseibeh (mit Anthony David):
"Es war einmal ein Land. Ein Leben in Palästina"
Aus dem Englischen von Gabriele Gockel, Katharina Förs und Thomas Wollermann. Verlag Antje Kunstmann, München 2008, 525 Seiten, 24,90 EUR
"Es war einmal ein Land - Ein Leben in Palästina" nennt Nusseibeh seine politische Autobiografie. Der Autor, Jahrgang 1949, entstammt einer angesehenen Jerusalemer Familie. Seit dem 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung bewahrt sie den Schlüssel für die Grabeskirche auf. Nusseibeh wächst in der muslimischen, weltlich ausgerichteten Führungsschicht Palästinas auf und genießt Privilegien. Besucht eine christliche Schule in Jerusalem, studiert in Oxford, promoviert in Harvard. Von westlicher Philosophie und Literatur angezogen, von Liberalität des Vaters und Freiheitsgeist der europäischen 68er beeinflusst, entwickelt sich Nusseibeh zu einem Querdenker, der palästinensische Identität aus Traditionen seines Volkes und Ideen des abendländischen Humanismus schaffen will.
Das prägt auch seine Haltung gegenüber den Israelis. Anders als viele Palästinenser der folgenden Generationen hat Nusseibeh Juden nicht nur als Soldaten kennengelernt. Moshe Dayan und Teddy Kollek verkehrten in seinem Elternhaus, an der Uni gehörte Avishai Margalit zu seinen Freunden. Nach dem Sechs-Tage-Krieg lernt Nusseibeh Hebräisch, arbeitet als Freiwilliger in einem Kibbuz. Ende der 70er Jahre beginnt er an der Hebräischen Universität in Jerusalem, dann an der Birzeit Universität im Westjordanland, zu unterrichten. Durch den Kontakt mit der Lebenswelt seiner Studenten politisiert sich Nusseibeh. Er engagiert sich in der Ersten Intifada gegen die israelische Besetzung. Selbst in Zeiten maximaler Gewaltanwendung zwischen Israelis und Palästinensern, gilt Nusseibeh als Vertreter eines Dialogs.
Seine Autobiografie macht deutlich, wie lebensbedrohlich solch eine Position inmitten fanatisierter Konfliktparteien ist. Mehrfach versuchen sie, den Philosophieprofessor und politischen Strategen Nusseibeh zum Schweigen zu bringen. Seine Stellung als Berater Arafats, zugleich aber als Kritiker der palästinensischen Autonomiebehörde und der Hamas, sowie als Initiator einer Friedensinitiative - gemeinsam mit dem ehemaligen israelischen Geheimdienstchef Ayalon - machen ihn zur Zielscheibe der Extremisten auf beiden Seiten.
Nusseibeh verschafft dem Leser differenzierte Einblicke in seine persönliche Entwicklung und in die Geschichte des palästinensischen Volkes. Sein Buch ist keine Abrechnung mit den Fehlern, die es in den letzten Jahrzehnten gemacht hat. Auch keine Anklage der Unrechtspolitik der Israelis. Nüchtern erläutert Nusseibeh Hintergründe für die Entstehung von Gewalt und Sprachlosigkeit im palästinensisch-israelischen Verhältnis. Der Autor stellt sein Insiderwissen zur Verfügung, nie professoral, immer engagiert, dezent humorvoll. Ein Buch das bezeugt, dass Israel und Palästina enger und vielfältiger miteinander verbunden sind, als es Fanatiker auf beiden Seiten wahrhaben wollen.
Rezensensiert von Carsten Hueck
Sari Nusseibeh (mit Anthony David):
"Es war einmal ein Land. Ein Leben in Palästina"
Aus dem Englischen von Gabriele Gockel, Katharina Förs und Thomas Wollermann. Verlag Antje Kunstmann, München 2008, 525 Seiten, 24,90 EUR