Ein Sport als Abbild der Gesellschaft
23:05 Minuten
Japan verbinden viele mit Judo oder Karate. Dabei hat Baseball dort eine gut 150-jährige Geschichte. Schon Kinder träumen davon, einmal beim Highschoolturnier Koshien dabei zu sein. Doch nun hat Corona diesen Marktplatz der Sporttalente stillgelegt.
Eine Sirene ertönt im Koshien-Stadion in Nishinomiya in der Nähe der japanischen Millionenstadt Osaka. Jedes Jahr am 15. August unterbricht sie um die Mittagszeit die Landesweite Baseball-Meisterschaft der Oberschulen in Japan. Damit wird der Kapitulation des japanischen Kaiserreiches im Jahr 1945 gedacht, die Kaiser Hirohito an diesem August-Tag im Radio verkündete. Der Zweite Weltkrieg war beendet.
Das Kriegsende hatte die US-Luftwaffe mit ihren Atombomben-Abwürfen am 6. August auf Hiroshima und am 9. August auf Nagasaki erzwungen. Die Erinnerung an diese schrecklichen Ereignisse spielt bis heute mit.
Baseball hat einen festen Platz neben Karate und Judo
Während der Unterbrechung beten die Spieler beider Jugend-Mannschaften zusammen mit den Zuschauern für Frieden in der Welt. Dann wird das Spiel im Stadion der Hanshin Tigers aus Osaka fortgesetzt.
Japan hat eine lange Baseball-Tradition. Im Laufe der vergangenen gut 150 Jahre hat sich die Karate- und Judo-Nation enorm im Baseball entwickelt. Bei den Olympischen Spielen haben die Japaner einmal Silber und zweimal Bronze gewonnen.
Noch besser schnitten die Japaner bei den vier "World Baseball Classic" ab, gleichbedeutend mit der Weltmeisterschaft. Zweimal holten sie den Titel, zweimal landeten sie auf dem dritten Platz. Zum Vergleich: Das Baseball-Mutterland USA gewann dieses Turnier erst einmal.
Große Hoffnungen des Olympia-Gastgebers Japan
Mit den Olympischen Sommerspielen 2020 in Tokio haben die Gastgeber auch große Hoffnungen mit dem Baseball verbunden. In diesem Jahr wären die Chancen auf Gold ziemlich gut gewesen, sagt Jason Croskey:
"Japan hat bei den Olympischen Spielen noch nie Gold gewonnen. Das wäre also wirklich eine große Chance für Japan gewesen, ohne die Spieler aus der Major League hätte Japan eine Chance gehabt. Japan ist ein Top-Land im Baseball, weil die Spielqualität hier so gut ist. Ich meine, ja, Japan und vielleicht Korea, diese beiden Länder, und Taiwan, da gab es eine wirklich, wirklich gute Chance für Japan."
Jason Croskey ist Baseballexperte der Zeitung "Japan Times" und wir sprechen per Skype. Als ich Mitte Februar bis Ende März in Tokio war, konnte ich wegen des weitgehenden Lockdowns für den japanischen Sport keine Interviews vor Ort führen – Sportplätze, Stadien und Universitäten waren geschlossen, ebenso die Büros der meisten Klubs.
Baseball-Kalender bietet täglich etwas für Fans
Rückblende. Donnerstag, der 27. Februar 2020. Ich plane meinen Besuch im Baseball-Museum. Da verkündet Japans Ministerpräsident Shinzo Abe, dass ab Montag, den 2. März Schulen und Universitäten schließen sollen. Davon ist auch der Sport betroffen, denn der findet in Japan zu einem großen Teil in den Klubs der Universitäten statt. Diese Schließungen dauern bis jetzt an. Damit fällt auch das sogenannte Frühjahrs-Koshien aus, ein weiteres wichtiges Baseballturnier der Oberschulen.
Baseball ist sehr populär in Japan – allein in der "Regular Season", vergleichbar mit der Bundesliga im Fußball, stehen von April bis September 143 Spiele an. Zwölf Mannschaften spielen in den beiden Profi-Ligen, jeweils sechs in der Central League und sechs in der Pacific League. Sie ermitteln den japanischen Baseball-Meister.
