Auf der Frankfurter Buchmesse haben wir mit Aya Cissoko über ihr Buch gesprochen:
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"Was mir widerfahren ist, hat mich stärker gemacht"
Aya Cissoko, als Kind malischer Eltern 1978 in Paris geboren, boxte sich sprichwörtlich frei: Mit Hilfe des Sportes entledigte sie sich einengender afrikanischer Traditionen und wehrte sich gegen die rigide französische Assimilationspolitik. In "Ma" erzählt sie ihre Geschichte.
Unmittelbar südlich des eher tristen Pariser Bahnhofs Montparnasse zeigt sich die französische Hauptstadt überraschend plötzlich von ihrer schönsten Seite. Einladende Restaurants, kleine Cafés und bunte Lebensmittelgeschäfte säumen dicht gedrängt die schmalen Straßen. Mitten im sympathischen und lebendigen Quartier de Plaisance besitzt Aya Cissoko eine helle und freundliche Wohnung. Doch die Schriftstellerin kennt auch ganz andere Gegenden der Metropole. Aya Cissoko ist sieben Jahre alt, als die Unterkunft der Familie plötzlich in Flammen steht und das Mädchen ihren Vater und ihre kleine Schwester verliert.
"Nachdem mein Vater gestorben war, bekamen wir eine neue Wohnung in einem der schlimmsten Viertel der Stadt zugewiesen, einer Art Ghetto, am westlichen Rand des 20. Arrondissements. Es war eine brutale Erfahrung. Zum ersten Mal wurde ich darauf gestoßen, dass wir arm sind. Aber meine Mutter ließ sich nicht hinabziehen. Sie wurde nie wütend auf dieses Land. Und ich war trotz allem sehr glücklich. Das Leben ist ein Geschenk."
Ein Denkmal für die Mutter
In ihrer zusammen mit der Jugendbuchautorin Marie Desplechin verfassten Autobiographie "Danbé" ("Würde") hat Aya Cissoko bereits 2011 von dem vermutlich von Rechtsradikalen verübten Brandanschlag erzählt. In ihrem abermals entlang eigener Erfahrungen geschriebenen Debütroman "Ma", mit dem sie ihrer Mutter ein Denkmal setzt, berichtet sie nun nur knapp von den traumatischen Ereignissen. Sie wird diesen Tag im Herbst 1986 nie vergessen.
"Es war der Anfang eines neuen Lebens, denn plötzlich wurde meine Mutter zum Familienoberhaupt. Doch sie hatte keinerlei Erfahrung damit, wie sie die Familie durchbringen sollte. Zuvor musste sie sich nur um den Haushalt kümmern. Jetzt ging es darum, auch Geld zu verdienen. So wurde sie unabhängig. Sie hat mir diesen Geschmack der Unabhängigkeit vermittelt. Und sie hat anderen Frauen vorgelebt, dass es Alternativen zur üblichen Rollenverteilung in afrikanischen Familien gibt. Meine Mutter machte ihren Job schlichtweg besser als viele Männer."
Aya Cissokos in einfachen Worten erzählter Roman, der vor allem durch die Wucht der Geschichte besticht, ist ein nachträgliches Geschenk an ihre 2014 verstorbene Mutter. Die Frau, die zeitlebens Analphabetin geblieben ist, ließ sich nie unterkriegen. "Ma ist meine Heldin geworden", schreibt Aya Cissoko. "Sie hat gelitten, ohne zu verbittern." Das gilt auch für Aya Cissoko selbst. Als junges Mädchen sucht sie verzweifelt ihren Platz. Sie rebelliert gegen einengende afrikanische Traditionen ebenso wie gegen eine rigide französische Assimilationspolitik. In der Schule wird dem begabten, aber aufmüpfigen Mädchen "inakzeptables Benehmen attestiert". Doch da hat sie längst ihren eigenen Weg gefunden. Schon als Teenager steigt sie in den Ring.
"Boxen war für mich eine Möglichkeit, mich zu behaupten, stärker zu werden. Es wurde zu einem Weg, mein Leben, meinen Körper zu kontrollieren. Das war unglaublich wichtig."
Aya Cissoko ist eine exzellente Kämpferin, behender, stärker, aggressiver als ihre Gegnerinnen. Zweimal gewinnt sie die Weltmeisterschaften im Kickboxen, 2006 holt sie sich auch den Weltmeistertitel im Amateurboxen. Dann, bei einem Grand Slam, endet ihre sportliche Karriere jäh: Halswirbelbruch. Die Fraktur wird nachlässig behandelt, bei der Operation das Rückenmark verletzt. Als Aya Cissoko aus der Narkose aufwacht, ist sie halbseitig gelähmt. Doch wenn sie eines gelernt hat, dann ist es dies: nie aufzugeben. So kommt sie wieder auf die Beine, legt die Boxhandschuhe jedoch zur Seite und studiert Politikwissenschaften an einer Pariser Elitehochschule. Eine Narbe am Hals erinnert noch an die schwere Verletzung. Wie eine Verliererin, eine Geschlagene wirkt die junge, grazile Frau jedoch nicht. Ganz im Gegenteil, sie strahlt eine selbstbewusste Gelassenheit aus.
Eigenen Reichtum in Worte fassen
"Als ich jung war, war das Leben manchmal sehr schwierig. Manche Leute bedauern mich, weil ich so viel Tragik erfahren habe. Aber ich empfinde das nicht so – und das habe ich vor allem meiner Erziehung zu verdanken. Alles, was mir widerfahren ist, hat mich stärker gemacht. Meine Identität speist sich aus einem Zusammenspiel verschiedener Erfahrungen und Traditionen. Ich begreife das als einen großen Reichtum."
Das Schreiben ist für Aya Cissoko auch der Versuch, diesen Reichtum in Worte zu fassen. Ihr Roman, darauf besteht sie immer wieder, erzähle jedoch nicht nur ihre eigene Geschichte und nicht allein die ihrer Mutter und Familie. Tatsächlich ist es ein Buch, in dem sich andere Migranten wiederfinden können und sollen – mit ihren Hoffnungen und Enttäuschungen, dem Leid und der Freude. "Ma" hätte ein trauriges oder wütendes Buch werden können. Aber es ist ein versöhnlicher, menschenfreundlicher Roman einer Autorin geworden, die das Durchsetzungsvermögen und die Beharrlichkeit ihrer Mutter geerbt zu haben scheint.
Aya Cissoko: "Ma"
Aus dem Französischen von Beate Thill
Verlag Das Wunderhorn
180 Seiten, 24,80 Euro