Christoph Ribbat: Deutschland für eine Saison. Die wahre Geschichte des Wilbert Olinde jr.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017
272 Seiten, 24 Euro
Ein Dunking für Helmut Kohl
Von L.A. nach Göttingen: Wilbert Olinde war einer der ersten schwarzen Profi-Basketballer in Deutschland. Was der Amerikanist Christoph Ribbat aus seiner Lebensgeschichte herauskitzelt, ist schlicht genial. Er verknüpft die Sportlerbiografie mit einer Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik in den 80er-Jahren. Und das ist noch längst nicht alles.
Das Abenteuer Deutschland hätte für Wilbert Olinde schnell vorbei sein können. Die erste Saison des US-Amerikaners beim SSC Göttingen verlief enttäuschend, nur knapp wurde der Abstieg aus der Bundesliga verhindert. "Du kannst bleiben, aber der Neger muss weg", teilten die Vereinsverantwortlichen dem Trainer Terry Schofield mit. Letztlich blieben beide – allerdings wurde Olindes Lohn von 1500 auf 1000 DM monatlich gekürzt. Gemeinsam legten sie den Grundstein für die Erfolgsgeschichte des Göttinger Basketballs. 1980 wurde der SSC Deutscher Meister – zwei weitere Titel und zwei Pokalsiege sollten folgen, jetzt unter dem Namen ASC Göttingen.
Weit mehr als eine Sportlerbiografie
"Deutschland für eine Saison" ist jedoch weit mehr als eine Sportlerbiografie. Der Amerikanist Christoph Ribbat hat akribisch recherchiert: Er hat die Ursprünge des Namens Olinde in der Zeit der Sklaverei im 18. Jahrhundert in Lousiana ausfindig gemacht, er beschreibt den von Rassismus geprägten Alltag in den US-Südstaaten in den 1950er-Jahren. Als Wilbert in New Orleans geboren wurde, gab es für weiße und schwarze Frauen noch getrennte Kreißsäle.
Ähnlich eindrücklich stellt er dar, wie Wilberts Eltern später versuchen, durch Bildung, harte Arbeit und die Migration ins liberalere Kalifornien den gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen, so wie viele Afro-Amerikaner zur gleichen Zeit. Das allein ist schon lesenswert und – ganz nebenbei – brilliant geschrieben. Es wird aber noch übertroffen von der Schilderung des Alltags in Göttingen in den späten 1970er und frühen 1980er-Jahren.
Auswirkungen des deutschen Herbstes
Olinde kommt im Herbst 1977 nach Deutschland – auch in Göttingen sind die Auswirkungen des deutschen Herbstes zu spüren. Das Landeskriminalamt teilt einer VWL-Studentin im ersten Semester mit, dass ihre Sicherheit nicht mehr garantiert werden könne wegen der ausgeprägten RAF-Sympathisantenszene in der Stadt. Die Studentin ist die Ministerpräsidententochter Ursula Albrecht, heute mit anderem Nachnamen Bundesverteidigungsministerin.
Ribbat gelingt es hervorragend, Olindes Alltag als Fremder in Deutschland mit politischen Strömungen und dem gesellschaftlichen Zeitgeist zu verknüpfen. Alltagsrassismus, Anti-Amerikanismus, gefühlte Weltoffenheit und bequeme Spießigkeit kommen da in Göttingen zusammen – durch die dichte Beschreibung entsteht eine grandiose Mentalitätsgeschichte Westdeutschlands.
Der Sport kommt dabei nicht zu kurz – oder vielleicht doch, denn der Basketball in Deutschland professionalisiert sich nur langsam. Olindes Mitspieler verbringen häufig mehr Zeit beim Biertrinken im "Altdeutschen" als beim Training in der Godehard-Halle. Immerhin kann Olinde gemeinsam mit seinem Trainer durchsetzen, dass nach Auswärtsspielen im Bus erst nach einer Stunde Fahrt geraucht werden darf.
Höhepunkt beim Kinderfest im Bundeskanzleramt
Seinen Höhepunkt findet dieses kultur- und sportgeschichtliche Panorama im Sommer 1985: Olinde, frisch als Deutscher eingebürgert, ist zum Kinderfest im Bundeskanzleramt eingeladen. Mit dabei auch ein 17-jähriger Tennisspieler, der gerade das Turnier in Wimbledon gewonnen hat. In Bonn bittet Helmut Kohl dann den Basketballer, ihm diesen einen Wurf zu zeigen, der Name falle ihm allerdings gerade nicht ein. Olinde, nie ein Mann für die große Show, fragt zunächst höflich, ob Kohl einen Freiwurf oder einen Korbleger sehen möchte. Der Kanzler verneint.
Da erst kommt Olinde auf die Idee, das Helmut Kohl vermutlich einen Dunking sehen möchte – diesen spektakulären Move, der in den USA immer mit dem Getto verbunden wurde und im College-Basketball noch vor Kurzem verboten war. Szenen wie diese, voller Komik und Ironie, finden sich reihenweise, ohne dass Christoph Ribbat dabei seine zentralen Erzählstränge aus den Augen verliert. Sein Buch ist nicht nur für Basketball-Fans ein großer Wurf.