Dazu kommen die Vor- und die Nebensaison und die Spiele der unteren Ligen. Der Baseball-Kalender Japans bietet fast täglich etwas für den Fan, und die japanischen Medien sind immer dabei. Dazu Kaz Nagatsuka, Leiter der Sportredaktion der "Japan Times":
"Baseball ist zweifelsohne die größte Sportart in Japan, jedenfalls, was den Mannschaftssport angeht. Es ist heutzutage die größte Sportart, und um Ihre Frage zu beantworten: Die Auswirkungen des Verzichts auf Baseballspiele sind in Japan enorm. Baseball ist heutzutage ein alltägliches Spiel."
Große Inszenierung des Sports
Baseball läuft in Japan fast täglich live im Fernsehen oder im Radio. Momentan ist das aufgrund des Lockdowns allerdings anders. Ein paar Testspiele haben ohne Zuschauer stattgefunden. Kein Ersatz für die Fans, die sich nicht nur für das Spiel an sich und die Ergebnisse begeistern. Baseball in Japan ist ein Gemeinschaftsereignis, das ohne Publikum nicht funktioniert – und das fehlt nun in Corona-Zeiten, sagt Kaz Nagatsuka:
"Wenn man in die Stadien geht, sind da normalerweise viele Leute, die schreien und trompeten und trommeln, um ihre Mannschaften anzufeuern. Aber jetzt fehlt all das. Die Lücke ist riesig, weil Baseball in Japan der Sport schlechthin ist."
Baseball in Japan, das ist eine große Inszenierung, und ein wesentlicher Faktor dabei sind die Fans selbst. Beim Gesang gestalten sie ausgefeilte Choreografien. Wenn die Heimmannschaft von ihren Anhängern singend begrüßt wird, schweigen die Gäste-Fans – und umgekehrt. Das ist kein einfacher Schlachtgesang nur für ein Team, betont Jason Croskey:
"So hat jeder Spieler ein Lied, das die Fans singen, wenn er zum Schläger kommt, sie singen, wenn der Werfer den Ball schlägt. Und dann kommt der nächste Spieler. Jeder Spieler hat sein Lied, auch die, die nicht viel oder gar nicht spielen."
Baseball ist Bestandteil des Alltagslebens
Die Fans kennen diese Gesänge, man kann sich die Texte vorher im Internet durchlesen. Wer als Fremder ins Stadion kommt, wird von den Platznachbarn gern unterrichtet – und muss dann mitsingen. Texte für einen neuen Spieler werden sicherheitshalber kopiert und vor dem Spiel im Stadion verteilt. Eine ungewohnte Situation, erzählt Kaz Nagatsuka:
"Als Fan können Sie jeden Tag Baseballspiele sehen. Und jetzt haben Sie keine Spiele, die Saison hat hier wegen des Virus noch nicht begonnen. Sie haben sie also nicht im Fernsehen, und sie können jetzt nicht in die Stadien gehen und Ihre Lieblingsmannschaften anfeuern."
Obwohl – ganz abwesend sind die japanischen Baseball-Stars auch jetzt nicht. Baseball ist ein Bestandteil des Alltagslebens in Japan, und die Sportler stehen im Rampenlicht, auch wenn sie nicht spielen.
Ähnlich wie in Deutschland gibt es auch im japanischen Fernsehen "Telegymnastik", Fitness-Angebote für die Zuschauer. Baseball-Stars stellen sich in Japan vor die Kamera, um vor allem die Kinder zu animieren, die jetzt zuhause bleiben müssen.
Die Sportler halten sich auch in der Ausnahmesituation fit
Hiroko Sasaki ist Pitcher bei den Chiba Lotte Marines. Er zeigt einfache Konditionsübungen im Fernsehen.
