"Man lässt sich besoffen machen von dieser Crossover-Idee"
Erneut ist eine Volksbühnen-Premiere in Berlin bei der Kritik durchgefallen. Chris Dercons Theater als bespielbare Plattform ohne festes Ensemble funktioniert offenbar nicht. Berlins Ex-Kultursenator Christoph Stölzl fordert deshalb mehr Rückhalt für das klassische Ensemble-Theater.
In der Diskussion um die Berliner Volksbühne und ihren umstrittenen Intendanten Chris Dercon geht es längst nicht mehr nur darum, einer prägenden Figur wie Castorf nachzutrauern. Das sind die Schlachten von gestern. Es geht - wie es Ulrich Khuon als Präsident des Deutschen Bühnenvereins bemerkt hat - um einen Systemwechsel: Der belgische Intendant Chris Dercon will aus einem ensemblebasierten Sprechtheater eine Produktionplattform, ein Produktionshaus machen.
Das Ensemble-Theater: ein deutsches Alleinstellungsmerkmal
Der ehemalige Berliner Kultursenator und heutige Präsident der Weimarer Hochschule für Musik Christoph Stölzl hält genau dies für einen großen Fehler. Das traditionsreiche Ensembletheater sei "eine Errungenschaft" und "ein deutsches Alleinstellungsmerkmal". Das Zusammenwachsen eines Ensembles über viele Jahre zu einer Theaterfamilie eröffne einzigartige Möglichkeiten, die Bedeutung klassischer wie moderner Theaterstücke zu transportieren.
"Und so etwas kann man natürlich ganz schnell kaputt machen, wenn Sie sagen, wir machen nur wechselnde Tourneebesetzungen: Wir machen die Bühne auf – kommt mal rein, kommt mal raus. Oder wenn man sich besoffen machen lässt von dieser Crossover-Idee. So schön Bob Wilson war, in dem er das Sprechtheater zu einem Kino gemacht hat – so sehr musste man aufpassen, dass man nicht sagt: Kino ist viel schöner als Sprechtheater."
Kommunen müssen Theater mehr fördern
Kommunen und Städte sollten genau wissen, welch eine wichtige Institution mit einem äußerst verletzlichen Erbe sie mit den Ensemble-Theatern vor sich hätten, sagte Stölzl weiter. Natürlich könne man sich heute mit einem Maus-Klick den Inhalt von "Wilhelm Tell" aus dem Netz holen. Doch es gehe um mehr, nämlich darum, vor allem auch die junge Generation zu fesseln und zu bewegen.
"Die Kommunen sollten darüber nachdenken, ob sie das kaputt gehen lassen."
Für problematisch hält Stölzl, dass in die Sportförderung deutlich mehr investiert werde als in die Förderung der städtischen oder Landestheater.
(mkn)