"Bauern in die LPG!"
Nach der Industrie sollte es auch in der Landwirtschaft keine Privatbetriebe mehr geben - das war das erklärte Ziel der DDR-Führung Ende der 50er-Jahre. Ab 1959 setzte die SED durch, dass die bäuerlichen Betriebe in LPGs aufgingen, den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Die Folgen waren dramatisch, denn die LPGs waren viel weniger produktiv als die Privatbauern.
"Wir kommen zu Punkt 2 unserer Tagesordnung: Gesetz über die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften."
Frühjahr 1959: Die Volkskammer der DDR berät in erster Lesung das LPG-Gesetz.
"Ich bitte zur Begründung des Gesetzes den Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, Herrn Paul Scholz, das Wort zu nehmen."
Paul Scholz: " Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der dem Hohen Hause vorliegende Entwurf eines Gesetzes über die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften wurde entsprechend den Forderungen der Genossenschaftsbäuerinnen und Genossenschaftsbauern nach Schaffung eines umfassenden LPG-Rechtes ausgearbeitet und bereits Anfang des Jahres zur öffentlichen Diskussion gestellt."
Das Gesetzeswerk lässt keinen Zweifel daran, dass die Zukunft der Landwirtschaft im Aufbau des Sozialismus liegt.
"Dieses Gesetz soll als Teil unseres neuen sozialistischen Rechts zur weiteren Entwicklung und Festigung der LPG beitragen und die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft fördern. Aus diesem Grunde unterstreicht das Gesetz besonders, dass die LPG sozialistische landwirtschaftliche Großbetriebe sind, die durch den freiwilligen Zusammenschluss werktätiger Bäuerinnen, Bauern und Landarbeiter entstehen."
Am 3. Juni 1959 wird das LPG-Gesetz verabschiedet. Jetzt, so hofft die SED, werde sich die seit Jahren dahinschleppende Kollektivierung beschleunigen und vollenden. Bereits mit der Bodenreform im Herbst 1945 und der damit einhergehenden Enteignung der Großgrundbesitzer war in der Sowjetischen Besatzungszone ein Strukturwandel in der Landwirtschaft eingeleitet worden. Sieben Jahre später, im Sommer 1952, hatte die SED den "Klassenkampf auf dem Lande" ausgerufen und die ersten Gründungen Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften betrieben. Je nach Vergesellschaftungsgrad unterschied man drei Typen: Im LPG-Typ I nutzte man nur die Ackerflächen gemeinsam. In den Typ II brachten die Bauern zusätzlich ihre Maschinen in die Genossenschaft ein, in Typ III auch ihr Vieh. Diese so genannten Musterstatuten regelten die innergenossenschaftlichen Beziehungen und wurden 1959 im LPG-Gesetz verankert.
Lied der Genossenschaftsbauern:
""Es waren viele Bauern,
die kamen überein,
beschlossen ohne Zaudern
Genossenschaft zu sein.
Liebe Nachbarn, jetzt wird's gut,
weil wir nun mit frischem Mut
blicken ohne Sorgen
unverzagt ins Morgen."
Wer der LPG beitrat, kam umgehend in den Genuss persönlicher und wirtschaftlicher Vorteile: Mitglieder zahlten weniger Steuern als Einzelbauern, hatten bevorzugt Zugriff auf technisches Gerät, das von den Maschinen-Traktoren-Stationen, kurz MTS, gestellt wurde. Die Genossenschaftsbauern profitierten zudem von großzügigen staatlichen Subventionen, Krediten, Urlaubsregelungen, waren rentenversichert und hatten Anspruch auf Krankengeld.
Dennoch ging die Kollektivierung kaum voran. Anders als der industrielle Sektor, der bereits weitgehend verstaatlicht war, wurden Ende der 1950er-Jahre immer noch zwei Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche von Einzelbauern bewirtschaftet, die 60 Prozent der Agrarproduktion erzeugten.
"Die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft ist die komplizierteste Aufgabe der Arbeiterklasse in der Periode des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus,"
konstatierte Walter Ulbricht, Erster Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, auf dem V. Parteitag der SED im Sommer 1958. Unter der Losung "Der Sozialismus siegt!" beschloss man ein wirtschaftliches "Kampfprogramm". Es sollte unter anderem die "sozialistische Entwicklung auf dem Lande" beschleunigen und bis 1961 die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung der DDR über den kapitalistischen Konkurrenten Bundesrepublik beweisen. Dabei wies Walter Ulbricht der Kollektivierung eine entscheidende Rolle zu.
"Durch den Aufbau der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften wächst die Produktivität unserer Viehwirtschaft stärker an als das im Plan vorgesehen war. Die Initiative der Genossenschaftsbauern, Arbeiter, Maschinen-Traktoren-Stationen, der Landarbeiter und Einzelbauern gibt die Möglichkeit, bei Milch, Schweinefleisch und Eiern im wesentlichen die Produktionsziele des Jahres 1960 bereits Ende dieses Jahres zu erreichen.
Im Ergebnis dieser Entwicklung entscheiden sich in wachsendem Maße gute Mittelbauern für die genossenschaftliche Produktion. In den letzten Wochen zeigt sich als eine qualitativ neue Erscheinung, dass sich in einer ganzen Reihe Dörfer alle Bauern zur genossenschaftlichen Produktion vereinigt haben und damit den entscheidenden Schritt zum sozialistischen Dorf vollzogen. Jetzt kommt es darauf an, planmäßig die sozialistische Gestaltung ganzer fortgeschrittener Kreise und zusammenhängender landwirtschaftlicher Gebiete allseitig in Angriff zu nehmen."
Der V. Parteitag signalisierte Euphorie und Aufbruchstimmung. Das Volk, so schien es, hatte sich arrangiert mit dem System, die Flüchtlingszahlen waren rückläufig. In der DDR kündigte sich ein bescheidener Wohlstand an, die Versorgungslage verbesserte sich. Im Frühjahr waren die Lebensmittelkarten abgeschafft, die Rationierungen für Fleisch, Fett und Zucker aufgehoben worden.
Wie alle Führer der sozialistischen Staaten blickte auch Walter Ulbricht zu dieser Zeit hoffnungsfroh und siegessicher in die Zukunft: Die UdSSR hatte 1957 den ersten künstlichen Erdsatelliten "Sputnik" in das All geschossen, was im westlichen Lager einen nachhaltigen Schock auslöste. Damit schien vordergründig die unablässig postulierte Stärke und Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus bewiesen. In Ungarn waren die reformkommunistischen Bestrebungen niedergeschlagen worden und auch Walter Ulbricht hatte sich erfolgreich seiner innerparteilichen Opposition entledigt. Damit waren auch die Reformdebatten verstummt, die im Zuge der Entstalinisierung auch in Bezug auf die Landwirtschaft geführt worden waren. Der Historiker Jens Schöne:
"Ab sofort gilt wieder nur die reine Lehre, das, was in den Schriften der Klassiker, also Marx, Engels, Lenin, zu dem Zeitpunkt nicht mehr Stalin, aber den hat Walter Ulbricht durchaus noch im Kopf, nur das gilt jetzt wieder. Und das sagt ganz eindeutig: Der Sozialismus auf dem Lande, das heißt, der private Sektor ist abzuschaffen, landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften sind, neben dem staatlichen Sektor, noch das einzige Modell, was es zu geben hat."