Auch der Trainingsbetrieb ruht nicht ganz. Ursprünglich sollte die "Regular Season" am 20. März starten, früher als üblich, damit sie nicht mit den Olympischen Sommerspielen kollidiert, die Ende Juli hätten beginnen sollen. Seit Ende Februar wurde der Auftakt der Baseball-Saison mehrfach nach hinten verschoben. "Geisterspiele" in der Hauptsaison wollte die Nippon Professional Baseball nicht. Jetzt wird gar kein Datum für einen offiziellen Start der "Regular Season" mehr genannt.
Aber die Erwartungshaltung ist hoch in Japan, nicht nur bei den Fans, sondern auch bei den Spielern, die sich bereit halten für den Tag X, an dem es wieder losgehen kann. Also halten sich die Sportler fit, wenn auch unter strengen Sicherheitsauflagen. Jason Croskey: "Einige Teams lassen die Spieler in kleinen Gruppen üben, und sie rotieren diese Gruppen. So bleiben die Profi-Spieler im Training." Auch das wird von den Fans und den Medien aufmerksam verfolgt.
Wer hätte das gedacht: Baseball hat eine lange Tradition
Denn Baseball ist schon seit 1872 zuhause in Japan. Bereits 1905 reiste ein japanisches Team der Waseda Universität in die USA und spielte dort gegen amerikanische Teams. Bis zum Aufbau einer professionellen Liga dauerte es dann allerdings noch über 30 Jahre: Die Profi-Liga "Nippon Professional Baseball" besteht seit rund 80 Jahren.
Aber nicht nur die Profis sind in Japan das ganze Jahr aktiv. Baseball wird auch auf der Amateurebene gespielt, in Uni- oder Firmen-Klubs, in den Schulen oder einfach auf der Straße. In japanischen Parks sieht man häufig Väter, die ihrem Sohn einen Baseball zuwerfen, der ihn dann fängt – und umgekehrt. Das sei auch eine besondere Art des Kontakts, weiß der deutsche Baseball-Kenner Yuima Oliver Kaneko:
"Also, wenn beide Protagonisten der Protagonistinnen einigermaßen werfen und fangen können, dann ist das eine sehr meditative, schöne Tätigkeit, die auch unheimlich gerne zwischen Vater und Sohn zum Beispiel praktiziert wird, und dadurch kann natürlich auch dieses Interesse an Baseball gefördert werden."
Und es ist eine eigene japanische Art, den Sport anzugehen. Die ursprüngliche Form von Baseball-Bewegung, das Werfen und Fangen, wird natürlich auch in Amerika praktiziert. Das sogenannte "Einwerfen" wird dort "Playing Catch" genannt, in Japan sagt man "Catchball".
Japanischer Baseball ist anders als amerikanischer
Überhaupt die Väter: Sie haben einen großen Anteil daran, dass Baseball in Japan extrem beliebt ist. Mario Kumekawa ist Germanist und Baseball-Experte. Er weiß: "Bei jedem Verein gibt es, bei jedem Baseballplatz gibt es mehrere Baseballväter, die früher selber Baseballspieler waren, und sehr gut Baseball kennen, und solche Väter machen ein Netzwerk."
Japan geht seine eigenen Wege im Baseball. Es gibt andere Trainingsmethoden und Spielstile im Vergleich zu Amerika. Japan hat seinen ganz eigenen Baseball kreiert. Jason Croskey: "Japan hat dieses Spiel nicht nur angenommen, wissen Sie, es hat es übernommen und zu seinem eigenen Spiel gemacht, ein anderes Spiel als in Amerika."
Höflichkeit gibt´s auch beim Spiel
Im Baseball gibt es auch ungeschriebene Regeln. Die sind mindestens ebenso wichtig für den Spielverlauf wie die offiziellen, festgeschriebenen. Und auch da gibt es gravierende Unterschiede zwischen Japan und den Vereinigten Staaten. Ganz wichtig ist in Japan: Höflichkeit.
Daran halten sich nicht nur die Fans, sondern vor allem auch die Sportler selbst: Wie in Japan üblich, verbeugt man sich zur Begrüßung und zur Verabschiedung. Das gilt auch für Baseballspieler, erklärt Experte Mario Kumekawa: "Baseballspielende Jungen auf dem Spielfeld in den USA machen alles sehr locker, mit dem Kaugummi im Mund. So was wie Kaugummi, unvorstellbar! So, wie gesagt, sollen Jungen im Baseball immer sehr höflich spielen."
