Literaturhinweis:
Ben Salomo: "Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens"
Europa Verlag, Berlin 2019
240 Seiten, 18 Euro
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"Es gibt auf jeden Fall ein Gewaltpotenzial"
In der deutschen Hip-Hop-Szene grassiert der Antisemitismus, sagt der jüdische Rapper Ben Salomo. Mit entsprechenden Provokationen lasse sich viel Geld verdienen. Seine Forderung: Szene und Politik müssen mehr Verantwortung übernehmen.
Oliver Schwesig: "Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens", so lautet der Titel des neuen Buches von Rapper Ben Salomo. Ben Salomo, in ihrem Buch schreiben Sie, dass der deutsche Hip-Hop mal frei von Antisemitismus war, bis Migranten mit muslimischem Hintergrund in die Szene kamen. Sie schreiben gleichzeitig aber auch drüber, dass Hip-Hop ein Spiegel der Gesellschaft war. Warum war der deutsche Hip-Hop nicht antisemitisch?
Salomo: Ich muss das erstmal differenzieren: Das sind nicht irgendwie alle Migranten, die in die Rap-Szene hineingekommen sind und dann antisemitische Narrative mit hineingebracht haben. Sondern ganz bestimmte, die dann auch ganz bestimmte Narrative mit sich gebracht haben, wurden dann auch immer populärer und bekamen eine Fanbase.
Warum es vorher nicht so war? Ich würde sagen, das hat damit zu tun gehabt, dass die Sozialisierung der Rapper, die im Vorfeld mit Rap angefangen haben, einfach eine etwas andere gewesen ist. Die sind beispielsweise nicht so geprägt gewesen vom Nahostkonflikt oder nicht so geprägt gewesen von antisemitischen Verschwörungstheorien und Gerüchten, die in Teilen der Migrantengesellschaft oftmals dadurch Verbreitung gefunden haben, indem Fernsehsender aus den ehemaligen Heimatländern geschaut werden, in denen Judenhass und Israelhass Staatsraison sind.
Da die Hip-Hop-Szene am Anfang ziemlich frei davon war, war das für mich eine sehr, sehr spannende Zeit. Ich konnte mich mit dieser Kultur wunderbar identifizieren. Es war großartig. Mit den Jahren hat sich das dann leider verändert.
"In weiten Teilen so antisemitisch wie Rechtsrock"
Schwesig: Und wie sehen Sie das heute, wie antisemitisch ist der deutsche Hip-Hop heute?
Salomo: Ich halte den deutschen Rap in weiten Teilen für so antisemitisch wie den Rechtsrock. Damit meine ich nicht, dass die jetzt rumlaufen und "Heil Hitler" brüllen oder so’n Blödsinn. Sondern dass sie bestimmte antisemitische Gerüchte und Narrative tatsächlich glauben und diese Ideologien in ihren Köpfen haben. Damit bilden sie eine Schnittmenge mit den Ideologien, die es auch im Rechtsrock gibt oder zum Teil auch in linksextremen Gruppen.
Schwesig: Für wie gefährlich halten Sie das, was da im deutschen Rap an Antisemitismus herrscht? Wenn man das jetzt zum Beispiel mit dem Rechtsrock vergleicht. Gibt es da ein hohes Gewaltpotenzial im Hip-Hop? Wie sehen Sie das?
Salomo: Es gibt auf jeden Fall auch ein Gewaltpotenzial. Aber ich glaube, das größere Potenzial existiert darin, dass die Verbreitung von Hip-Hop viel, viel, viel größer ist und viel mächtiger ist als die Verbreitung von rechtsradikaler Musik. Das öffnet Türen. Wenn die Kids sich zum Beispiel fragen, was Haftbefehl mit der Rothschild-Theorie meint, und noch nichts darüber wissen, dann googeln sie das. Dann kriegen sie zig YouTube-Videos und teilweise sehr propagandistische Pseudodokumentationen.