Aber ungeachtet des 1959 verabschiedeten LPG-Gesetzes geht die Zahl der LPG-Gründungen zurück, auch die Agrarproduktion sinkt.
"Wenn wir Westdeutschland in der Versorgung mit allen wichtigen Lebensmitteln und Konsumgütern einholen und teilweise übertreffen wollen, so hängt dies zu einem wesentlichen Teil davon ab, dass wir Westdeutschland hinsichtlich der Arbeitsproduktivität überholen."
Das unterstreicht Walter Ulbricht im September 1959 bei der Begründung des Siebenjahrplanes.
"Nach den Zahlen des Deutschen Wirtschaftsinstituts blieben wir 1958 noch wesentlich hinter Westdeutschland zurück. Bei vielen Produkten wie Gemüse, Obst, Geflügel usw. ist eine bedeutende Erhöhung der Qualität der Erzeugnisse notwendig. Das große Ergebnis von geschichtlicher Bedeutung wird sein, dass mit der Durchführung des Siebenjahrplanes die Überlegenheit der sozialistischen Landwirtschaft über die kapitalistische Landwirtschaft und über die einzelbäuerlichen Betriebe in Westdeutschland eindeutig bewiesen wird. Der Siebenjahrplan stellt den Landarbeitern und Bauern die schöne Aufgabe: dem Volke mehr Lebensmittel und Rohstoffe, den Bauern ein schöneres, kulturvolles Leben."
Moderator: "Nun die Redaktion Landwirtschaft von Radio DDR. Guten Abend, meine Hörerinnen und Hörer. Gestern Abend fand in Kyritz, im Bezirk Potsdam, ein großes Forum zu wichtigen Fragen der Landwirtschaft statt. Wie kann man schnell und nachhaltig die Arbeitsergebnisse in der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft erhöhen? Darüber berichtete im Namen der Genossenschaftsbauern von Pantikow der LPG-Vorsitzende Horst Glöhde."
Eine Sendung des DDR-Rundfunks vom Dezember 1959.
"Wir sind eine Saatbau-LPG geworden, die dies Jahr schon mit sehr guten Erfolgen auf dem Markt des Saatbaus erschienen ist. Wir haben auf der anderen Seite auch 240 zusätzliche Stallplätze für Schweine geschaffen. Aber wer hat das getan, wie haben wir das erreicht? Das sind also bei uns die Menschen gewesen, die gestern noch werktätige Einzelbauern waren und heute Genossenschaftsbauern gewesen sind. Ich will also nur einen nennen, zum Beispiel den Kollegen Franz Markowsky. Der sagte also noch vor einem Jahr: 'Ich werde der letzte im Kreis Kyritz sein, der also Genossenschaftsbauer ist.' Und wer ist er heute?
Er ist heute ein Genossenschaftsbauer, der 100 Mastbullen in unserer Genossenschaft betreut, der unter anderem ca. 30 Doppelzentner Rindfleisch zusätzlich erzeugt. Wie ist er also dazu gekommen, um 30 Doppelzentner zusätzlich zu erzeugen? Indem er also seine Erfahrungen als alter Melker, die er hier auf seiner einzelbäuerlichen Wirtschaft nicht voll ausnutzen konnte, jetzt dem sozialistischen Großbetrieb zur Verfügung stellen kann. Er tut das sehr gut."
Moderator: "Ein kritisches Wort richtete der Genossenschaftsvorsitzende Horst Glöhde an die für das Baugeschehen verantwortlichen Staatsfunktionäre. So wird zum Beispiel an einem Melkhaus in Pantikow zwei Jahre gebaut, ohne dass dieser Bau fertig geworden ist. Fakt ist also der, dass wir unsere Kühe nicht in den Offenställen jetzt aufstellen konnten."
Irreale Planvorgaben und unkoordinierte Arbeitsabläufe sind mitverantwortlich für die unzureichende Arbeitsproduktivität. Neben der Produktions- und Kollektivierungskrise macht der SED-Führung vor allem zu schaffen, dass Mittelbauern sich weigern, den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften beizutreten. Jens Schöne:
"Das sind die, die so Betriebe mittlerer Größe haben, so um die 20 Hektar, dass diese Bauern nicht wie erwartet sich der Sache des Sozialismus verschreiben, sondern je erfolgreicher sie arbeiten eher in die kapitalistische Richtung neigen, und zwar schlichtweg größere Betriebe haben wollen. Und da diese Mittelbauern aber als unerlässlich angesehen werden, um den Sozialismus aufbauen zu können in den Dörfern, kommt das als dritter Faktor hinzu.
Und daraus ergibt sich dann eine Gemengelage, aus der heraus es zunehmend notwendig wird, so interpretiert man es zumindest in Ostberlin, hier grundlegende Entscheidungen zu fällen: Mit allen Zweideutigkeiten in den Dörfern Schluss zu machen, auf das ideologisch vorgesehene Modell zu orientieren und schlichtweg praktisch die Existenz der Privatbauernbetriebe in den Dörfern zu beenden und diese Bauernbetriebe, von denen es im Jahr 1959 noch immer über 400 000 gibt, diese Betriebe gänzlich in Produktionsgenossenschaften zu überführen."
Moderator: "Herr Böhme, Sie haben, wie Sie mir sagten, die Zone verlassen müssen. Sie sind Bauer in Augustusburg gewesen, im Erzgebirge. Sie haben einen schönen, vollen Betrieb gehabt von 70 Hektar."
Eine Sendung des RIAS Berlin aus dem Jahr 1959.
"Sie hatten keine Sollschulden und wären, wenn die Verhältnisse nicht so gewesen wären wie sie eben sind, sicher noch jahrelang auf Ihrem Betrieb gewesen. Laut Perspektivplan der Stadt Augustusburg sollte die gesamte Landwirtschaft der Stadt Augustusburg im Jahre 1959 voll sozialisiert werden. Aus diesem Grunde hat man mich des öftern aufgesucht und mich versucht in die LPG hineinzupressen. Man war des öftern, das waren Herren vom Kreisrat, drei, vier, sie sind am Tag gekommen, sie haben mich abends zu Versammlungen eingeladen, man hat immer auf mich eingedrungen, in den sozialistischen Sektor einzutreten."
Moderator: "Hat man nun wirtschaftliche Druckmittel angewendet?"
"Ja, hat man bei mir auch gemacht. Und zwar hat man mir für den ganzen Monat März 20 Kilo Dieseltreibstoff zugeteilt. Das war eine Menge für einen halben Tag Arbeit."
Moderator: "Hat man Ihnen von der MTS aus Schwierigkeiten gemacht?"
"Von der MTS hat man mir auch Schwierigkeiten gemacht, hat mir auch damit gedroht, die MTS mir in Zukunft also nicht mehr zuzuteilen, dass die nicht mehr arbeiten durften."
