Bachmann-Biografin Ina Hartwig

"Vorreiterin und auch eine radikale Figur"

Schriftstellerin Ingeborg Bachmann erhält Georg-Büchner-Preis
Schriftstellerin Ingeborg Bachmann erhält den Georg-Büchner-Preis © RolandWitschel/dpa
Moderation: Frank Meyer |
In ihrer Biografie über Ingeborg Bachmann beschäftigt sich Ina Hartwig unter anderem mit dem Verhältnis der Dichterin zum Feminismus. Als "exzentrische Figur weiblichen Geschlechts" sei sie in ihrer Generation als Literatin auch ein Phänomen gewesen, sagt sie.
Frank Meyer: Über die Dichterin Ingeborg Bachmann ist viel geschrieben worden. Sie wurde dabei oft als Opfer dargestellt, als Opfer einer patriarchalischen Welt. Jetzt erscheint eine neue Ingeborg-Bachmann-Biografie, in der es heißt, Ingeborg Bachmann hätte sich auch selbst als Opfer stilisiert, und das sei vielleicht der heikelste Punkt in ihrer Biografie. Das ist eine Überraschung. Und noch eine Überraschung in diesem Buch, so etwas wie ein roter Faden in dieser Biografie ist die Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und dem amerikanischen Politiker Henry Kissinger. "Wer war Ingeborg Bachmann? Eine Biografie in Bruchstücken", so heißt dieses Buch. Heute erscheint es. Die Bachmann-Kennerin Ina Hartwig hat es geschrieben, und sie ist jetzt in Frankfurt am Main für uns im Studio. Guten Tag, Frau Hartwig!
Ina Hartwig: Guten Tag, Herr Meyer!
Meyer: Bevor wir über das Buch selbst sprechen, es gab so eine leichte Aufregung vorher schon, vor allem so bei Bachmann-Eingeweihten, weil das Buch eigentlich schon erschienen sein sollte, dann aber verschoben wurde. Warum gab es denn diese Verzögerung?
Hartwig: Der Abstimmungsprozess hat sich etwas mühsamer dargestellt mit einigen Zeitzeugen, einigen wenigen Zeitzeugen. Ich hab ja viele Gespräche geführt über die letzten Jahre mit Menschen, die Ingeborg Bachmann noch gekannt haben, und da können Sie sich selbst ausrechnen, dass die zum Teil nicht mehr die Jüngsten sind und also auch so ein gewisses Generationen- … – wie soll ich sagen? Es gibt unterschiedliche Empfindungen, Sensibilitäten in Bezug auf bestimmte Themen, die in Ingeborg Bachmanns Leben eben doch eine Rolle gespielt haben, wie beispielsweise die Krankheit, die Depression, die Tablettensucht, die Alkoholsucht, gewisse Grenzerfahrungen, die sie gesucht hat.
Da gibt es Schmerzgrenzen, die waren auszuloten, und ich sehe das vor dem Hintergrund eines Generationenwechsels in der Bachmann-Rezeption. Ich bin ja nun auch nicht mehr die Allerjüngste, in den 60er-, 70er-Jahren aufgewachsen, aber eben doch unter ganz anderen Voraussetzungen aufgewachsen, sehr viel freizügiger, liberaler und für meine Generation, so mein Eindruck, sind eben diese Reizthemen eigentlich inzwischen eine Selbstverständlichkeit, haben sozusagen das Skandalon, den skandalösen Charakter längst verloren. Aber da bin ich eben auf andere Erfahrungen gestoßen, die ich respektieren musste, und da mussten wir uns einfach ein bisschen längerfristig abstimmen, und deshalb wurde das Buch um zwei Monate verschoben.

