Christophe Léon: Väterland
Übersetzt von Rosemarie Griebel-Kruip
Mixtvision, München 2017
116 Seiten, 9,90 Euro
Ein Feind muss her
Gabrielle kommt aus Somalia und wächst behütet in Frankreich bei einem schwulen Pärchen auf. Christophe Léon hat mit "Väterland" einen Roman geschrieben, der in einer nahen Zukunft spielt, in der es der Regierung Frankreichs gefällt, Hatz auf Schwule und Lesben zu machen.
Gabrielle wurde in Somalia geboren und als Baby von zwei französischen Vätern adoptiert. Zu Herzen gehend beschreibt Christophe Léon, wie das inzwischen zwölfjährige Mädchen seine Eltern erlebt: wie alle Kinder, die es gut getroffen haben – als fürsorgliche und vor allem sehr individuelle Persönlichkeiten. Papa George, ein Künstler, ist stark wie ein Bär, ein genialer Tüftler und Bastler und kümmert sich um den Haushalt. Papa Phil, auch ein Künstler, trägt eine Brille wie John Lennon, winters wie sommers römische Schnürsandalen, weiß unglaublich viel und verwickelt seine Tochter gern in philosophische Gespräche. Viel Liebe gibt es in dieser Familie – und nirgendwo Platz für Kategorien wie "schwul" oder "anders".
Doch dieser Roman spielt in einer nahen Zukunft, in der es der Regierung Frankreichs gefällt, Hatz auf Schwule und Lesben zu machen. Ein Feind muss her – da ist er. Intensiv schildert der Autor, wie sich die Schlinge um die Familie zuzieht. Die Nachbarn wenden sich ab und beginnen schlecht über sie zu reden. Die Geheimpolizei beobachtet. Bestimmte Einkaufsläden, Berufe, Verkehrsmittel und Schulbesuche sind auf einmal tabu. Ein Getto wird errichtet, in dem alle Menschen mit der rosa Raute fortan unter kärglichsten Bedingungen leben müssen. Angeblich dient das ihrem Schutz. Die Rhetorik der Regierung steckt voller Lügen.
Beklemmend erzählt
Christophe Léon mutet seinem jungen Publikum ein schwieriges Buch zu, das seinen dystopischen Gesellschaftsentwurf nicht nur in mehrere Erzählzeiten schachtelt, sondern auch beklemmend erzählt und offensichtlich die Parallele zur Judenverfolgung im deutschen Nationalsozialismus sucht. Ist das übertrieben? Heute hat man bisweilen den Eindruck, als stellten sich Ermüdungserscheinungen ein, was den Respekt für und die volle Gleichberechtigung von homosexuellen Menschen angeht. Müssen Regenbogenflaggen auf Rathäusern wehen? Muss die Ehe für alle offen sein? Muss man denn immer wieder darüber sprechen?
Man muss, sagt Christophe Léon mit seinem Buch. Frankreich hat ein Gleichstellungsgesetz, doch große Teile der Bevölkerung revoltierten dagegen auf den Straßen. In Deutschland hat die Mehrheit im Rechtsausschuss des Bundestages es 28 Mal (!) fertig gebracht, die Aussprache über ein Gesetz zu vertagen, das die Ehe für alle legalisieren soll – mit der pauschalen Begründung, es bestehe noch "Klärungsbedarf". Das Gesetz ist nun für die laufende Legislaturperiode gekippt. Man möchte sich die zufriedenen Gesichter derjenigen nicht vorstellen, die dieses politische Husarenstück vier Jahre lang durchgezogen haben. Christophe Léons Buch, das am Ende nur einen kleinen Hoffnungsschimmer bereithält, rüttelt auf – eine lehrreiche Lektüre, für Kinder wie für Erwachsene.