Aber der Kaugummi ist nur ein Symbol. Höflichkeit im Baseball erfordert auch eine Geste der Reue für Fehlverhalten.
Eigentlich gibt es im Baseball kaum Körperkontakt, schon gar keinen Zweikampf mit Verletzungen. Wenn doch mal eine Landung an der Base etwas holpriger erfolgt und ein Spieler der gegnerischen Mannschaft etwas härter getroffen wird, ist in Japan eine Entschuldigung fällig – der rempelnde Spieler lüftet die Mütze und verneigt sich.
"Man opfert sich selbst für die Mannschaft"
Das ist in Amerika unbekannt und führt dazu, dass sich japanische Spieler, die in die USA gehen, dort erst einmal eingewöhnen müssen. Und umgekehrt: Wenn ein amerikanischer Spieler für ein japanisches Team spielt, muss er diese kleinen Unterschiede erlernen und befolgen.
Der Teamgedanke wird in Japan generell sehr hoch geschätzt. Jason Croskey, Baseballexperte bei der "Japan Times": "Man opfert sich selbst für die Mannschaft, weil keine einzelne Person wichtiger ist als die Gruppe. Und nur in diesem Spiel funktioniert die Gruppe erst dann, wenn jeder sein individuelles Ding richtig macht. Anders als etwa im Basketball. Es ist eine Gruppe, in der jeder zu jeder Zeit auf dem Platz seinen Job macht."
Abbild der hierarchischen Gesellschaft
Alles für das eigene Team geben will sicher auch jeder westliche Sportler. Aber die Vorstellung der Aufopferung für das große Ganze hat im japanischen Baseball eine ganz eigene Nuance, und die erinnert an die Traditionen des Landes zu feudalistischen Zeiten.
Mario Kumekawa weist darauf hin, dass Baseball in Japan schon sehr früh instrumentalisiert wurde: "Ja, also, mit dem amerikanischen Baseball verglichen ist der japanische Baseball schon in den 1890er-Jahren in den Schulen stark ritualisiert. Baseballspielende Jungen müssen heute noch die Haare kahl scheren."
Baseball wurde von Anfang an in Japan dazu genutzt, Schüler zu disziplinieren. Wer Baseball spielt, fügt sich in eine hierarchisch geprägte Gemeinschaft ein und demonstriert das mit seiner fehlenden Haarpracht. Mit dem Boushi, dem kahl geschorenen Kopf, zeigt der junge Athlet seine Entschlossenheit, hart zu trainieren – und für den Erfolg seines Teams auch Entbehrungen in Kauf zu nehmen.
Jeder an seinen Platz – nicht nur auf dem Platz
Aber Japan verlässt sich nicht nur auf die Tradition, um das Beste aus dem Einzelnen heraus zu holen: "Jeder Spieler soll seine Position finden als Charakter, aber das ist eine Rolle in der Mannschaft, wie ein Schauspieler auf der Bühne hat dort jeder seinen Platz", sagt Tsotomu Fuse.
Er trainiert verschiedene Teams in Japan. Der Trainer hat in den USA Sportpsychologie studiert, und er hat eine Mission: Eine japanische Mannschaft neu zu organisieren und dabei den richtigen Platz für jeden im Team zu finden. Das ist sowohl in der modernen wie in der traditionellen japanischen Gesellschaft sehr wichtig.
Denn sowohl in der Vergangenheit als auch heute hat in der japanischen Gesellschaft jeder seinen festen Platz und seine feste Aufgabe – wie im Baseball. Mario Kumekawa:
"Viele japanische Soziologen, die über Sport arbeiten, sagen, dass Baseball in Japan so beliebt geworden ist, weil man im Baseball sehr oft Duelle austragen kann."