Im Dezember 1959 bilanziert das ZK der SED, dass die Kollektivierung ebenso stagniert wie die Agrarproduktion. Die Schuldigen sind schnell gefunden: die privaten landwirtschaftlichen Betriebe, obwohl ihre Produktivität die der LPG bei weitem übersteigt. Der Historiker Jens Schöne:
"Da gab es Modellrechnungen, die so absurd sind, aber offensichtlich rezipiert wurden und auch Grundlage wurden für das weitere Agieren. So wurde beispielsweise im Ministerium für Land- und Forstwirtschaft Ende der 50er Jahre der Frage nachgegangen: Warum gehört den LPG die Zukunft? Und da gibt es eine Modellrechnung, von der man denken könnte, sie stammt aus einem Comic oder ähnlichem, aber sie ist tatsächlich auf politischer Ebene erarbeitet worden. Und die geht so: In einem Dorf gibt es eine LPG und einen Privatbauern. Der Privatbauer hat 100 Hühner und die LPG hat ein Huhn, was widerspiegelt, dass eben die Privatbauern zu dem Zeitpunkt besser dastanden und also auch mit den Realitäten in den Dörfern übereinstimmten.
Nun passiert folgendes: Im Frühjahr des folgenden Jahres kommt der Nachwuchs, und jeder Betrieb, sowohl die LPG als auch der Privatbauer, hat ein Huhn mehr. Das heißt, der Privatbauer hat jetzt 101 Hühner und die LPG hat zwei Hühner. Und damit ist ganz eindeutig bewiesen, dass die LPG überlegen ist. Warum? Das ist ganz einfach: Die LPG hat natürlich ihren Bestand um 100 Prozent erhöht, indem sie ja jetzt zwei Hühner hat, während der Privatbauer nur ein Prozent Wachstumsrate aufzuweisen hat. Und damit, wie es damals in der zeitgenössischen Sprache hieß, damit war bewiesen, dass der Privatbauer am Ende seiner Entwicklungsmöglichkeiten angekommen ist und den LPG also ohne jeden Zweifel die Zukunft gehört. Absurd, aber damals in der Realität anzutreffen solche Überlegung."
Es ist die Zeit der Parteisoldaten und Funktionsträger, Erfolgsmeldungen sind das Gebot der Stunde. Am 12. Dezember 1959 meldet der sächsische Kreis Eilenburg bei Leipzig nach Ostberlin seine "Vollkollektivierung".
"Wo man innerhalb kürzester Zeit alle Bauern, zumindest offiziell, es gibt Ausnahmen, aber die werden nicht erwähnt, in die LPG zwingt, zum Teil mit purem Zwang, zum Teil auch mit Lockungen. Es gibt da das Beispiel eines Dorfes, wo die Unterlagen komplett überliefert sind, da treten etwa die Hälfte der Bauern in die LPG erst bei, nachdem ihre individuellen Forderungen schriftlich fixiert wurden.
Das sind so Sachen wie: Wenn ich in die LPG eintrete, bekommt meine Schwiegermutter einen Platz im Altersheim, das sind Sachen wie: Dann bekomme ich privat ein Auto, dann darf ich all meinen Brüdern vorher je ein Hektar Land überschreiben, alles Sachen, die absolut nicht vorgesehen sind, denen aber unter dem Druck einfach nachgegeben wird. Was insofern bedeutsam ist, als sich daraus dann natürlich Folgeprobleme ergeben. Weil die Bauern dann kommen und sagen: Wo ist denn nun mein Auto, und wenn das Auto nicht kommt, dann gut, dann arbeite ich nicht mehr, Schluss, Ende, Aus."
Mit Beginn des Jahres 1960 wird die Kollektivierung mit Brachialgewalt in der gesamten DDR durchgesetzt. Ob Polizei, Mitarbeiter der Staatssicherheit, Parteigenossen, Werktätige, Mitglieder der Kampfgruppen, Studenten, FDJler - alle müssen aufs Land, um widerständige Bauern davon zu "überzeugen", "freiwillig" einer LPG beizutreten.
"Wir reden hier über Inhaftierungen, wir reden über Enteignungen, wir reden über solche Dinge wie zum Beispiel, dass alle Bauern eines Dorfes einbestellt werden ins Kulturhaus. Vorne sitzt ein Stasimensch in Uniform, der nichts weiter tut, als über Stunden hinweg seine Waffe zu beladen und zu entladen vorne, und nebenbei wird für den Eintritt in die LPG geworben.
Wir reden über Leute, die beim Zahnarzt überfallen werden, die ihr Gebiss erst wieder bekommen, nachdem sie unterschrieben haben. Wir reden hier also wirklich, wenn wir über den sozialistischen Frühling, über die Monate von Januar bis März 1960 reden, hier reden wir über massive Zwangsmaßnahmen, und da gibt es auch gar nichts schönzureden."
Tausende Bauern entziehen sich dem Druck und fliehen in den Westen. Berlin mit seinen noch offenen Sektorengrenzen und den in Ost und West verkehrenden S-Bahnen wird zum idealen Transitgebiet, erinnert sich ein Ostberliner Ehepaar.
Frau: "Wir hatten auch Verwandte natürlich, die gingen, und mitunter waren wir dann, wenn es sich um Verwandte handelte, die in Thüringen oder irgendwo außerhalb Berlins lebten, da waren wir dann die letzte Station, und wir haben mehrere Verwandte und auch einen Kollegen, haben wir begleitet in der S-Bahn. Und ich habe einmal das Riesengepäck eines Verwandten befördert, der hatte so viel Angst, dass er seine Koffer nicht bei sich halten wollte und ich hab die genommen. Er war Sohn eines Bauern, Mittelbauern, und es stand die Kollektivierung an, er nahm das zum Anlass zu flüchten. Die Eltern und die anderen Geschwister, die blieben aber dort, aber er war an sich der Hoferbe."
Mann: "Da standen also die Arbeiter, die die Bauern überzeugen sollten, vor'm Hoftor und bearbeiteten die Familien mit Lautsprechern und Ansagen, Tag und Nacht, und betrieben da regelrechten Gesinnungsterror. Das sind Dinge, die man sich heute als normaler Mensch kaum noch vorstellen kann, aber bei Bauern in Thüringen und Sachsen-Anhalt war das ganz offenkundig."
Derweil läuft die Propagandamaschinerie auf Hochtouren. Im Frühjahr 1960 berichtet der Deutschlandsender vom Aufschwung der LPG 'Professor Rübensam' in Müncheberg, östlich von Berlin im märkischen Oderland gelegen. Seit ihrer Gründung 1955 schaffen die werktätigen LPG-Bauern unablässig zum Wohle des Volkes, kämpfen beharrlich um die Vollkollektivierung und werden nicht müde, im Rundfunk die Vorteile und das schöne Leben der Genossenschaftsbauern zu propagieren.
1. Bauer: "Heute habe ich die Möglichkeit, mir auf dem Gebiet Geflügel, was so mein Steckenpferd ist, ich konnte mir darauf qualifizieren. Ich habe mein Aufgabengebiet, in welchem mir keiner reinredet, von niemandem. Auch der Vorsitzende kommt, höflich, zuvorkommend. 'Wo fehlt was?' Hilft, gut, wird abgestellt. Ich muss sagen, ich hab mich noch nie so wohl gefühlt wie jetzt hier in der LPG."
Reporter: "Na, Sie schon – und Ihre Frau?"
"Meine Frau, das ist mal ganz selbstverständlich, ja, wenn die noch daran denkt, wie sie hier früher auf ihrer kleinen Wirtschaft hat müssen die Kühe melken, die Schweine füttern, die Kinder versorgen, Frühstück machen, so, und dann wieder raus aufs Feld, und heute, da macht sie ihren Haushalt, dann hilft sie mit auf dem Geflügelhof. Wir haben unsere Arbeit, das geht Hand in Hand."