"Formulierungen, auf die ich verzichten musste"

Meyer: Mussten Sie da auf Dinge verzichten, die Sie gern in dem Buch gehabt hätten?
Hartwig: Es gibt tatsächlich einige Formulierungen, auf die ich verzichten musste. Das betrifft aber nicht die Substanz meiner Analyse, meines Ansatzes. Ich habe dieses Zeitzeugenkapitel ja wie so einen Garten angelegt und ans Ende des Buchs gestellt. Das heißt, die Zeitzeugengespräche selbst haben keinen Beweischarakter für mich gehabt, sondern sind subjektiv gefärbte Erinnerungen mit natürlich zum Teil wunderschönen Anekdoten und Details, das will ich gar nicht verschweigen. Aber ich habe diese Informationen nicht herangezogen, um irgendetwas zu belegen in meiner Analyse, in meiner Sichtweise. Insofern hat es die Substanz meines Buches glücklicherweise nicht betroffen.
Meyer: Zur Substanz gehört aber sicher das, was Sie den vielleicht heikelsten Punkt eben der Biografie von Ingeborg Bachmann nennen, die Selbststilisierung als Opfer. Was meinen Sie denn damit in Bezug auf Ingeborg Bachmann?
Literaturkritikerin Ina Hartwig im Sommer 2012.
Literaturkritikerin Ina Hartwig im Sommer 2012.© imago/gezett
Hartwig: Das betrifft vor allem ihre Spätphase. Und "Selbststilisierung als Opfer" ist jetzt vielleicht auch etwas zu hart ausgedrückt. Ich meine, dass sie in der Literatur, wenn Sie insbesondere an die Prosa der letzten Jahre denken, "Todesartenzyklus", "Malina" ist der einzige Roman, der erschienen ist 1971. 1973 ist sie ja schon gestorben. Es gibt unglaublich viele Vorstufen, Vorarbeiten. Sie war sehr, sehr fleißig auch in der Zeit, als es ihr sehr schlecht ging. Und es lag ja ein bisschen das Thema Feminismus damals in der Luft, und den Feminismus hat Ingeborg Bachmann immer so verstanden, dass sie für eine weibliche Weltwahrnehmung eigentlich eine universalistische Perspektive für sich in Anspruch genommen hat, wie Hannah Arendt auch beispielsweise.
Das heißt, sie ist eigentlich gar nicht auf der ideologischen und begrifflichen Linie des Feminismus gewesen. Gleichwohl hat sie sich natürlich mit der Condition féminine sehr beschäftigt und war natürlich auch als eine so herausragende, auffallende, exzentrische Figur weiblichen Geschlechts in ihrer Generation als Literatin schon auch ein Phänomen, und das blieb nicht ohne Wirkung auf ihre Biografie, und es blieb nicht ohne Wirkung auf die männliche Welt, von der sie umgeben war.
Und sie hat im Spätwerk, insbesondere in "Malina", wenn Sie an das mittlere Kapitel denken – das ist das brutalste Stück Prosa, das sie geschrieben hat, in dem eine Vaterfigur stilisiert wird als KZ-Schlächter, als Unterdrücker, als Vergewaltiger. Er vereint alles Böse auf sich, es ist eine Chiffre, es ist nicht der reale Vater, es kann gar nicht eine reale Figur sein. Es ist eine Chiffre, eine Überhöhung, der Ingeborg Bachmann aber andere Poetiken entgegengesetzt hat, andere Darstellungen der Vaterfigur. Es gibt das überhöhte, böse Vaterbild aus "Malina", und es gibt ein zärtliches, liebevoll gezeichnetes, charakteristisches Vaterbild, ein Vater, mit dem sie das Sprachempfinden teilte, ein Vater, den sie wirklich gern hatte.

"Sie hat sich da etwas überschätzt"