Der Kampf erinnert an die Kultur der Samurai
Mario Kumekawa erkennt darin Anklänge an die Kultur der Samurai. Dieser Kriegeradel des feudalistisch geprägten Japan im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert bekämpfte sich zwar auch in Gruppen, aber letzten Endes standen sich dort zwei Kämpfer gegenüber. Die stellten sich einander erst höflich vor, bevor sie mit ihren Kämpfen begannen:
"Trotzdem hat man sich selbst benannt: Hallo, ich bin Kumekawa aus der Präfektur Tochigi und jetzt führen wir einen fairen Kampf. Das war Samurai-Kultur, und beim Baseball kann man solche Kultur wiederfinden."
Auf den ersten Blick ist das für den Laien nicht leicht zu erkennen. Denn Baseball ist ein friedliches Spiel. Es gibt kaum Körperkontakt, und vor allem keinen Zweikampf wie etwa im Fußball. Die Ausstattung eines Baseballspielers könnte jedoch durchaus kämpferisch eingesetzt werden: die Schläger, die Spikes an den Schuhen und nicht zuletzt der Ball. Der fliegt von einer geübten Hand mit 150 Km pro Stunde – damit kann man jemanden tödlich verletzen!
Diese hart geschlagenen Bälle kommen auch mal zum Einsatz gegen die Rippen des gegnerischen Spielers, wenn eine der ungeschriebenen Regeln des Spiels verletzt worden ist. Und nicht zuletzt nennt sich das japanische Baseball-Nationalteam "Samurai Japan" und spielt damit auf das Kriegererbe an. Natürlich soll mit dem Namen auch die sportliche Kampfbereitschaft signalisiert werden.
Baseball ist schon bei Schulkindern beliebt
Aber: Baseball in Japan, das ist auch Big Business, das ganz große Geschäft – und in den Medien das ganze Jahr über mindestens so dominant wie der Fußball in Deutschland. Das gilt nicht nur für die Profis und die oberen Ligen. Ganz im Gegenteil – der Highschool-Baseball ist in Japan genauso so populär wie der Profi-Baseball. "Und gute Baseballspielende Schüler sind sogar berühmter und beliebter als Profispieler", meint Mario Kumekawa.
Die Schülermannschaften haben sehr viele Fans, und ihre Wettkämpfe werden von den japanischen Medien ebenfalls mit großer Aufmerksamkeit begleitet. Schon von den Vorrunden wird groß in Radio- und Fernsehübertragungen berichtet – und das zwei Wochen lang.
Die Wettbewerbe im Sommer verdrängen dann sogar die Tour de France, die bei den sportbegeisterten Japanern sehr beliebt ist, auf die hinteren Ränge. Jason Croskey: "Highschool-Baseball ist in Japan wirklich sehr, sehr populär. Koshien ist jeden Tag im nationalen Fernsehen zu sehen."
Diese Popularität gilt für das Publikum und die Protagonisten gleichermaßen. Jeder baseballspielende Oberschüler träumt davon, hier einmal dabei zu sein.
Der lange Weg zum Profi
Im Vorfeld der landesweiten Baseballmeisterschaft kämpfen jedes Jahr viele tausende von japanischen Schülern darum, bei diesem nationalen Turnier mitzuspielen. Einer von gut tausend Schülern zu sein, die in den Endrunden dabei sind und dann in dem symbolträchtigen Stadion von Osaka spielen, das dem Wettbewerb seinen Namen gegeben hat. Im Koshien.
Aber der Weg dahin ist hart: Zwischen dem "Catchplay", dem Einwerfen, das schon kleine Jungen mit ihren Vätern üben, und dem Aufspielen in einer Highschool-Mannschaft liegen unzählige Trainingsstunden. Es heißt unentwegt üben, üben, üben, um dann möglicherweise eines Tages ein ganz Großer im Baseball zu sein.
Dazu sagt Baseball-Experte Jason Croskey: "Ziemlich heftig! Heftig ist vielleicht das falsche Wort, aber sie hämmern wirklich den Kinderteams die Grundlagen ein. Mehr als wir es in Amerika tun würden. Ja, ich denke, japanische Teams – sie trainieren einfach mehr und konzentrieren sich stärker auf die Grundlagen. Ich glaube, es wird ein bisschen mehr eingeübt, vielleicht auch ein bisschen reglementiert, aber sie achten definitiv einfach sehr auf Details."