Moderator: "Es ist kein Zweifel, dass dieses Beispiel allerorten zum Nachdenken anregt, und auch die Genossenschaft in Müncheberg tut alles, um den Kollegen, die noch nicht den Weg in die Genossenschaft gefunden haben, den Schritt vom Ich zum Wir zu erleichtern."
2. Bauer: "Wir haben hier in Müncheberg jetzt 81 Prozent sozialistischen Sektor, wie wir so sagen. Das heißt, wir haben aber noch in Müncheberg 50 Bauern zu gewinnen, das sind nun zwar Kleinbetriebe über ein Hektar, ein bis fünf Hektar und so weiter, aber nun, wie Sie sehen, das summiert sich."
Von Nord nach Süd wird die DDR regelrecht "aufgerollt". Im März meldet als erster der Bezirk Rostock die Vollkollektivierung, im April der Süden der Republik. Am 14. April 1960 ist die Kollektivierung abgeschlossen.
"Die Bäuerinnen und Bauern in der Deutschen Demokratischen Republik haben den historischen Schritt des Zusammenschlusses in Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften vollendet","
verkündet Walter Ulbricht in seiner Regierungserklärung am 25. April 1960.
""Unseren Bäuerinnen und Bauern ging es in der Deutschen Demokratischen Republik auch bisher nicht schlecht, aber indem sie jetzt den Zusammenschluss in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, der vor acht Jahren begann, beendet haben, eröffnen sich der Bauernschaft der Deutschen Demokratischen Republik die großen Perspektiven des stetig wachsenden materiellen und kulturellen Wohlstandes.
Die geschichtliche Bedeutung des Übergangs aller Bauern zur genossenschaftlichen Arbeit in den LPG besteht darin, dass nunmehr auch in der Landwirtschaft die Grundlagen des Sozialismus geschaffen sind. Damit ist in der DDR die Befreiung der Bauern beendet. Mit dem Eintritt aller Bauern der DDR in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften sind jetzt alle Schranken, die die Entwicklung der Produktion und die Steigerung der Arbeitsproduktivität in der Landwirtschaft noch hemmten, beiseite geräumt.
Jetzt ist es möglich, die Erträge in der Landwirtschaft bedeutend zu erhöhen, die Kosten der landwirtschaftlichen Produktion zu senken. Was von großer Bedeutung für die Erhöhung des Lebens, des Wohlstandes der Bevölkerung ist. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik beglückwünscht alle unsere Bäuerinnen und Bauern zu diesem großen Fortschritt.
Herrn Adenauer und Herrn Lemmer gefällt die Einführung des sozialistischen Frühlings in der DDR nicht. Als Kalte Krieger ist ihnen das Klima des Winters angenehmer. Doch trotz ihrer Propaganda und Feindtätigkeit konnten sie die Entwicklung der Genossenschaft in der DDR nicht aufhalten."
Innerhalb von nur drei Monaten sind 2,5 Millionen Hektar Land an die LPG gefallen, fast soviel wie in den acht Jahren zuvor. Damit hat sich der Anteil der kollektivierten Flächen von 40 auf 85 Prozent verdoppelt.
Der Historiker Jens Schöne:
"Nachdem dann im April 1960 tatsächlich alle Bauern, wir reden da von etwa 800 000 Bauern letztendlich, in die LPG mit ihren Familien überführt wurden, es bleiben nur noch 20 000 DDR-weit etwa übrig, die weiterhin als private Bauern arbeiten, nachdem all diese Bauern also überführt sind und Walter Ulbricht auch stolz vor der Volkskammer verkündet, dass nun der Sozialismus endgültig aufgebaut werden könne und man nun im Aufbruch in die neue, lichte Zukunft sei, stellt sich aber sehr bald heraus, dass genau das ein Irrtum ist.
Denn, natürlich, die Bauern, die in die LPG gezwungen wurden, haben relativ wenig Veranlassung, sich sofort jetzt aktiv einzubringen, fleißigst mitzuarbeiten, die Produktion zu erhöhen. Die Folge ist, dass es zu einem wesentlichen Einbruch kommt. Das hat einerseits zunächst einmal auch mit Witterungsbedingungen zu tun, andererseits aber mit den beschriebenen Problemen.
1960 und auch 1961 brechen die Erträge dramatisch ein, die Versorgungslage verschlechtert sich ebenso dramatisch. Hinzu kommt das Gerücht, in beiden Jahren erstaunlicherweise, dass man jeweils zum 1. Juni aus der LPG austreten könne. Niemand weiß, woher dieses Gerücht kommt, es findet sich aber in der gesamten DDR, woraus wieder Absatzbewegungen aus den Produktionsgenossenschaften entstehen."
Im Hochsommer 1960 steckt die DDR in einer bedrohlichen Krise. Es fehlt an Fleisch, Frischgemüse und Obst, das gar nicht im Verkauf ist. Tatsächlich fordert die brachial durchgesetzte Kollektivierung ihren Tribut. Höfe veröden, Felder liegen brach, Ernten werden nicht eingebracht, Kühe nicht mehr gemolken, Vieh nicht gefüttert, weil tausende Landwirte in den Westen fliehen. Ebenso mittelständische Unternehmer, denn auch Industrie-, Handels- und Handwerksbetriebe sind von der Sozialisierungswelle betroffen.
Die Industrieproduktion stagniert. Volkseigene Betriebe können Liefertermine nicht einhalten, weil qualifizierte Arbeitskräfte in den Westen abwandern. Landkreise und Kleinstädte sind medizinisch unterversorgt, weil sich auch Ärzte und Apotheker in das Wirtschaftswunderland Bundesrepublik absetzen. 1960 verlassen 200 000 Menschen die DDR, darunter mehr als 10.000 in der Landwirtschaft Beschäftigte. Und der Trend setzt sich 1961 fort. Allein von Anfang Januar bis Mai registrieren die Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde, Gießen und Uelzen 74.000 Flüchtlinge.
"Im Sommer 1961 sind wir dann schon bei 1000 Leuten, die jeden Tag die DDR verlassen. Und da ergibt sich jetzt natürlich wiederum Handlungsbedarf für die SED-Führung, und die Folgen sind bekannt – mit dem 13. August 61 schließt man die Mauer um Westberlin. Und die Landwirtschaft, genauer gesagt: die Kollektivierung und die Negativfolgen, die sich daraus ergeben in den Jahren 1960/61, hat dazu einen ganz wesentlichen Beitrag geleistet, weil die Leute eben nicht mehr versorgt waren wie sie sich das vorstellten, weil die Lage schlechter wurde dadurch, dass nicht mehr so viel produziert wurde wie zuvor. Und insofern gibt es da einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Zwangskollektivierung im sozialistischen Frühling des Jahres 1960 und dem Mauerbau dann im August 1961."
(Lied) Im Sommer einundsechzig
"Im Sommer einundsechzig am 13. August,
da schlossen wir die Grenze
und keiner hat´s gewusst.
Klappe zu, Affe tot, endlich lacht das Morgenrot,
Klappe zu, Affe tot, endlich lacht das Morgenrot. "
Erst Mitte der 1960er-Jahre sollte sich die Landwirtschaft von den Folgen der überstürzt und gewaltsam durchgesetzten Kollektivierung erholen, ohne je das Produktionsniveau der Bundesrepublik zu erreichen. Nach der Wende lösten sich die letzten Produktionsgenossenschaften 1991 auf. In den neuen Bundesländern bewirtschaften heute Gemeinschaftsunternehmen, Aktiengesellschaften, GmbHs und Genossenschaften, mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Nur eine Minderheit hat sich für ein Zurück zum kleinen Familienbetrieb entschieden.
