Le Corbusier - ein Kreuzfahrer der modernen Architektur
Der Architekt Le Corbusier hatte in den 1930er-Jahren die Vision einer "funktionalen Stadt". Seine Idee wurde in der "Charta von Athen" festgehalten - auf einer Kreuzfahrt mit anderen Architekten, wie etwa Walter Gropius. Die Charta beeinflusst den Städtebau bis heute.
Am 29. Juli 1933, einem heißen Sommertag, checkten im Hafen von Marseille Architekten aus aller Welt zu einer Schiffspassage nach Athen ein. Mit an Bord des Dampfers Patris 2 war auch Le Corbusier, über den sein französischer Kollege Pierre Vago rückblickend sagt:
"Die Persönlichkeit von Le Corbusier war so stark und so reizend. Wir waren alle ganz überzeugt, dass eine neue Welt fängt jetzt an: die Welt des zwanzigsten Jahrhunderts. Und das war Le Corbusier, das war für uns Le Corbusier."
"Alles ist verkehrt, gibt keinen Klang mehr, muss neu geregelt werden", schrieb Le Corbusier damals. Die Welt, die sich in der Architektur spiegelte - sie schien der Avantgarde verkehrt, vor allem die unwürdigen Lebensbedingungen in den überfüllten historischen Städten. Le Corbusier forderte ihren Abriss. Der 20 Jahre jüngere Pierre Vago erinnerte sich später:
"Wir dachten nicht, dass man zum Beispiel Paris ganz zerstören muss und nur einige Monumente da bleiben lässt und dann sollen 16 riesige Türme die ganze Stadt darstellen. Das war natürlich überhaupt nicht unsere Vorstellung von einer Stadt."
Le Corbusier plädierte damals für eine radikale Änderung der Architektur als Konsequenz auf die Herausforderungen, die mit dem Massenwohnungsbau auf die Metropolen zukamen.
Musiker, Schriftsteller und Maler sollten inspirieren
Auch deshalb diskutierten die Architekten der avantgardistische Vereinigung CIAM im Sommer 1933 über die Zukunft der Stadt. Das stille Mittelmeer sollte drei Wochen konzentrierter Arbeit ermöglichen und die Anwesenheit von Musikern, Schriftstellern und Malern, wie Fernand Leger den Geist der Diskussion inspirieren und anregen. Auch der Schweizer Architekt Alfred Roth hat an dieser legendären Schiffspassage teilgenommen:
Alfred Roth: "Wenn ich nicht fehl gehe, stammte die Idee von Marcel Breuer und von Gropius, den Kongress auf dem Schiff zu veranstalten, auf der Fahrt von Marseille nach Athen. Es war eine vorzügliche Idee, auch rein organisatorisch: nämlich: alle waren immer beisammen, alle waren immer auf dem Schiff, nicht wie bei üblichen Kongressen: der eine wohnt in diesem Hotel, der anderer wohnt in jenem Hotel, es waren immer alle mehr oder weniger beisammen."
Die Zeit schien 1933 noch offen zu sein für Neues, für Experimente. Das Schiffsdeck war in ein improvisiertes Atelier verwandelt worden. Die meist noch jungen Teilnehmer saßen, bei drückender Hitze, eng zusammengedrängt auf dem offenen Deck. Man trug die Erfahrungen mit der wachsenden Verstädterung der Welt zusammen und dachte über ein anderes Verständnis von Stadt nach. Der Architekturkongress, der auf dem Schiff tagte, schuf so die Grundlagen der "Charta von Athen", die Le Corbusier später anonym veröffentlichen sollte.
Ursprünglich hätte der Kongress in Moskau stattfinden sollen, denn viele Architekten, so Alfred Roth, blickten damals voller Sehnsucht in den Osten. Sowjetrussland galt noch als ein Vorbild, vor allem aber war man, so Roth:
"...sehr, sehr interessiert an den Ereignissen in Sowjetrussland, mit dem Kommunismus, der ja die Verstaatlichung von Grund und Boden brachte, was wir Planer schon immer gefordert hatten: Die Stadtplanung muss sich befreien von privaten Grund- und Bodenverhältnissen. Und das hat uns natürlich außerordentlich interessiert."
Rationalistischer Blick auf Athen
Auf der Überfahrt nach Athen blickten die Architekten streng rationalistisch auf das Jahrtausende alte Gebilde der Stadt, das den Folgen der Industrialisierung nicht mehr gewachsen schien. Vor allem aber war es Le Corbusier, der Städte wie aus dem Baukasten entstehen lassen wollte: immer wiederkehrende Formen, schlicht, einfach, funktional.
Er abstrahierte von der Stadt als einem historischen Gebilde und entwarf kreisförmige Räume ohne Peripherie, Räume die kein wirkliches Stadtzentrum mehr hatten. Das Hochhaus wurde damals zum universellen Bebauungstyp erklärt.
Für den Architekten Pierre Vago, in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts Chefredakteur der französischen Zeitschrift: " L' architecture d'aujourdhui", war diese Debatte rückblickend nicht frei von Übertreibungen.
Pierre Vago: "Eigentlich muss ich sagen, wenn man mit den Mitgliedern der CIAM sprach, dann waren sie nicht so überzeugt, dass man 'Tabula Rasa' machen soll, denn natürlich waren viele sensiblere junge Leute drin in dieser ganzen Gruppe. Aber Le Corbusier war Le Corbusier. Er hatte seine riesige Persönlichkeit und eine Kraft und eine Energie. Und auch die Technik des guten Propagandisten. Er war nicht so ein monolithischer Mensch. In jedem Moment seiner Tätigkeit aber war er ganz absolut: so ist es und das ist die Wahrheit."