Chris ist tot
Ein Mittelschichtsjunge geht als Soldat nach Afghanistan – und kommt im Sarg zurück. Jochen Rausch holt den Krieg in eine nette deutsche Lehrerfamilie. Kunstvoll gelingt es ihm, den Leser an der Katastrophe zu beteiligen. Ein düsterer, schnörkelloser Roman.
Stellen Sie sich vor: Es ist Krieg – und Ihr Sohn geht hin. Freiwillig, ohne jede Not. Einfach so. Stellen Sie sich vor, Sie sind Lehrer. Und Ihre Frau ist Lehrerin. Und Sie leben mit Ihrer netten kleinen Lehrerfamilie, Jahre und Jahre, in einer dieser netten komfortablen Neubausiedlungen. Mit angeschlossenem Sportplatz für die Kleinen und Tennisanlage für die Großen, wo eben Menschen wie Sie auf dem Lande so leben – die deutsche Mittelschicht der Akademiker: gebildet, liberal, pazifistisch. Und dann kommt der Sohn, jetzt Anfang zwanzig, mal wieder zu Besuch und sagt Ihnen, dass er Soldat wird. Und nach Afghanistan geht.
Stellen Sie sich das alles lieber nicht vor. Ihr Leben wird sonst zur Hölle. Sie werden allabendlich zur "Nachtwache" an Ihrem Computer Platz nehmen und bangen Herzens auf die E-Mail-Nachrichten Ihres Sohnes aus dem Krieg am Hindukusch warten: "Noch einen Monat und siebenundzwanzig Tage". Ihre Frau fängt heimlich an zu trinken. Und Sie beide ahnen nicht nur, Sie wissen: Ihr Sohn wird nicht lebend heimkehren. "Gestern hat ein Polizist auf dem Markt eine Bombe geworfen. Alles war voller Blut. Da lag ein Junge ohne Arme. Er lag mit dem Gesicht im Dreck", schreibt der Sohn: "Ich hoffe, wir kriegen es hin, dass das endlich aufhört, auch wenn es scheiße schwer ist." Und immer wieder: "Sag Mom nichts von dem ganzen Scheiße, sag ihr, dass ich Langeweile habe und mich freue, euch zu sehen."
Den Sohn Chris bekommen die Eltern aber erst im Sarg wieder zu sehen, nachdem zwei Männer, ein Soldat und ein Pfarrer, ihnen mitgeteilt haben, dass der Chris "im Dienst fürs Vaterland bei einem Gefecht gefallen" ist. Die Mutter kommt bei einem Unglück, das an Selbstmord denken lässt, ums Leben. Der Vater quittiert den Schuldienst und zieht sich mit dem Hund der Familie in eine einsame Berghütte in den Alpen zurück. Und hier begeht er irgendwann einen Mord.
Stellen Sie sich das alles lieber nicht vor. Ihr Leben wird sonst zur Hölle. Sie werden allabendlich zur "Nachtwache" an Ihrem Computer Platz nehmen und bangen Herzens auf die E-Mail-Nachrichten Ihres Sohnes aus dem Krieg am Hindukusch warten: "Noch einen Monat und siebenundzwanzig Tage". Ihre Frau fängt heimlich an zu trinken. Und Sie beide ahnen nicht nur, Sie wissen: Ihr Sohn wird nicht lebend heimkehren. "Gestern hat ein Polizist auf dem Markt eine Bombe geworfen. Alles war voller Blut. Da lag ein Junge ohne Arme. Er lag mit dem Gesicht im Dreck", schreibt der Sohn: "Ich hoffe, wir kriegen es hin, dass das endlich aufhört, auch wenn es scheiße schwer ist." Und immer wieder: "Sag Mom nichts von dem ganzen Scheiße, sag ihr, dass ich Langeweile habe und mich freue, euch zu sehen."
Den Sohn Chris bekommen die Eltern aber erst im Sarg wieder zu sehen, nachdem zwei Männer, ein Soldat und ein Pfarrer, ihnen mitgeteilt haben, dass der Chris "im Dienst fürs Vaterland bei einem Gefecht gefallen" ist. Die Mutter kommt bei einem Unglück, das an Selbstmord denken lässt, ums Leben. Der Vater quittiert den Schuldienst und zieht sich mit dem Hund der Familie in eine einsame Berghütte in den Alpen zurück. Und hier begeht er irgendwann einen Mord.