Frühjahr 1959: Die Volkskammer der DDR berät in erster Lesung das LPG-Gesetz.
"Ich bitte zur Begründung des Gesetzes den Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, Herrn Paul Scholz, das Wort zu nehmen."
Paul Scholz: " Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der dem Hohen Hause vorliegende Entwurf eines Gesetzes über die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften wurde entsprechend den Forderungen der Genossenschaftsbäuerinnen und Genossenschaftsbauern nach Schaffung eines umfassenden LPG-Rechtes ausgearbeitet und bereits Anfang des Jahres zur öffentlichen Diskussion gestellt."
Das Gesetzeswerk lässt keinen Zweifel daran, dass die Zukunft der Landwirtschaft im Aufbau des Sozialismus liegt.
"Dieses Gesetz soll als Teil unseres neuen sozialistischen Rechts zur weiteren Entwicklung und Festigung der LPG beitragen und die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft fördern. Aus diesem Grunde unterstreicht das Gesetz besonders, dass die LPG sozialistische landwirtschaftliche Großbetriebe sind, die durch den freiwilligen Zusammenschluss werktätiger Bäuerinnen, Bauern und Landarbeiter entstehen."
Am 3. Juni 1959 wird das LPG-Gesetz verabschiedet. Jetzt, so hofft die SED, werde sich die seit Jahren dahinschleppende Kollektivierung beschleunigen und vollenden. Bereits mit der Bodenreform im Herbst 1945 und der damit einhergehenden Enteignung der Großgrundbesitzer war in der Sowjetischen Besatzungszone ein Strukturwandel in der Landwirtschaft eingeleitet worden. Sieben Jahre später, im Sommer 1952, hatte die SED den "Klassenkampf auf dem Lande" ausgerufen und die ersten Gründungen Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften betrieben. Je nach Vergesellschaftungsgrad unterschied man drei Typen: Im LPG-Typ I nutzte man nur die Ackerflächen gemeinsam. In den Typ II brachten die Bauern zusätzlich ihre Maschinen in die Genossenschaft ein, in Typ III auch ihr Vieh. Diese so genannten Musterstatuten regelten die innergenossenschaftlichen Beziehungen und wurden 1959 im LPG-Gesetz verankert.
Lied der Genossenschaftsbauern:
""Es waren viele Bauern,
die kamen überein,
beschlossen ohne Zaudern
Genossenschaft zu sein.
Liebe Nachbarn, jetzt wird's gut,
weil wir nun mit frischem Mut
blicken ohne Sorgen
unverzagt ins Morgen."
Wer der LPG beitrat, kam umgehend in den Genuss persönlicher und wirtschaftlicher Vorteile: Mitglieder zahlten weniger Steuern als Einzelbauern, hatten bevorzugt Zugriff auf technisches Gerät, das von den Maschinen-Traktoren-Stationen, kurz MTS, gestellt wurde. Die Genossenschaftsbauern profitierten zudem von großzügigen staatlichen Subventionen, Krediten, Urlaubsregelungen, waren rentenversichert und hatten Anspruch auf Krankengeld.
Dennoch ging die Kollektivierung kaum voran. Anders als der industrielle Sektor, der bereits weitgehend verstaatlicht war, wurden Ende der 1950er-Jahre immer noch zwei Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche von Einzelbauern bewirtschaftet, die 60 Prozent der Agrarproduktion erzeugten.
"Die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft ist die komplizierteste Aufgabe der Arbeiterklasse in der Periode des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus,"
konstatierte Walter Ulbricht, Erster Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, auf dem V. Parteitag der SED im Sommer 1958. Unter der Losung "Der Sozialismus siegt!" beschloss man ein wirtschaftliches "Kampfprogramm". Es sollte unter anderem die "sozialistische Entwicklung auf dem Lande" beschleunigen und bis 1961 die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung der DDR über den kapitalistischen Konkurrenten Bundesrepublik beweisen. Dabei wies Walter Ulbricht der Kollektivierung eine entscheidende Rolle zu.
"Durch den Aufbau der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften wächst die Produktivität unserer Viehwirtschaft stärker an als das im Plan vorgesehen war. Die Initiative der Genossenschaftsbauern, Arbeiter, Maschinen-Traktoren-Stationen, der Landarbeiter und Einzelbauern gibt die Möglichkeit, bei Milch, Schweinefleisch und Eiern im wesentlichen die Produktionsziele des Jahres 1960 bereits Ende dieses Jahres zu erreichen.
Im Ergebnis dieser Entwicklung entscheiden sich in wachsendem Maße gute Mittelbauern für die genossenschaftliche Produktion. In den letzten Wochen zeigt sich als eine qualitativ neue Erscheinung, dass sich in einer ganzen Reihe Dörfer alle Bauern zur genossenschaftlichen Produktion vereinigt haben und damit den entscheidenden Schritt zum sozialistischen Dorf vollzogen. Jetzt kommt es darauf an, planmäßig die sozialistische Gestaltung ganzer fortgeschrittener Kreise und zusammenhängender landwirtschaftlicher Gebiete allseitig in Angriff zu nehmen."
Der V. Parteitag signalisierte Euphorie und Aufbruchstimmung. Das Volk, so schien es, hatte sich arrangiert mit dem System, die Flüchtlingszahlen waren rückläufig. In der DDR kündigte sich ein bescheidener Wohlstand an, die Versorgungslage verbesserte sich. Im Frühjahr waren die Lebensmittelkarten abgeschafft, die Rationierungen für Fleisch, Fett und Zucker aufgehoben worden.
Wie alle Führer der sozialistischen Staaten blickte auch Walter Ulbricht zu dieser Zeit hoffnungsfroh und siegessicher in die Zukunft: Die UdSSR hatte 1957 den ersten künstlichen Erdsatelliten "Sputnik" in das All geschossen, was im westlichen Lager einen nachhaltigen Schock auslöste. Damit schien vordergründig die unablässig postulierte Stärke und Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus bewiesen. In Ungarn waren die reformkommunistischen Bestrebungen niedergeschlagen worden und auch Walter Ulbricht hatte sich erfolgreich seiner innerparteilichen Opposition entledigt. Damit waren auch die Reformdebatten verstummt, die im Zuge der Entstalinisierung auch in Bezug auf die Landwirtschaft geführt worden waren. Der Historiker Jens Schöne:
"Ab sofort gilt wieder nur die reine Lehre, das, was in den Schriften der Klassiker, also Marx, Engels, Lenin, zu dem Zeitpunkt nicht mehr Stalin, aber den hat Walter Ulbricht durchaus noch im Kopf, nur das gilt jetzt wieder. Und das sagt ganz eindeutig: Der Sozialismus auf dem Lande, das heißt, der private Sektor ist abzuschaffen, landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften sind, neben dem staatlichen Sektor, noch das einzige Modell, was es zu geben hat."
Aber ungeachtet des 1959 verabschiedeten LPG-Gesetzes geht die Zahl der LPG-Gründungen zurück, auch die Agrarproduktion sinkt.
