"Siegfried" in Bayreuth
"Erstmal positiv überrascht": Unser Kritiker sieht beim diesjährigen "Siegfried" in Bayreuth Licht, aber auch Schatten. © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Kasperletheater mit Rumpelkammerrüpel
07:13 Minuten
Die Champagner-Bratwurst schmeckt muffig und Wespen plagen das Publikum: Parallel dazu wird in Bayreuth der "Siegfried" aufgeführt. Die Inszenierung bietet anfangs schöne Einfälle, lässt dann aber nach. Dem Orchester fehlt es an Glanz und Duftigkeit.
Heiße Nachrichten aus Bayreuth! Viele Gaststätten machen, so sie überhaupt geöffnet haben, meist schon vor dem Ende der Aufführungen dicht - wegen Personalmangels. Auf dem Hügel selbst gibt es Köstlichkeiten wie die Champagner-Bratwurst (schmeckt wie ein leicht müffeliges Normalo-Exemplar), und es herrscht überall eine fürchterliche Wespenplage. Und sonst so? Ach ja, der Ring geht weiter.
Wem die Lust nach Rheingold und Walküre vergangen war, der wurde beim "Siegfried" erstmal positiv überrascht. Regisseur Valentin Schwarz erzählt mit ordentlicher Personenführung und schönen Einfällen vom bösen Zwerg Mime und seinem wilden Schützling Siegfried. Letzterer hat Geburtstag, statt dem Libretto gemäßen, ekligen Sud gibt es wohl nicht minder mundenden Kuchen.
Mitten im mafiösen Familienclan
Mime (erheblich besser als im "Rheingold", trotz eigenwilliger Intonation: Arnold Bezuyen) veranstaltet als Höhepunkt der Party ein hübsches Kasperletheater und mimt diverse Figuren furios. Der hereinschneiende Wanderer (wieder arg farblos: Tomasz Konieczny) wird von Bodyguards begleitet - stimmt, alle befinden sich ja irgendwie mitten in einem mafiösen Familienclan.
Im zweiten Aufzug ziehen der Rumpelkammerrüpel und sein Erzieher kurzzeitig in ein Loft um, dort dämmert Riese Fafner - ein Mensch wie alle - im Pflegebett vor sich hin und begrabscht seine Pflegekraft, vulgo Waldvöglein. Sie/es beginnt zu weinen und wird von Siegfried getröstet, der es/sie wiederum recht ungelenk betatscht. Dazu kommen die einschlägigen schrägen Töne aus dem Graben - tolle Idee, prima umgesetzt.
Überhaupt interessiert sich Siegfried hier schon sehr für das weibliche Geschlecht, Mime gab ihm "daheim" schon ein paar Pornobildchen. Fafner stirbt durch einen Herzinfarkt, was die anwesenden Leibwächter irgendwie nicht schert, Siegfried freundet sich mit Fräulein Waldvogel kurzzeitig an und entscheidet sich dann doch für den Almauftrieb in Richtung Brünnhildes Flammenfelsen.
Musterexemplar an Peinlichkeit
Ein paar Dinge klappern bis hierhin zwar auch, so fällt etwa dem Wanderer mal aus Versehen ein Revolver aus der Hose, aber das alles sieht man doch recht gerne und freut sich auf die Fortsetzung im dritten Aufzug.
Leider überrascht dieser negativ. Die Walküren waren ja schönheitsoperierte, bandagierte Girlies, die ausgestoßene Brünnhilde laboriert auch noch an der OP und läuft vermummt herum, sie wird von Siegfried sanft entblättert. Das wirkt blöderweise so gar nicht poetisch, sondern banal und läppisch.
Dass er sie hernach mit der Dame auf dem Pornoflyer vergleicht, ist wiederum purer Seximus. Und außerdem wird der ganze Punkt der Situation - ein junger Mann entdeckt jetzt seine Sexualität - verschenkt. Gab ja das Vöglein, gibt das Printerzeugnis.
Noch blöder ist die Idee, Brünnhildes Pferd Grane als stummen männlichen Begleiter (Bodyguard? Ex-Lover? Familienmitglied?) herumwatscheln zu lassen. Hagen ist als mitteljunger Mann ebenfalls öfters mit von der Partie, zuletzt sahen wir ihn als verschachertes Kind, gerne wüssten wir, was dazwischen passiert ist. Die Liebesszene von Siegfried und Brünnhilde wird zum Musterexemplar an Peinlichkeit und unsinnlichem Spiel.
Eine musikalische Enttäuschung
Andreas Schager als Siegfried versucht sich durch Händeringen und szenisches Outrieren zu retten, auch vokal ist er vorwiegend laut bis sehr laut. Daniela Köhlers Brünnhilde wirkt gerade mal solide, wieder überzeugt Okka von der Damerau als Erda.
Die bitterste Enttäuschung diesmal ist das Bayreuther Festspielorchester unter Cornelius Meister. Ja, es gibt klanglich manch Schönes. Aber immer wieder stimmt die Koordination nicht, vor allem Schagers Siegfried singt gern vor oder nach seiner orchestralen Begleitung. Insgesamt fehlt es an Glanz, Farbe, Duftigkeit.
Das liegt vielleicht nicht nur am Dirigenten, sondern auch an - so war zu hören - etlichen Um- und Neubesetzungen im Graben. Oder ist die Pandemie (mit) schuld? Vom einst so homogenen Weltklasseklangkörper der Jahre vor Corona ist jedenfalls nicht mehr viel zu spüren.