Das Training ist selbst für Schulkinder hart
Auf Details achten, das heißt in Japan: Einschleifen. Dieselbe Bewegung wird tausendmal wiederholt, bis sie in Fleisch und Blut übergegangen ist. Maja Sori Doval, Sportdozentin an der Tsuda Universität, weiß, dass schon Grundschüler in Japan dabei ganz anders gefordert werden als Kinder hierzulande:"Die trainieren dann vier-, fünfmal die Woche oder noch häufiger. Und dann ist auch eine Trainingseinheit zwei, drei Stunden lang. Wo man dann als Europäer sagen würde, das ist nicht kindgerecht."
Ein beachtliches Pensum. Kritik kommt aber noch aus einer anderen Richtung. Die Zeit, die für das Training aufwendet wird, fehlt beim Lernen für die Schule, weiß Mario Kumekawa.
Er sieht aber darüber hinaus noch das Problem, dass reines Pauken allein nicht reicht, um dauerhaft erfolgreich sein zu können, und wünscht sich andere, modernere Trainingskonzepte: "Ein Trainer, der auf solche traditionelle Weise die Schüler trainieren kann, wäre auch nicht unfähig, so gewissermaßen den Schülern Befehl geben kann, aber natürlich gibt es noch bessere Trainer."
Ein anderer Ansatz: Spieler als Individuen fördern
Tsutomu Fuse ist ein solcher Trainer. Seine Methode, das Team zu formen, indem der einzelne Spieler als Individuum gefördert wird, ist ungewohnt für Japaner. Aber diese westliche Expertise funktioniert auch deshalb gut, weil sie auf den vorhandenen Fähigkeiten der Sportler aufbaut. Routine ist dabei entscheidend.
Nur wenn der Körper eine Technik automatisch korrekt ausführt, und der Kopf frei ist, kann der Sportler sich auf das Spiel fokussieren, unterstreicht Tsutomu Fuse: "Man braucht Konzentration, ohne die kann man nicht gut spielen, die Körperbewegung setzt die Gedanken um im Spiel. Man muss den Atem in Einklang bringen, in einen guten Rhythmus mit dem Spiel kommen"
Fuse trainiert Profiteams – und er relativiert die Bedeutung des Koshien für den sportlichen Werdegang. Erstens gebe es noch andere Wege, um in Japan zum Baseball zu kommen und vielleicht sogar ein Profi zu werden. Zweitens könne, wie in jeder anderen Sportart auch, nicht jeder der Teilnehmer später wirklich ein großer Star werden.
Das Frühjahrs-Turnier ist das Herz des japanischen Baseballs
Für viele junge Sportler ist die Teilnahme am Koshien auch schon der Höhepunkt und das Ende ihrer Baseball-Karriere, weiß Fuse: "Japanische Schüler, die Baseball spielen, wollen zum Koshien. Das ist ihr großes Ziel, und für viele ist es das letzte Ziel, weil sie im College nicht mehr im Team sein werden."
Denn die Konkurrenz ist groß, und es gibt viele sehr gute Spieler. In Japan wird Baseball auf sehr hohem Niveau gespielt, da schaffen es letzten Endes nur wenige Sportler an die Spitze. Aber der Koshien ist nicht nur ein großer Marktplatz für junge Talente, er ist die Seele des japanischen Baseballs. Vielleicht auch deshalb, weil der Profi-Sport auch und vor allem ein großes Geschäft ist.
Deshalb ist der Ausfall des Frühjahrs-Turniers in diesem Jahr ein großer Verlust für Japans Nationalsport für die Spielergeneration, die nicht teilnehmen konnte, und für die Fans.
Wahrscheinlich wird es auch am 15. August kein Baseball-Spiel und kein Gedenken an das Ende des 2. Weltkrieges vor 75 Jahren im Koshien-Stadion geben. Denn die Corona-Pandemie hat auch Japan weiterhin fest im Griff.