"Wenn wir Westdeutschland in der Versorgung mit allen wichtigen Lebensmitteln und Konsumgütern einholen und teilweise übertreffen wollen, so hängt dies zu einem wesentlichen Teil davon ab, dass wir Westdeutschland hinsichtlich der Arbeitsproduktivität überholen."
Das unterstreicht Walter Ulbricht im September 1959 bei der Begründung des Siebenjahrplanes.
"Nach den Zahlen des Deutschen Wirtschaftsinstituts blieben wir 1958 noch wesentlich hinter Westdeutschland zurück. Bei vielen Produkten wie Gemüse, Obst, Geflügel usw. ist eine bedeutende Erhöhung der Qualität der Erzeugnisse notwendig. Das große Ergebnis von geschichtlicher Bedeutung wird sein, dass mit der Durchführung des Siebenjahrplanes die Überlegenheit der sozialistischen Landwirtschaft über die kapitalistische Landwirtschaft und über die einzelbäuerlichen Betriebe in Westdeutschland eindeutig bewiesen wird. Der Siebenjahrplan stellt den Landarbeitern und Bauern die schöne Aufgabe: dem Volke mehr Lebensmittel und Rohstoffe, den Bauern ein schöneres, kulturvolles Leben."
Moderator: "Nun die Redaktion Landwirtschaft von Radio DDR. Guten Abend, meine Hörerinnen und Hörer. Gestern Abend fand in Kyritz, im Bezirk Potsdam, ein großes Forum zu wichtigen Fragen der Landwirtschaft statt. Wie kann man schnell und nachhaltig die Arbeitsergebnisse in der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft erhöhen? Darüber berichtete im Namen der Genossenschaftsbauern von Pantikow der LPG-Vorsitzende Horst Glöhde."
Eine Sendung des DDR-Rundfunks vom Dezember 1959.
"Wir sind eine Saatbau-LPG geworden, die dies Jahr schon mit sehr guten Erfolgen auf dem Markt des Saatbaus erschienen ist. Wir haben auf der anderen Seite auch 240 zusätzliche Stallplätze für Schweine geschaffen. Aber wer hat das getan, wie haben wir das erreicht? Das sind also bei uns die Menschen gewesen, die gestern noch werktätige Einzelbauern waren und heute Genossenschaftsbauern gewesen sind. Ich will also nur einen nennen, zum Beispiel den Kollegen Franz Markowsky. Der sagte also noch vor einem Jahr: 'Ich werde der letzte im Kreis Kyritz sein, der also Genossenschaftsbauer ist.' Und wer ist er heute?
Er ist heute ein Genossenschaftsbauer, der 100 Mastbullen in unserer Genossenschaft betreut, der unter anderem ca. 30 Doppelzentner Rindfleisch zusätzlich erzeugt. Wie ist er also dazu gekommen, um 30 Doppelzentner zusätzlich zu erzeugen? Indem er also seine Erfahrungen als alter Melker, die er hier auf seiner einzelbäuerlichen Wirtschaft nicht voll ausnutzen konnte, jetzt dem sozialistischen Großbetrieb zur Verfügung stellen kann. Er tut das sehr gut."
Moderator: "Ein kritisches Wort richtete der Genossenschaftsvorsitzende Horst Glöhde an die für das Baugeschehen verantwortlichen Staatsfunktionäre. So wird zum Beispiel an einem Melkhaus in Pantikow zwei Jahre gebaut, ohne dass dieser Bau fertig geworden ist. Fakt ist also der, dass wir unsere Kühe nicht in den Offenställen jetzt aufstellen konnten."
Irreale Planvorgaben und unkoordinierte Arbeitsabläufe sind mitverantwortlich für die unzureichende Arbeitsproduktivität. Neben der Produktions- und Kollektivierungskrise macht der SED-Führung vor allem zu schaffen, dass Mittelbauern sich weigern, den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften beizutreten. Jens Schöne:
"Das sind die, die so Betriebe mittlerer Größe haben, so um die 20 Hektar, dass diese Bauern nicht wie erwartet sich der Sache des Sozialismus verschreiben, sondern je erfolgreicher sie arbeiten eher in die kapitalistische Richtung neigen, und zwar schlichtweg größere Betriebe haben wollen. Und da diese Mittelbauern aber als unerlässlich angesehen werden, um den Sozialismus aufbauen zu können in den Dörfern, kommt das als dritter Faktor hinzu.
Und daraus ergibt sich dann eine Gemengelage, aus der heraus es zunehmend notwendig wird, so interpretiert man es zumindest in Ostberlin, hier grundlegende Entscheidungen zu fällen: Mit allen Zweideutigkeiten in den Dörfern Schluss zu machen, auf das ideologisch vorgesehene Modell zu orientieren und schlichtweg praktisch die Existenz der Privatbauernbetriebe in den Dörfern zu beenden und diese Bauernbetriebe, von denen es im Jahr 1959 noch immer über 400 000 gibt, diese Betriebe gänzlich in Produktionsgenossenschaften zu überführen."
Moderator: "Herr Böhme, Sie haben, wie Sie mir sagten, die Zone verlassen müssen. Sie sind Bauer in Augustusburg gewesen, im Erzgebirge. Sie haben einen schönen, vollen Betrieb gehabt von 70 Hektar."
Eine Sendung des RIAS Berlin aus dem Jahr 1959.
"Sie hatten keine Sollschulden und wären, wenn die Verhältnisse nicht so gewesen wären wie sie eben sind, sicher noch jahrelang auf Ihrem Betrieb gewesen. Laut Perspektivplan der Stadt Augustusburg sollte die gesamte Landwirtschaft der Stadt Augustusburg im Jahre 1959 voll sozialisiert werden. Aus diesem Grunde hat man mich des öftern aufgesucht und mich versucht in die LPG hineinzupressen. Man war des öftern, das waren Herren vom Kreisrat, drei, vier, sie sind am Tag gekommen, sie haben mich abends zu Versammlungen eingeladen, man hat immer auf mich eingedrungen, in den sozialistischen Sektor einzutreten."
Moderator: "Hat man nun wirtschaftliche Druckmittel angewendet?"
"Ja, hat man bei mir auch gemacht. Und zwar hat man mir für den ganzen Monat März 20 Kilo Dieseltreibstoff zugeteilt. Das war eine Menge für einen halben Tag Arbeit."
Moderator: "Hat man Ihnen von der MTS aus Schwierigkeiten gemacht?"
"Von der MTS hat man mir auch Schwierigkeiten gemacht, hat mir auch damit gedroht, die MTS mir in Zukunft also nicht mehr zuzuteilen, dass die nicht mehr arbeiten durften."
Im Dezember 1959 bilanziert das ZK der SED, dass die Kollektivierung ebenso stagniert wie die Agrarproduktion. Die Schuldigen sind schnell gefunden: die privaten landwirtschaftlichen Betriebe, obwohl ihre Produktivität die der LPG bei weitem übersteigt. Der Historiker Jens Schöne:
"Da gab es Modellrechnungen, die so absurd sind, aber offensichtlich rezipiert wurden und auch Grundlage wurden für das weitere Agieren. So wurde beispielsweise im Ministerium für Land- und Forstwirtschaft Ende der 50er Jahre der Frage nachgegangen: Warum gehört den LPG die Zukunft? Und da gibt es eine Modellrechnung, von der man denken könnte, sie stammt aus einem Comic oder ähnlichem, aber sie ist tatsächlich auf politischer Ebene erarbeitet worden. Und die geht so: In einem Dorf gibt es eine LPG und einen Privatbauern. Der Privatbauer hat 100 Hühner und die LPG hat ein Huhn, was widerspiegelt, dass eben die Privatbauern zu dem Zeitpunkt besser dastanden und also auch mit den Realitäten in den Dörfern übereinstimmten.
