Lesen gegen die Bildungsarmut
Schon als Fünfjährige schrieb sie kleine Texte auf Butterbrotpapier, als Schülerin las sie lieber Bücher als an die frische Luft zu gehen und zum Schreiben kam sie eher aus Verlegenheit: Die Autorin Kirsten Boie erzählt aus ihrem Leben.
Kirsten Boie fand erstaunlich früh Gefallen an der Weltliteratur. Auslöser dafür war ein Kinderspiel:
"Ich war elf Jahre alt, hatte mit einer Freundin Topfschlagen gespielt, und mein Preis unter dem Topf war ein Reclam-Heft: Lessing, "Nathan der Weise". Und ich hab das dann sofort in der Straßenbahn gelesen und gemerkt, ich lese da etwas, wie ich es vorher noch nie gelesen hatte. Das war eine vollkommen andere Sprache, das hat mich eingesogen geradezu – ich war vollständig fasziniert. Aber gleichzeitig habe ich zu der Zeit mit Leidenschaft Enid Blyton-Krimis gelesen. Und das zeigt ganz gut, dass Kinder und Jugendliche parallel ganz unterschiedliche Texte lesen können."
Zur Schriftstellerin wurde Kirsten Boie eher aus Verlegenheit. Als sie 1983 ein Kind adoptierte, wurde sie vom Jugendamt aufgefordert, ihren Lehrerinnenberuf aufzugeben – um ganz für das Kind da zu sein:
"Damals war es tatsächlich so, dass das Jugendamt von mir verlangt hat, zuhause zu bleiben, als ich nach der Familienpause wieder angefangen hatte, in Teilzeit zu arbeiten. Das hat mich schon sehr erschlagen. Und ich vermute, deshalb sind mir damals eines Tages, als ich zuhause meinen Sohn gefüttert habe, die ersten Sätze zu meinem ersten Buch eingefallen. Es wurde, wenig überraschend, ein Kinderbuch zum Thema Adoption. Also daran, dass ich Kinderbücher schreibe, ist das Jugendamt schuld."
Gleich ihr erstes Buch "Paule ist ein Glücksgriff" wurde ein großer Erfolg. Seitdem hat Kirsten Boie gut hundert Bücher für Kinder und Jugendliche geschrieben und Figuren wie den kleinen Ritter Trenk, die Kinder aus der Möwenstraße oder die Seeräubermoses erschaffen. Wenn sie heute von Kindern gefragt wird, was man tun sollte, um Schriftstellerin zu werden, rät sie:
"Lesen! Lesen, lesen, lesen! Ich habe ja auch Literaturwissenschaften studiert – und das hat sicher nicht geschadet für mein Schreiben – aber das Entscheidende ist die Unmenge an Textstrukturen, die irgendwo in meinem Unterbewusstsein abgespeichert ist und auf die ich immer zurückgreifen kann."
Warum sie bis heute in ihrer Geburtsstadt Hamburg lebt, wie sie Bildungsarmut mit Lesen bekämpft und welche Begegnungen sie mit Aids-Waisen in Swasiland hat – darüber hat Ulrike Timm mit Kirsten Boie im Deutschlandfunk Kultur gesprochen.