Die Sprache ist karg, nahezu maulfaul
Wie Jochen Rausch diese Geschichte eines Mannes erzählt, der aus seiner Zeit gefallen ist, das ist fesselnd und verstörend. Er wechselt lange zwischen den beiden zeitlichen Ebenen – als der Sohn im Krieg ist und als der Vater verbittert in seiner Berghütte haust. Der Familienhund wird dabei zum Ersatzsohn; als der von einem Unbekannten angeschossen wird, wird der Vater zum Krieger, wie einst der Sohn, und tötet den Unbekannten.
Fesselnd ist die Sprache: so karg, so schnörkellos – nahezu maulfaul. So knapp wie die E-Mails, die der Sohn aus dem Krieg zu den väterlichen Nachtwachen nach Hause schickt. Verstörend ist, wie Jochen Rausch es schafft, dass wir uns nur schwer der Sichtweise des Vaters entziehen können – bis hin zum logischen und befreienden Ersatzmord. Da erinnert sich der Eremit in den Bergen, wie einst der Nachbarsjunge, 16 oder 17 Jahre alt, mit seinem Moped nach Hause kommt, während Vater wieder Nachtwache hält. Wie der Nachbarsjunge mit seinem Handy telefoniert und dann Küsse in die Luft wirft. In wenigen dürren Sätzen wird das beschrieben und schon sitzen wir in Vaters Hirn und denken und fühlen mit ihm, wie das damals war, als sein Chris so alt und frisch verliebt war.
Rausch ist ein Meister der Andeutung, des Nicht-Ausgesprochenen – was zu viel zwingenderen Gedanken beim Leser führt, als wäre das ausgesprochen, ausgeführt. Ihm ist so weit mehr als ein düsterer Krimi gelungen, der den Afghanistan-Krieg als aktuelles Motiv plündert. Er schildert das wohlfeile Arrangement der toleranten Lehrerehe und gleichzeitig liefert er eine knappe Milieuskizze der gebildeten, liberalen, pazifistischen Mittelschichts-Akademiker. "Wo treibt sich denn eigentlich Ihr Herr Sohn herum?", fragt da der Schuldirektor beim morgendlichen Small Talk im Lehrerzimmer. – "Er ist im Krieg." Und: "Alle Kollegen hatten es plötzlich eilig gehabt, in ihre Klassen zu kommen. Obwohl die Pause noch gar nicht zu Ende war."
Besprochen von Klaus Pokatzky
Fesselnd ist die Sprache: so karg, so schnörkellos – nahezu maulfaul. So knapp wie die E-Mails, die der Sohn aus dem Krieg zu den väterlichen Nachtwachen nach Hause schickt. Verstörend ist, wie Jochen Rausch es schafft, dass wir uns nur schwer der Sichtweise des Vaters entziehen können – bis hin zum logischen und befreienden Ersatzmord. Da erinnert sich der Eremit in den Bergen, wie einst der Nachbarsjunge, 16 oder 17 Jahre alt, mit seinem Moped nach Hause kommt, während Vater wieder Nachtwache hält. Wie der Nachbarsjunge mit seinem Handy telefoniert und dann Küsse in die Luft wirft. In wenigen dürren Sätzen wird das beschrieben und schon sitzen wir in Vaters Hirn und denken und fühlen mit ihm, wie das damals war, als sein Chris so alt und frisch verliebt war.
Rausch ist ein Meister der Andeutung, des Nicht-Ausgesprochenen – was zu viel zwingenderen Gedanken beim Leser führt, als wäre das ausgesprochen, ausgeführt. Ihm ist so weit mehr als ein düsterer Krimi gelungen, der den Afghanistan-Krieg als aktuelles Motiv plündert. Er schildert das wohlfeile Arrangement der toleranten Lehrerehe und gleichzeitig liefert er eine knappe Milieuskizze der gebildeten, liberalen, pazifistischen Mittelschichts-Akademiker. "Wo treibt sich denn eigentlich Ihr Herr Sohn herum?", fragt da der Schuldirektor beim morgendlichen Small Talk im Lehrerzimmer. – "Er ist im Krieg." Und: "Alle Kollegen hatten es plötzlich eilig gehabt, in ihre Klassen zu kommen. Obwohl die Pause noch gar nicht zu Ende war."
Besprochen von Klaus Pokatzky
Jochen Rausch: Krieg
Berlin Verlag, Berlin 2013
256 Seiten, 18,99 Euro
Berlin Verlag, Berlin 2013
256 Seiten, 18,99 Euro