Nun passiert folgendes: Im Frühjahr des folgenden Jahres kommt der Nachwuchs, und jeder Betrieb, sowohl die LPG als auch der Privatbauer, hat ein Huhn mehr. Das heißt, der Privatbauer hat jetzt 101 Hühner und die LPG hat zwei Hühner. Und damit ist ganz eindeutig bewiesen, dass die LPG überlegen ist. Warum? Das ist ganz einfach: Die LPG hat natürlich ihren Bestand um 100 Prozent erhöht, indem sie ja jetzt zwei Hühner hat, während der Privatbauer nur ein Prozent Wachstumsrate aufzuweisen hat. Und damit, wie es damals in der zeitgenössischen Sprache hieß, damit war bewiesen, dass der Privatbauer am Ende seiner Entwicklungsmöglichkeiten angekommen ist und den LPG also ohne jeden Zweifel die Zukunft gehört. Absurd, aber damals in der Realität anzutreffen solche Überlegung."
Es ist die Zeit der Parteisoldaten und Funktionsträger, Erfolgsmeldungen sind das Gebot der Stunde. Am 12. Dezember 1959 meldet der sächsische Kreis Eilenburg bei Leipzig nach Ostberlin seine "Vollkollektivierung".
"Wo man innerhalb kürzester Zeit alle Bauern, zumindest offiziell, es gibt Ausnahmen, aber die werden nicht erwähnt, in die LPG zwingt, zum Teil mit purem Zwang, zum Teil auch mit Lockungen. Es gibt da das Beispiel eines Dorfes, wo die Unterlagen komplett überliefert sind, da treten etwa die Hälfte der Bauern in die LPG erst bei, nachdem ihre individuellen Forderungen schriftlich fixiert wurden.
Das sind so Sachen wie: Wenn ich in die LPG eintrete, bekommt meine Schwiegermutter einen Platz im Altersheim, das sind Sachen wie: Dann bekomme ich privat ein Auto, dann darf ich all meinen Brüdern vorher je ein Hektar Land überschreiben, alles Sachen, die absolut nicht vorgesehen sind, denen aber unter dem Druck einfach nachgegeben wird. Was insofern bedeutsam ist, als sich daraus dann natürlich Folgeprobleme ergeben. Weil die Bauern dann kommen und sagen: Wo ist denn nun mein Auto, und wenn das Auto nicht kommt, dann gut, dann arbeite ich nicht mehr, Schluss, Ende, Aus."
Mit Beginn des Jahres 1960 wird die Kollektivierung mit Brachialgewalt in der gesamten DDR durchgesetzt. Ob Polizei, Mitarbeiter der Staatssicherheit, Parteigenossen, Werktätige, Mitglieder der Kampfgruppen, Studenten, FDJler - alle müssen aufs Land, um widerständige Bauern davon zu "überzeugen", "freiwillig" einer LPG beizutreten.
"Wir reden hier über Inhaftierungen, wir reden über Enteignungen, wir reden über solche Dinge wie zum Beispiel, dass alle Bauern eines Dorfes einbestellt werden ins Kulturhaus. Vorne sitzt ein Stasimensch in Uniform, der nichts weiter tut, als über Stunden hinweg seine Waffe zu beladen und zu entladen vorne, und nebenbei wird für den Eintritt in die LPG geworben.
Wir reden über Leute, die beim Zahnarzt überfallen werden, die ihr Gebiss erst wieder bekommen, nachdem sie unterschrieben haben. Wir reden hier also wirklich, wenn wir über den sozialistischen Frühling, über die Monate von Januar bis März 1960 reden, hier reden wir über massive Zwangsmaßnahmen, und da gibt es auch gar nichts schönzureden."
Tausende Bauern entziehen sich dem Druck und fliehen in den Westen. Berlin mit seinen noch offenen Sektorengrenzen und den in Ost und West verkehrenden S-Bahnen wird zum idealen Transitgebiet, erinnert sich ein Ostberliner Ehepaar.
Frau: "Wir hatten auch Verwandte natürlich, die gingen, und mitunter waren wir dann, wenn es sich um Verwandte handelte, die in Thüringen oder irgendwo außerhalb Berlins lebten, da waren wir dann die letzte Station, und wir haben mehrere Verwandte und auch einen Kollegen, haben wir begleitet in der S-Bahn. Und ich habe einmal das Riesengepäck eines Verwandten befördert, der hatte so viel Angst, dass er seine Koffer nicht bei sich halten wollte und ich hab die genommen. Er war Sohn eines Bauern, Mittelbauern, und es stand die Kollektivierung an, er nahm das zum Anlass zu flüchten. Die Eltern und die anderen Geschwister, die blieben aber dort, aber er war an sich der Hoferbe."
Mann: "Da standen also die Arbeiter, die die Bauern überzeugen sollten, vor'm Hoftor und bearbeiteten die Familien mit Lautsprechern und Ansagen, Tag und Nacht, und betrieben da regelrechten Gesinnungsterror. Das sind Dinge, die man sich heute als normaler Mensch kaum noch vorstellen kann, aber bei Bauern in Thüringen und Sachsen-Anhalt war das ganz offenkundig."
Derweil läuft die Propagandamaschinerie auf Hochtouren. Im Frühjahr 1960 berichtet der Deutschlandsender vom Aufschwung der LPG 'Professor Rübensam' in Müncheberg, östlich von Berlin im märkischen Oderland gelegen. Seit ihrer Gründung 1955 schaffen die werktätigen LPG-Bauern unablässig zum Wohle des Volkes, kämpfen beharrlich um die Vollkollektivierung und werden nicht müde, im Rundfunk die Vorteile und das schöne Leben der Genossenschaftsbauern zu propagieren.
1. Bauer: "Heute habe ich die Möglichkeit, mir auf dem Gebiet Geflügel, was so mein Steckenpferd ist, ich konnte mir darauf qualifizieren. Ich habe mein Aufgabengebiet, in welchem mir keiner reinredet, von niemandem. Auch der Vorsitzende kommt, höflich, zuvorkommend. 'Wo fehlt was?' Hilft, gut, wird abgestellt. Ich muss sagen, ich hab mich noch nie so wohl gefühlt wie jetzt hier in der LPG."
Reporter: "Na, Sie schon – und Ihre Frau?"
"Meine Frau, das ist mal ganz selbstverständlich, ja, wenn die noch daran denkt, wie sie hier früher auf ihrer kleinen Wirtschaft hat müssen die Kühe melken, die Schweine füttern, die Kinder versorgen, Frühstück machen, so, und dann wieder raus aufs Feld, und heute, da macht sie ihren Haushalt, dann hilft sie mit auf dem Geflügelhof. Wir haben unsere Arbeit, das geht Hand in Hand."
Moderator: "Es ist kein Zweifel, dass dieses Beispiel allerorten zum Nachdenken anregt, und auch die Genossenschaft in Müncheberg tut alles, um den Kollegen, die noch nicht den Weg in die Genossenschaft gefunden haben, den Schritt vom Ich zum Wir zu erleichtern."
