Schmusetier, Monster und kleines braunes Etwas
In "Alle sehen eine Katze" sieht genau die ständig anders aus. Brendan Wenzel gestaltet das Tier völlig unterschiedlich, je nachdem, wer gerade schaut, ob Kind, Maus oder Regenwurm. Ein wunderbar skurriles und fantasievolles Kinderbuch.
"Alle sehen eine Katze" - der Titel dieses lustig schrägen Kinderbuches ist Programm: Denn obwohl tatsächlich alle eine Katze sehen, sieht die für jeden anders aus. Für das Kind ist sie ein weiches Schmusetier, für den Hund ein mager-längliches Wesen, für den Fuchs ein dickes kleines braunes Etwas, für den Fisch ist sie zwei riesig-gelbe Augen und für die Biene ist ein kunterbuntes aus Punkten-zusammengesetztes Wesen.
Seite für Seite geht das so. Immer skurriler wird das, was Vogel, Floh, Schlange, Stinktier, Wurm und die Fledermaus sehen, während die Katze durch die Welt geht "mit ihren Schnurrhaaren, Ohren und Pfoten".
Wahrnehmung aus vielen Perspektiven
Elf Tierperspektiven sieht man und schnell stellt sich die Frage, geht es hier um den wissenschaftlichen Beweis, dass jedes Auge anders sieht, so wie das Facettenauge der Biene natürlich die Welt anders wahrnimmt als das kurzsichtige Hundeauge? Grandios schon im Kindersachbuch "Was sieht eigentlich der Regenwurm? Die Welt mit den Augen der Tiere sehen" thematisiert und erklärt.
Oder geht es hier tiefer, um philosophische Fragen, ob jede Wahrnehmung eine Frage der Perspektive ist und ob es dementsprechend kein richtig und kein falsch im Leben gibt? Oder ist es ein Spiel mit der Frage nach den vielen Leben einer Katze? Wohl alles. Denn alle sehen eine Katze, schreibt Brendan Wenzel. Das ist schlau.
Seite für Seite ermutigt er so seine kleinen und großen Leserinnen und Leser, eine andere Sicht zu akzeptieren - auch auf Sachen, von denen man glaubt, sicher zu wissen, wie sie aussehen. Wie eben eine Katze. Simpler kann man kaum neugierig machen und die Fantasie anregen. Denn was für eine Katze zutrifft, wie ist es dann, wenn es um Menschen, Religionen oder Weltanschauung geht? Darüber lässt sich bei der Lektüre trefflich reden.
Bilder zum Eintauchen
Gemalt ist jede dieser Katzen mit dickem, starkem Strich, in satten Farben und aus unterschiedlichen Perspektiven: Mal sieht man die Katze von der Seite, dann sieht man sie von oben, dann von unten. Mal ist sie groß, dann wieder klein. Mal ist sie gestochen scharf, dann verwackelt und unscharf.
Es ist eine wahre Freude, in diese Bilder einzutauchen. Oft bringen sie einen zum Lachen, etwa dann, wenn die goldene Glocke um den Hals der Katze auf dem einen Bild winzig klein ist und auf dem anderen riesengroß: Je nachdem, ob sie mit ihrem Gebimmel nervt oder nicht. Man ahnt, wie Fuchs und Hund das Glockenläuten finden. Nervtötend. Anders als der Vogel und die Maus, für die die Glocke lebensrettend ist.
Der Blick der Katze auf sich selbst
Und dann sind da natürlich die Bilder der Katze, auch sie grandios. Besonders das Bild aus Sicht der Maus: Für sie ist die Katze ein riesiges, schwarzes Monster mit langen Krallen, spitzen Zähnen und gelben Augen. Gemalt vor einem tiefroten Hintergrund lehrt sie so jeden das Fürchten. Für den Regenwurm bleibt die Katze hingegen ein braun-weißes Strichwesen, das fast schon mit braunem Erdreich verschmilzt, und die Fledermaus sieht ein aus weißen Punkten zusammengesetztes Sternenbild.
Am Ende bleibt dann noch der Blick der Katze auf sich selbst, verzerrt spiegelt sie sich in der Wasseroberfläche als wellig buntes Wesen. Wunderbar. Zu Recht wurde der Autor und Illustrator Brendan Wenzel mit Preisen überhäuft. Selten ist ein Kinderbuch so vielschichtig, klug und anregend. Bitte unbedingt mehr davon!
Brendan Wenzel: Alle sehen eine Katze
Übersetzt von Thomas Bodmer
NordSüd Verlag, Zürich 2018,
44 Seiten, 15 Euro