Lukratives Spiel mit Antisemitismus
Schwesig: In einem Kapitel äußern Sie sich über Farid Bang, der den Judenhass quasi als bewusste Provokation benutzt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Es geht um Klickzahlen und letzten Endes um viel Geld. Sie sagen auch, dass ihm die die Juden vielleicht egal sind, dass er vielleicht gar nicht so genau weiß, was er damit auslöst. Warum sind sich so viele berühmte Musiker ihrer Verantwortung den Leuten und ihrem Publikum gegenüber gar nicht so bewusst?
Salomo: Ich glaube, vielen Rappern ist es schlicht und einfach egal, weil sie damit einfach wunderbar viel Geld verdienen. Die Industrie zieht mit, sie verdient damit Millionen. Solange der Kontostand ihnen ein tolles Leben garantiert, sehen sie sich einfach auch gar nicht in der Pflicht. Ich finde, wenn die Rapper sich schon so artikulieren – und das machen viele, die nicht lernfähig sind… Das sieht man jetzt auch an einem Kollegah: Der geht dann nach Auschwitz, sollte eigentlich was dazugelernt haben. Dass man den Nahostkonflikt eben nicht mit den Naziverbrechen gleichsetzt. Dann gibt er kaum ein paar Tage später ein Interview und macht das.
Da sehe ich das große Problem. Denn hier reden wir eben nicht mehr von Musik und von einer mal irgendwie provokanten Zeile im Battle-Rap, was durchaus möglich ist. Sondern hier reden wir wirklich davon, dass eine Ideologie verbreitet wird.
Schwesig: Sie haben die Musikindustrie und die Millionenverkäufe angesprochen. Bleiben wir noch mal bei der Kontroverse um die Echo-Verleihung an Kollegah und Farid Bang: Hat Sie das überrascht, dass die Musikindustrie quasi mitgezogen ist?
Salomo: Es hat mich nicht überrascht. Ich hab da nicht so viel drüber nachgedacht zu dem Zeitpunkt. Aber ich war am Ende sehr schockiert, weil ich mir dachte: Ihr habt einen Ethikrat - wofür habt ihr den, wenn ihr nicht gelernt habt, wann etwas ethisch ist und wann nicht. Und vor allem ist es auch ein Jurypreis gewesen. Die Jury hat das also einfach durchgewunken. Ich habe mir mal die Liste angeschaut, wer da in der Jury war – das war das "Who is Who" der deutschen Rap-Szene.
Unkritische Fans, unkritische Journalisten
Schwesig: Über Judenhass im deutschen Rap wird vor allem immer von Leuten diskutiert, die eben nicht im deutschen Rap tätig sind – ich zähle mich jetzt mal dazu. Warum gibt es innerhalb der Rap-Szene keine kritische Diskussion?
Salomo: Aus unterschiedlichen Gründen. Zunächst mal die Fanbase: Die ist ohnehin nicht besonders kritisch. Das sind halt Fanboys und Fangirls, die wollen teilweise einfach nur feiern und irgendwie Rap-Musik und diese Geschichten hören. Ich finde, die Medien sollten ein regulierender Faktor sein - so wie in der Gesellschaft auch. Die Redaktionen sind aber leider auch zum Teil aus Fangirls und Fanboys zusammengesetzt.
Darüber hinaus gibt es auch in diesen Redaktionen, wie ich vor kurzem feststellen habe müssen, Redakteure, die den Antisemitismus, den Judenhass, der aus der muslimischen Community kommt, gerne verklären, anstatt ihn beim Namen zu nennen. Die sagen dann lieber: 'religiös verbrämte Fanatiker' oder so etwas. Die möchten Islamismus zum Beispiel nicht ansprechen.
Schwesig: Erwarten Sie Reaktionen aus der Szene auf Ihr Buch?
Salomo: Ehrlich gesagt, nicht. Ich glaube, für die Szene ist das vielleicht ein zu heißes Eisen, um das anzupacken. Ich würde mir sehr wünschen, dass sie es tut, aber ich glaube, so mutig sind die Leute nicht.
Was man gegen Antisemitismus tun kann
Schwesig: Am Ende des Buchs stellen Sie einen Acht-Punkte-Plan auf, was man gegen Judenhass im Rap tun sollte. Was sollte man tun?
