Zwei Literaturkennerinnen beraten Leser
Sie haben ihre Liebe zur Literatur in eine Geschäftsidee verwandelt. Zwei Freundinnen aus dem norditalienischen Padua bieten die persönliche Buch-Beratung – mithilfe einer von ihnen entwickelten App. Thomas Migge hat die "Personal Book Shopper" getroffen.
"Ich zeige dir jetzt jene Bücher, die ich hier von Herzen empfehlen kann. Bücher, die zu dir passen. Ich beginne mit: 'Der Letzte von uns' von Adélaide de Clermont-Tonnerre. Hier schau, das ist das Titelbild."
Valentina Berengo aus Padua hält das Buch ganz nah an die Kamera heran, damit eine Freundin, mit Grippe im Bett, auch das Titelbild gut erkennen kann:
"Ein schönes Bild. Ein seriöses Design, dabei ist der Inhalt des Buches ganz und gar nicht seriös. Ein Buch voller Leidenschaft."
Ein Buch, so das Fazit von Valentina, wie geschrieben für ihre Freundin.
Private Buchtipps professionalisiert
Aus anfänglich privaten Buchtipps via Skype wurde ein Geschäftsmodell. Und das gleich so erfolgreich, dass Valentina mit ihrer Freundin Gioia Lovison einen Zweitjob daraus gemacht hat. Valentina ist Verlagslektorin und Gioia leitet den Radiosender an der städtischen Hochschule. Nun sind die beiden Italiens erste Personal Book Shopper.
Anstatt Geschlechtsgenossinen beim Shoppen von eleganten Italo-Schuhen, Designerklamotten und luxuriösen Modeaccessoires zur Seite zu stehen, helfen sie bei der Auswahl richtiger Bücher – ganz individuell und, versichert Gioia Lovison, besser als jeder Amazon-Algorithmus:
"Personal Book Shopper liegt eine ganz einfache Idee zugrunde: Sag mir wer du bist und ich sage dir was du lesen solltest. Wir empfehlen also Literatur, jenen Lesern, die offen für Empfehlungen sind, nachdem wir einen Blick auf ihren Charakter und ihren Gemütszustand geworfen haben. Anstatt eines anonymen Algorithmus sind wir hier: zwei reale Personen."
Die Fragen einer App beantworten
Der große Erfolg der beiden Personal Book Shopper aus Padua hat dazu geführt, dass sie sich mithilfe einer von ihnen entwickelten Web-App ein Bild von jedem ihrer Buchinteressenten machen können. Wer ein Buch sucht, aber nicht weiß welches, kann sich von dieser App befragen lassen. Die Fragen haben mit dem Leseverhalten oft nur wenig zu tun: Träumen Sie mit offenen Augen? Provozieren Sie gerne Aufsehen oder auch Skandale? Gehören Sie zu den Leuten, die immer die gleiche Pizza bestellen? Was sind die wichtigsten Dinge in Ihren Leben etc.? Gefragt wird auch nach Alter, Geschlecht und Bildungsgrad. Oder danach, ob man ledig ist oder in einer Beziehung lebt.
Auf diese Weise wollen Gioia und Valentina herausfinden, ob der potentielle Leser etwa schüchtern, extrovertiert oder heiter ist. Dann wird das entsprechende Buch ausgesucht. Gioia erklärt:
"Wir empfehlen nur, was wir selbst gelesen haben. Uns geht es vor allem darum, herauszufinden, wie sich ein möglicher Leser gerade fühlt, wie es ihm oder auch ihr geht. Wir wissen ja, dass viele Menschen sich Bücher aus diffusen Gefühlen aussuchen. Zum Beispiel weil sie sich vom Einband angesprochen fühlen."
Die Gefühlslage der Leser erkunden
Valentina und Gioia erkunden die Gefühlslage von Lesern. Wenn jemand traurig ist, weil er verlassen oder geschieden wurde, dann empfehlen sie, so die beiden Book Shopper, Bücher, die nicht gerade von komplizierten Beziehungsgeschichten handeln. Wie etwa Romane des italienischen Autors Roberto Costantini oder ein Buch der irischen Schriftstellerin Catherine Dunne, die das Thema Beziehung und Ehe positiv behandeln.
Einer jungen Single-Leserin hingegen, die auf der Suche nach einem Buch ist, das direkt ans Herz geht, raten sie zu "Der Ringfinger" der Japanerin Yoko Ogawa. Valentina sagt:
"Wir kommen bei jenen Menschen gut an, die wir die mittleren Leser nennen. Das sind Leute, die mindestens ein Buch im Jahr lesen. In Italien sind das ungefähr die Hälfte aller Leser. Aber langsam entdecken uns auch die sogenannten harten Leser, also richtige Leseratten. Das sind rund 10 bis 15 Prozent."
Die Personal Book Shopper haben einen Traum: "Wir hoffen, dass wir viele Italiener zu regelmäßigen Buchlesern machen können. Italien hinkt da ja im Vergleich zu Deutschland sehr hinter her. Deshalb wollen wir noch effizienter werden."
Riesiger Ansturm vor Weihnachten
Das Projekt der beiden Book Shopper hat Erfolg. Allein in der Woche vor Weihnachten setzten sich mehr als 10.000 Interessierte mit ihnen in Verbindung, um Buchtipps zu erhalten. Viele davon mussten sie vertrösten, weil sie zu zweit allen Anfragen gar nicht nachkommen konnten, sagt Gioia.
"Unser Businessmodell ist im Moment wie eine Art Sprudel, der seine Kohlensäure in alle Richtungen abgibt. Wir müssen noch lernen wie wir uns durch diese Tätigkeit auch finanzieren können. Unsere Kosten steigen, deshalb freuen wir uns um jede Hilfe."
Die beiden Frauen arbeiten gratis. Bisher. Von treuen Lesern erhalten sie für ihre Buchtipps Trinkgelder, die auf ein gemeinsames Konto überwiesen werden. Für die Zukunft hoffen sie auf Sponsoren. Lokale Banken und Buchverlage haben bereits Interesse an dem Book-Shopper-Projekt gezeigt.