2. Bauer: "Wir haben hier in Müncheberg jetzt 81 Prozent sozialistischen Sektor, wie wir so sagen. Das heißt, wir haben aber noch in Müncheberg 50 Bauern zu gewinnen, das sind nun zwar Kleinbetriebe über ein Hektar, ein bis fünf Hektar und so weiter, aber nun, wie Sie sehen, das summiert sich."
Von Nord nach Süd wird die DDR regelrecht "aufgerollt". Im März meldet als erster der Bezirk Rostock die Vollkollektivierung, im April der Süden der Republik. Am 14. April 1960 ist die Kollektivierung abgeschlossen.
"Die Bäuerinnen und Bauern in der Deutschen Demokratischen Republik haben den historischen Schritt des Zusammenschlusses in Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften vollendet","
verkündet Walter Ulbricht in seiner Regierungserklärung am 25. April 1960.
""Unseren Bäuerinnen und Bauern ging es in der Deutschen Demokratischen Republik auch bisher nicht schlecht, aber indem sie jetzt den Zusammenschluss in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, der vor acht Jahren begann, beendet haben, eröffnen sich der Bauernschaft der Deutschen Demokratischen Republik die großen Perspektiven des stetig wachsenden materiellen und kulturellen Wohlstandes.
Die geschichtliche Bedeutung des Übergangs aller Bauern zur genossenschaftlichen Arbeit in den LPG besteht darin, dass nunmehr auch in der Landwirtschaft die Grundlagen des Sozialismus geschaffen sind. Damit ist in der DDR die Befreiung der Bauern beendet. Mit dem Eintritt aller Bauern der DDR in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften sind jetzt alle Schranken, die die Entwicklung der Produktion und die Steigerung der Arbeitsproduktivität in der Landwirtschaft noch hemmten, beiseite geräumt.
Jetzt ist es möglich, die Erträge in der Landwirtschaft bedeutend zu erhöhen, die Kosten der landwirtschaftlichen Produktion zu senken. Was von großer Bedeutung für die Erhöhung des Lebens, des Wohlstandes der Bevölkerung ist. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik beglückwünscht alle unsere Bäuerinnen und Bauern zu diesem großen Fortschritt.
Herrn Adenauer und Herrn Lemmer gefällt die Einführung des sozialistischen Frühlings in der DDR nicht. Als Kalte Krieger ist ihnen das Klima des Winters angenehmer. Doch trotz ihrer Propaganda und Feindtätigkeit konnten sie die Entwicklung der Genossenschaft in der DDR nicht aufhalten."
Innerhalb von nur drei Monaten sind 2,5 Millionen Hektar Land an die LPG gefallen, fast soviel wie in den acht Jahren zuvor. Damit hat sich der Anteil der kollektivierten Flächen von 40 auf 85 Prozent verdoppelt.
Der Historiker Jens Schöne:
"Nachdem dann im April 1960 tatsächlich alle Bauern, wir reden da von etwa 800 000 Bauern letztendlich, in die LPG mit ihren Familien überführt wurden, es bleiben nur noch 20 000 DDR-weit etwa übrig, die weiterhin als private Bauern arbeiten, nachdem all diese Bauern also überführt sind und Walter Ulbricht auch stolz vor der Volkskammer verkündet, dass nun der Sozialismus endgültig aufgebaut werden könne und man nun im Aufbruch in die neue, lichte Zukunft sei, stellt sich aber sehr bald heraus, dass genau das ein Irrtum ist.
Denn, natürlich, die Bauern, die in die LPG gezwungen wurden, haben relativ wenig Veranlassung, sich sofort jetzt aktiv einzubringen, fleißigst mitzuarbeiten, die Produktion zu erhöhen. Die Folge ist, dass es zu einem wesentlichen Einbruch kommt. Das hat einerseits zunächst einmal auch mit Witterungsbedingungen zu tun, andererseits aber mit den beschriebenen Problemen.
1960 und auch 1961 brechen die Erträge dramatisch ein, die Versorgungslage verschlechtert sich ebenso dramatisch. Hinzu kommt das Gerücht, in beiden Jahren erstaunlicherweise, dass man jeweils zum 1. Juni aus der LPG austreten könne. Niemand weiß, woher dieses Gerücht kommt, es findet sich aber in der gesamten DDR, woraus wieder Absatzbewegungen aus den Produktionsgenossenschaften entstehen."
Im Hochsommer 1960 steckt die DDR in einer bedrohlichen Krise. Es fehlt an Fleisch, Frischgemüse und Obst, das gar nicht im Verkauf ist. Tatsächlich fordert die brachial durchgesetzte Kollektivierung ihren Tribut. Höfe veröden, Felder liegen brach, Ernten werden nicht eingebracht, Kühe nicht mehr gemolken, Vieh nicht gefüttert, weil tausende Landwirte in den Westen fliehen. Ebenso mittelständische Unternehmer, denn auch Industrie-, Handels- und Handwerksbetriebe sind von der Sozialisierungswelle betroffen.
Die Industrieproduktion stagniert. Volkseigene Betriebe können Liefertermine nicht einhalten, weil qualifizierte Arbeitskräfte in den Westen abwandern. Landkreise und Kleinstädte sind medizinisch unterversorgt, weil sich auch Ärzte und Apotheker in das Wirtschaftswunderland Bundesrepublik absetzen. 1960 verlassen 200 000 Menschen die DDR, darunter mehr als 10.000 in der Landwirtschaft Beschäftigte. Und der Trend setzt sich 1961 fort. Allein von Anfang Januar bis Mai registrieren die Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde, Gießen und Uelzen 74.000 Flüchtlinge.
"Im Sommer 1961 sind wir dann schon bei 1000 Leuten, die jeden Tag die DDR verlassen. Und da ergibt sich jetzt natürlich wiederum Handlungsbedarf für die SED-Führung, und die Folgen sind bekannt – mit dem 13. August 61 schließt man die Mauer um Westberlin. Und die Landwirtschaft, genauer gesagt: die Kollektivierung und die Negativfolgen, die sich daraus ergeben in den Jahren 1960/61, hat dazu einen ganz wesentlichen Beitrag geleistet, weil die Leute eben nicht mehr versorgt waren wie sie sich das vorstellten, weil die Lage schlechter wurde dadurch, dass nicht mehr so viel produziert wurde wie zuvor. Und insofern gibt es da einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Zwangskollektivierung im sozialistischen Frühling des Jahres 1960 und dem Mauerbau dann im August 1961."
(Lied) Im Sommer einundsechzig
"Im Sommer einundsechzig am 13. August,
da schlossen wir die Grenze
und keiner hat´s gewusst.
Klappe zu, Affe tot, endlich lacht das Morgenrot,
Klappe zu, Affe tot, endlich lacht das Morgenrot. "
Erst Mitte der 1960er-Jahre sollte sich die Landwirtschaft von den Folgen der überstürzt und gewaltsam durchgesetzten Kollektivierung erholen, ohne je das Produktionsniveau der Bundesrepublik zu erreichen. Nach der Wende lösten sich die letzten Produktionsgenossenschaften 1991 auf. In den neuen Bundesländern bewirtschaften heute Gemeinschaftsunternehmen, Aktiengesellschaften, GmbHs und Genossenschaften, mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Nur eine Minderheit hat sich für ein Zurück zum kleinen Familienbetrieb entschieden.