Charles Baudelaire: "Les Fleurs du Mal"

Der Klassiker neu und kongenial übersetzt

Die Neuübersetzung von Charles Baudelaires "Die Blumen des Bösen". Im Hintergrund: Ein Kenotaph in Paris zu Ehren Baudelaires.
Die Neuübersetzung von Charles Baudelaires "Die Blumen des Bösen". Im Hintergrund: Ein Kenotaph in Paris zu Ehren Baudelaires. © Leemage/Rowohlt
Von Rainer Moritz |
Baudelaires Gedichtzyklus "Les Fleurs du Mal" ins Deutsche zu übertragen, ist eine Herkulesaufgabe. Mehr als 100 Übersetzer haben sich bereits daran versucht. Simon Wehrle ist mit seiner Neuübersetzung ein Tonfall gelungen, der Baudelaires "kongenial nachempfindet".
"Sie sind hart wie Marmor und durchdringend wie der englische Nebel" – mit diesen Worten beschrieb Gustave Flaubert das Schreiben seines Landsmannes Charles Baudelaire. Beide hatten im gleichen Jahr, 1857, mit bahnbrechenden Werken für Furore gesorgt: Flaubert mit seinem Roman "Madame Bovary" und Baudelaire mit seinem Gedichtzyklus "Les Fleurs du Mal". Und beide bekamen es umgehend mit der französischen Gerichtsbarkeit zu tun: Sechs Gedichte Baudelaires wurden ob ihres vermeintlich kruden Realismus und ob ihrer Amoralität verboten und konnten erst wieder in der zweiten Ausgabe erscheinen.

Getragen von Endzeitstimmung

Baudelaires Gedichtband, den er als konsequent komponierten und zusammenhängenden Zyklus verstand, gilt seit langem als Vorläufer der klassischen Moderne, als eine von Endzeitstimmung getragene Auseinandersetzung mit dem Hässlichen, mit einer zusehends von Kommerz und Technik bestimmten Welt.
Den "neuen Schauer" (Victor Hugo), den diese Gedichte bewirkten, angemessen ins Deutsche zu übertragen, erwies sich als Herkulesaufgabe, an der sich in den letzten einhundertsechzig Jahren mehr als hundert Übersetzerinnen und Übersetzer versuchten – darunter zum Beispiel Stefan George und Carlo Schmid. Kanonischen Rang hat bislang keine dieser Arbeiten erlangt, und gerade das mag Simon Wehrle gereizt haben, einen "neuen" Baudelaire vorzulegen. Der soeben mit dem Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis ausgezeichnete Wehrle hat in der Vergangenheit neben Gegenwartsautoren auch Klassiker wie Racine oder Corneille übersetzt und ist sich, wie sein angenehm zurückhaltendes Nachwort beschreibt, der Schwierigkeit seiner Aufgabe durchaus bewusst.

Metrum und Reim bleiben weitgehend erhalten

Anders als Friedhelm Kemp, dessen Ausgabe bei Hanser weiterhin lieferbar ist, begnügt sich Wehrle nicht damit, Baudelaire in eine Prosafassung bringen. Er will vielmehr Metrum und Reim des Originals weitgehend erhalten und entscheidet sich dabei für kluge Kompromisse. So variiert er Baudelaires Alexandriner und sucht nicht auf Gedeih und Verderb nach Reimen nur um des Reimes willen. Stattdessen lässt er unreine Reime und Assonanzen zu und schafft einen Tonfall, der den Baudelaire’schen kongenial nachempfindet.
Der französische Schriftsteller Charles Baudelaire (1821-1867)
Der französische Schriftsteller Charles Baudelaire (1821-1867)© imago/United Archives
Man muss, um Wehrles Leistung zu würdigen, einen Blick in die weit verbreitete Reclam-Ausgabe von Monika Fahrenbach-Wachendorff werfen, um zu sehen, welcher Qualitätssprung Wehrle geglückt ist. Berühmte Gedichte aus den "Blumen des Bösen" wie "Correspondances", "Le cynge" oder "L’albatros" verlieren nun auch im Deutschen nichts von ihrer sprachlichen Gewalt: "Der Dichter gleicht dem Prinzen auf der Wolken Thron, / Der jedes Schützen lacht und haust im Sturmeswehen; / Verbannt zu Boden und umbuht von lautem Hohn, / Verwehren seine Riesenschwingen ihm das Gehen."

Im Einzelnen diskutabel

Natürlich sind auch Wehrles Übertragungen im Einzelnen diskutabel und werden vielfache Anmerkungen hervorrufen, doch das erst macht den Reiz eines solchen Unterfangens aus. Ist etwa die Wendung "au milieu des huées" mit "umbuht von lautem Hohn" optimal wiedergegeben (bei Reclam heißt es: "zu johlendem Gelichter")? Und muss aus dem schlichten "Paris change!" (in "Le cynge") wirklich ein "Paris mutiert!" werden?
Besonders reizvoll schließlich ist es, darüber zu debattieren, wie allein schon die Überschrift von Baudelaires "Le coucher du soleil romantique" zu übersetzen ist: wie bei Kemp und Fahrenbach-Wachendorff mit "Untergang der romantischen Sonne" oder wie bei Wehrle mit "Romantischer Sonnenuntergang"? Das Gedicht selbst und seine Interpretation müssen die Antwort geben, und mit Simon Wehrles Neuübertragung, die alle Chancen hat, in den nächsten Jahren zur maßgeblichen Referenz zu werden, lässt sich das in aller Ruhe prüfen und abwägen.

Charles Baudelaire: Les Fleurs du Mal – Die Blumen des Bösen
Neu übersetzt von Simon Wehrle
Rowohlt-Verlag, Reinbek 2017
528 Seiten, 38,00 Euro

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