Meyer: Und besonders heikel ist das aber auch, so habe ich Ihr Buch verstanden, diese Selbstdarstellung als Opfer, wenn sich Ingeborg Bachmann in den Dichter Paul Celan einfühlt. Er hat ja seine Familie im Holocaust verloren. Also, Ingeborg Bachmann begibt sich sozusagen, wenn sie sich ihm so annähert, auf die Seite der jüdischen Opfer, verschweigt aber gleichzeitig eisern, so sagen Sie es einmal, dass ihr Vater, ihr eigener Vater schon früh Mitglied in der NSDAP gewesen ist.
Hartwig: Da machen wir einen großen Sprung nach vorn, in die frühe Phase, biografische und Werkphase von Ingeborg Bachmann. Sie war ja sehr jung, als sie Paul Celan kennenlernte. 1948 war sie 22 Jahre alt, und da war natürlich ihr Werk noch gar nicht da. Sie hat schon Lyrik geschrieben, aber war als Autorin noch überhaupt nicht in Erscheinung getreten. Celan war auch noch nicht der berühmte Dichter, als den wir ihn alle heute kennen.
Das muss man sich immer klar machen. Celan war ein überlebender Jude des Holocaust, und, ja, Ingeborg Bachmann war die Tochter eines Lehrers, der in der NSDAP gewesen ist. Und über dieses Thema ist ganz offensichtlich in der Familie zumindest in jener Zeit, also nach dem Krieg und in den 50er-Jahren, erst mal nicht gesprochen worden - wie in so vielen anderen Familien auch nicht. Es liegt mir absolut fern, mich da moralisch in irgendeiner Weise zu erheben über dieses Verhalten. Und Ingeborg Bachmann, so meine zarte Hypothese, hat vielleicht auch aus diesem Grund, weil dort etwas verschwiegen war, unter dem sie ganz gewiss auch gelitten hat - das Schweigen war sehr lastend - auch aus diesem Grund häufig in ihrem Leben Liebes- oder Beziehungen zu großen, interessanten jüdischen Männern gehabt. Und Celan ist, das denke ich schon, ihre große Liebe gewesen.
Und natürlich hat sie versucht, sich in seine Opferperspektive hineinzudenken und hineinzufühlen, und ich vermute, dass sie sich da etwas überschätzt hat. Trotzdem war die Beziehung zu Celan höchst intensiv und fruchtbar auch auf poetischer Ebene. Sie war nicht lebbar, aber sie hat die wunderbarsten Spuren hinterlassen in der Lyrik des 20. Jahrhunderts.
Meyer: Lassen Sie uns noch auf eine andere Überraschung schauen Ihres Buches. Sie schreiben am Ende Ihres Buches, dass sie selbst davon überrascht gewesen sind, dass der konservative amerikanische Politiker Henry Kissinger so eine wichtige Rolle bekommt in Ihrem Buch. Der war ja unter anderem Sicherheitsberater von Präsident Richard Nixon in einer Phase seines Lebens. Was für eine Art von Beziehung gab es denn zwischen Ingeborg Bachmann und Henry Kissinger?
Hartwig: Die Beziehung geht auf das Jahr 1955 zurück. Henry Kissinger war damals 32 Jahre alt und war schon Programmdirektor der legendären Summer School, ein internationales Seminar an der Universität Harvard, das er dort mit aufgebaut hat. Es hatte den Zweck, im Kalten Krieg europäische Hoffnungsträger, also junge Menschen, Hoffnungsträger nach Amerika einzuladen und im Grunde zu überzeugen von den amerikanischen Tugenden, als da wären Kapitalismus, Freiheit, Demokratie. Und so wollte man sich natürlich auch eine transatlantische Bündnistreue sichern, immer vor dem Hintergrund der Bedrohung durch die Sowjetunion. Es war wirklich die Zeit des Kalten Krieges, und meine These ist, dass Ingeborg Bachmann von der Kulturpolitik des Kalten Krieges enorm profitiert hat, nicht nur in Harvard, an der Summer School, wo sie zwei Monate 1955 eingeladen war und wahnsinnig viele Leute kennengelernt hat, unter anderem Siegfried Unseld, der im gleichen Jahr eingeladen war.
Sondern das ging dann noch weiter über Wien. In Wien hatte sich davon auch profitiert, indem sie beim amerikanischen Radio gearbeitet hat, und vor allem eben in Berlin, wo sie Stipendiatin der Ford Foundation war. Das war für mich schon die große Überraschung und Erkenntnis, und auch sehr aufregend, weil so zeithistorisch zu arbeiten, also sprich sozusagen die Diva Ingeborg Bachmann einfach auch mal auf die Erde zu holen und zu sehen, sie ist schlichtweg auch ein Kind ihrer Zeit gewesen und steht einfach auch für diese Zeit und hat von dieser Zeit profitiert und hat natürlich auch diese Zeit mitgeprägt.