Salomo: Es wäre natürlich wunderbar, wenn die Rapper ihre Verantwortung ernster nehmen. Wenn sie das nicht tun, dann sollte man vielleicht auch als Gesetzgeber reingehen und sich fragen, ob ganz bestimmte Rap-Genres oder -Songs nicht die Grenze überschreiten von Battle-Rap oder Gangster-Rap zu Hass-und-Hetze-Rap.
Wenn sie Grenze zum Hass-und-Hetze-Rap überschritten wird, dann sollte man wirklich genauer drauf schauen und diese Künstler oder diese Lieder eventuell nur noch ab 18 zugänglich machen. Man könnte auch die Veranstalter in die Verantwortung nehmen. Genauso wie das zum Beispiel gemacht wird, wenn Raggae-Künstler aus Jamaika nach Deutschland kommen, die unfassbar homophobe und frauenverachtende Texte haben. Da steht halt auch Polizei an der Bühne, und die achtet drauf, dass diese Texte nicht hier gesungen werden, weil sie menschenverachtend sind.
Da gibt es noch ein paar andere Punkte. Mir ist auch wichtig, dass der Judenhass im Deckmantel der Israel-Kritik mehr in den Fokus gerückt wird. Mir ist wichtig, dass das Vakuum im Bezug auf die Entstehungsgeschichte Israels und im Bezug auf das Judentum im Allgemeinen ein wenig aufgearbeitet wird.
Ich erzähle in diesem Buch auch davon, dass ich als Elf- oder Zwölfjähriger mal bei einer sehr netten deutschen Familie zum Austausch war. Die hat mich dann gefragt, ob ich gerne Schweinebraten esse. Und ich habe mich gefragt, wieso die nicht wissen, dass Juden kein Schweinefleisch essen. Immerhin leben seit 1500 Jahren Juden in Europa. Man weiß doch auch, dass Muslime kein Schwein essen. Wieso ist da so ein Riesenvakuum?
Ich glaube, genau an diesem Vakuum können sich diese antisemitischen Gerüchte immer breit machen. Vor Kurzem habe ich meinen Song "Sie sagen mir" rausgebracht. Darin kritisiere ich alle Formen des Antisemitismus, egal aus welcher Richtung sie kommen.
Aufklärung ist mühsam, aber lohnenswert
Schwesig: Sie selbst gehen an Schulen, um Aufklärungsarbeit zu leisten – wie mühsam ist das, was haben Sie für Erfahrungen gemacht?
Salomo: Ich denke, wenn ich das jetzt alleine machen müsste, mit allen Schulen in Deutschland, dann wäre es natürlich sehr, sehr mühsam. Aber es gibt Gott sei Dank noch andere Menschen, die sehr aktiv sind. Zum Beispiel Ahmad Mansour und seine Projekte, oder Heroes, und es gibt noch andere Organisationen, die da ebenfalls ansetzen.
Klar, die Arbeit ist vielleicht mühsam. Aber zum Beispiel war ich vor kurzem in Reinheim, wo ich einen Preis verliehen bekommen habe, das Robert-Goldmann-Stipendium. Da habe ich mit Kindern drei Tage lang einen Rap-Text geschrieben und denen diese Werte beigebracht – Toleranz, Respekt und Nächstenliebe. Das sind syrische Kids gewesen, türkische Kids, iranische Kids, deutsche Kids, das war alles super durchmischt. Am Ende war das einfach ein wundervolles Miteinander.
Diese Mühe lohnt sich, und daran sollte sich vielleicht auch mal die deutsche Politik ein Vorbild nehmen, dass da ordentlich Geld in die Hand genommen wird, dass bestimmte Sozialarbeiter mit den Fachkenntnissen bei all den Punkten, die ich gerade genannt habe, an die Schulen gehen. Und dass wir gemeinsam daran arbeiten, diese antisemitischen Narrative zurückzudrängen, damit unsere Gesellschaft wieder eine wird, in der Juden nicht das Gefühl haben, dass sie auf gepackten Koffern sitzen müssen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.