Gegen Alltagsrassismus in Literatur und Kunst
In Großbritannien beherrschen weiße Künstler den Kunstbetrieb. Aus diesem Grund hat die britische Autorin Rachel Long das Dichterkollektiv Octavia gegründet: Es soll "Women of Colour" aus der Abhängigkeit weißer Kulturmanager holen.
Vor dem Interview schlüpft Rachel Long noch schnell in einen Tabakladen. Sie will Nachschub für ihre E-Zigarette kaufen. Dann geht es zu einem Pub, ein paar Straßen weiter. Long stammt aus Südost-London. Als Dichterin kann sie sich die Hauptstadt aber nicht mehr leisten. Also wohnt sie jetzt hier in Henley, 40 Zugminuten östlich von London.
Bevor Rachel Long in die Kleinstadt zog, studierte sie Kreatives Schreiben an der renommierten Londoner Goldsmiths Universität. Dort stand Joseph Conrads "Herz der Finsternis" auf dem Programm - der Afrika-Klassiker der britischen Literatur. Das Seminar wurde für Long zu einem Erweckungserlebnis.
"Wir sollten uns 'Herz der Finsternis' anschauen. Und ich und eine andere schwarze Mitstudentin schauten uns an und dachten: Das ist so rassistisch. Das lesen wir ganz sicher nicht. Sie sprach unseren Dozenten darauf an. Aber der sagte nur: 'Darüber reden wir hier nicht, wir schauen uns die Metaphern an.'"
Rachel Long sprach mit befreundeten Lyrikerinnen über ihre Erfahrung und merkte bald: Andere hatten ähnliche Geschichte zu erzählen. Im Kulturbetrieb, sagt sie, hat der Alltagsrassismus vor allem etwas mit den Veranstaltern zu tun, die meistens weiß sind.
"Die schnappen sich dann jemanden, der eigentlich scheiße ist, aber schwarz. Es gibt da draußen so viele Organisationen, die das machen. Die behandeln das fast medizinisch: So, wir haben jetzt einen weißen Mann, nun brauchen wir eine schwarze Frau. Und um die restlichen Plätze kann sich dann jeder bewerben. Aber wenn sie nicht weiß sind: Großartig. Trans? Brilliant!”
Die Gruppe Octavia irritiert
Das heißt nicht, dass Long allen Kulturmanagern und Kuratoren böse Absicht unterstellt. Sie glaubt vielmehr, es handelt sich um ein strukturelles Problem: Weiße Kulturschaffende kennen und umgeben sich mit weißen Künstlern.
"Erst einmal solltest du Leute mit unterschiedlichen Hintergründen kennen. Dann musst du die Veranstaltung nicht später künstlich besetzen. Das ist doch nur Last-minute-Kosmetik. Das Gefühl hatte ich immer wieder: Die versuchen nur, sich abzusichern!"
Also beschloss Rachel Long vor zwei Jahren, das Dichterkollektiv Octavia zu gründen. Einen geschützten Raum für junge, nicht-weiße Dichterinnen, die dort nicht auf die Gnade, das Mitleid oder das Schamgefühl weißer Kulturmanager angewiesen sind. Das hat einige Menschen durchaus irritiert:
"Man spürt das. Sie fühlen sich belästigt, verärgert, überrascht. Manchmal wollen sie nicht einmal mit dir reden. Du erklärst es ihnen und sie laufen weg. Oder sagen: 'Ich glaube alle Dichter brauchen so was.' Oder: 'Alle Frauen brauchen so was.' Stimmt. Aber was hat das mit uns zu tun? Was hält dich denn davon ab, deine eigene Gruppe zu gründen?"
Selbstabschaffung als Ziel
Octavia hat 17 Mitglieder. Die meisten sind zwischen Anfang und Mitte 20. Einmal pro Monat treffen sie sich in den Räumen des Southbank Centers, einem Kulturzentrum an der Themse. Ab und zu treten sie gemeinsam auf - zum Beispiel beim Women of the World Festival.
"Manche von uns fasziniert Sex und der menschlichen Körper und sie schreiben darüber. Und manche Zuschauer sind dann enttäuscht, wenn sie Gedichte über Liebe und Beziehungen von uns hören. Aber darum geht es: Wir fühlen uns in der Gruppe als Menschen und nicht ständig als 'Das Fremde'."
Zugleich schätzen die jungen Frauen die Unterschiede untereinander. Eine Dichterin trägt Hijab, eine andere ist als Zwölfjährige ohne Eltern nach Großbritannien gekommen. Rachel Longs Vater ist Brite und ihre Mutter hat nigerianische Wurzeln. Langfristig wäre es ihr am liebsten, wenn sich Octavia selbst abschafft.
"Der größte Erfolg von Octavia wäre, dass Octavia irgendwann nicht mehr gebraucht würde, weil es einfach in jedem Workshop in diesem Land eine repräsentative Anzahl an Frauen und nicht-weißen Dichtern und Dichterinnen gibt."