Carlo Bonini: "ACAB – All Cops Are Bastards"
Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl
Folio, Wien 2018.
189 Seiten, 18 Euro
Italien als ein Land voller Hass und krasser Gewalt
Prügelnde Polizisten, gewaltverherrlichende Fußballfans und dazwischen die Mafia: In seinem neuen Krimi "ACAB – All Cops Are Bastards!" zeichnet Carlo Bonini Italien als ein Land, dem zivilgesellschaftlicher Konsens längst abhandengekommen ist.
Carlo Boninis "ACAB – All Cops Are Bastards" folgt keiner gängigen Suspense-Formel. Ausgehend von Pier Paolo Pasolinis berühmten Artikel "Die KPI an die Jugend!!" von 1968, der in ketzerische-paradoxer Absicht die Klassenunterschiede zwischen Polizisten und linken Demonstranten (Proletarierkinder gegen Bürgerkinder) thematisierte, schaut sich Bonini die Konfliktlinien zwischen den Einsatzkommandos der italienischen Bereitschaftspolizei, den sogenannten "Celirini", und den (Fußball-) Ultras, bzw. Nazi-Skins genauer an. Die Celirini spielten auch bei der explodierten Polizeigewalt beim G8-Gipfel in Genua im Juli 2001 eine entscheidende Rolle, als sie ein Blutbad unter den Demonstranten in der Armando-Diaz-Schule anrichtete, wo es, wie es ein Augenzeuge beschrieb, "aussah wie in einem mexikanischen Schlachthaus", und die zudem in der Kaserne von Bolzenato Globalisierungsgegner foltert.
Bürgerkriegsähnliche Zustände
Die sehr zögerliche Aufarbeitung dieses Skandals, die sich bis ins Jahr 2016 hinzog und von vielen Angehörigen dieser Polizeitruppe als Schande verstanden wurde, bildet einen Subtext in Boninis Buch, der die Mentalität und die krassen Ideologeme der Beteiligten deutlich herauspräpariert. Doch in diesem Fall schienen die Fronten noch klar zu sein – eine besinnungslos prügelnde faschistoide Polizei gegen "linke" Globalisierungsgegner. Aber was, wenn Polizei und ihre Widersacher nach dem Tod eines Fans schon fast bürgerkriegsmäßig aneinandergeraten und dabei doch gemeinsame ideologische und soziologische Wurzeln haben? Vertreter des "starken" Staates à la Mussolini gegen Rechts-"Anarchisten" und Fußball-Ultras (hauptsächlich die von Lazio Rom), jede der Gruppen ausgestattet mit dem selben Esprit de Corps, mit analogen Ritualen und mit derselben exzessiven Gewaltbereitschaft. Hass und krasse Gewalt, verstanden als eine Art brutaler Diskurstyp, prägen das öffentliche Leben. Denn auch Migranten sind oft Opfer beider ansonsten bis aufs Blut verfeindeter, sozial abgehängter junger Männer und deren xenophoben und rassistischen Gewaltkultur. Und weil Bonini auch noch den mafia-induzierten Müllstreik im Hintergrund präsent hält, zeigt er Italien als ein Land, dem zivilgesellschaftlicher Konsens längst abhandengekommen ist.
Verfangen in der Gewaltspirale
Carlo Bonini ist beides: Journalist bei "La Repubblica" und Romancier ("Suburra", zusammen mit Giancarlo de Cataldo) und deswegen ist "ACAB" auch kein klassischer, plotgetriebener Thriller, sondern eher eine Art schwer rubrizierbarer Doku-Thriller, präzise recherchiert, montiert aus verschiedenen Materialien wie Chat-Verläufe unter Polizisten, Protokollen und Manifesten und anderen nicht-fiktionalen Textsorten. Aber mit einer inneren Dramaturgie und fiktionalisierten Einblicke in die Köpfe der Protagonisten. Zusammen ergeben diese Elemente das Bild einer schier ausweglosen und vor allem extrem komplexen Gewaltspirale einer schon fast irrational fraktalisierten Gesellschaft.