"Ich bin nicht ihre Analytikerin"

Meyer: Auf einer anderen Ebene holen Sie die Diva Ingeborg Bachmann auch auf die Erde. Das gehört auch so zum Gegenbild des Opfers Ingeborg Bachmann, der heiligen Ingeborg. Sie schreiben auch ziemlich viel davon, dass Ingeborg Bachmann sexuell ziemlich aktiv war, sich gezielt Männer ausgesucht hat, von Orgien geträumt hat, so was wohl auch erlebt hat. Warum nimmt das eigentlich so einen großen Raum ein in Ihrem Buch?
Hartwig: So einen großen Raum nimmt das doch gar nicht ein. Es gibt einige Zeitzeugen, die Andeutungen gemacht haben in der Richtung, sagen wir mal so. Die Anzeichen verdichten sich zu einem bestimmten Bild, dass sie in einer bestimmten Phase ihres Lebens da kein Kind von Traurigkeit war. Ja, da war sie sicherlich, wenn Sie so wollen, eine Vorreiterin und auch eine radikale Figur. In der Popkultur ist das gang und gäbe. Und ich habe ohnehin irgendwann gedacht: Ingeborg Bachmann hat doch eigentlich viel aufzuweisen, was sonst Popstars machen, also die Extremerfahrung zu suchen, mit Drogen zu experimentieren, also experimentieren in Anführungsstrichen. Sie ist eben in eine Tablettenabhängigkeit hineingerutscht, die vielleicht auch da eine Rolle gespielt haben mag.
Ich bin nicht ihre Analytikerin, ich kann bestimmte Dinge nur andeuten und versuchen zu erahnen. Ich kann das nicht verifizieren und aus der Binnensicht darstellen. Ich kann mich nur an das halten, was mir erzählt worden ist und was ich eben in ihren Texten lese. Und in den Texten, das muss man wiederum sagen, wenn man genau hinschaut, ist unglaublich viel dort schon ausgedrückt an Radikalerfahrungen und auch an Selbstentblößung, da hat sie auch überhaupt keine Scheu gehabt. Das ist, wenn man das mal biografisch sich vergegenwärtigt, was das biografisch bedeutet, schon zum Teil ziemlich erschütternd.
Meyer: Ihr Buch heißt ja "Eine Biografie in Bruchstücken", was Ihre Methode beschreibt. Das ist ja keine chronologische Lebensgeschichtserzählung, sondern Sie haben sich verschiedene zentrale Momente ihres Lebens herausgenommen. Aber ich wollte fragen, muss so ein Buch heute auch noch in Bruchstücken geschrieben werden? Weil ja ganz wichtige Etappen im Leben von Ingeborg Bachmann noch gar nicht wirklich zugänglich sind, kommt man heute eigentlich über diesen Bruchstückstatus heute noch gar nicht hinaus?
Hartwig: Ich konnte mich auf Dinge konzentrieren, die mich selbst sehr interessieren. Ich konnte Dinge weglassen, von denen ich nicht so viel verstehe. Ich konnte auch Dinge weglassen, die ich für nicht so aufregend halte. Vor allen Dingen konnte ich mich von der Chronologie befreien. Das fand ich schon sehr gut. Ja, es ist eine Biografie in Bruchstücken. Am Ende ist es natürlich schon doch auch eine Biografie, wenn man das Buch durchgelesen hat, dann ordnen sich die verschiedenen Phasen wie ein Puzzle, so hoffe ich zumindest, doch zu einem Bild zumindest - zu einem Bild, in dem es einige Lücken gibt, die vielleicht in den nächsten Jahren noch mal gefüllt werden können.
Meyer: Sie ordnen sich die Bruchstücke, das kann ich als Leser sagen. Und vor allem findet man viele überraschende Mitteilungen über Ingeborg Bachmann in dem Buch "Wer war Ingeborg Bachmann. Eine Biografie in Bruchstücken". Im S.-Fischer-Verlag ist das Buch erschienen mit 320 Seiten, 22 Euro ist der Preis. Frau Hartwig, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Hartwig: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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