Das Ende der Tugend
Narzisstischer Triumph statt des hilfsbereiten Blicks auf den anderen - der US-Autor Benjamin Barber fährt in seinem Sachbuch "Consumed!" schweres Geschütz gegen das heutige Verbraucherverhalten auf. Die Nutzbarmachung des Lustprinzips für den Konsum wirke zerstörerisch auf die menschliche Zivilisation.
Die Grundbedürfnisse der meisten Menschen in den reicheren Staaten dürften befriedigt sein - umso mehr Aufwand wird betrieben, damit sie weitere Waren kaufen. Eine Konsumkultur ist entstanden, und jene umstürzlerischen Energien, die sich früher auf die Abschaffung des Kapitalismus richteten, scheinen sich heute auf die Beseitigung von Hindernissen des Warenabsatzes zu konzentrieren. Alles und jedes avanciert zur Marke, mit der Käufer ihre Identität modellieren können. Diese Entwicklungen haben in letzter Zeit nicht nur Naomi Klein in "No Logo" und Wolfgang Ullrich in "Habenwollen" betrachtet.
Von einer Konsumkultur möchte Benjamin Barber, Politikwissenschaftler und einst Berater von Präsident Clinton, nicht sprechen. Für ihn ist der "Konsumkapitalismus" angebrochen, eine pathologische Erscheinung, deren Wirkung der Titel seines Buches trefflich einfängt: "Consumed!" kann der glückliche Ausruf des Shoppers ebenso sein wie seine Klage - "Ich habe konsumiert", aber auch: "Ich bin konsumiert worden." Der Konsumkapitalismus, warnt Barber schon im Untertitel, verführt Kinder, infantilisiert Erwachsene und verschlingt die Bürger mitsamt Demokratie.
Den Kapitalismus möchte der amerikanische Linksliberale nicht abschaffen. Sein Buch ist eine Warnung vor dem ungehinderten Triumph des Kapitalismus - und die Aufforderung, zwischen der Freiheit des Konsumenten und der des Staatsbürgers unterscheiden: Der eine wähle individuell zwischen Waren, der andere entscheide kollektiv mit anderen über gesellschaftliche Belange.
Barber hält den Konsumkapitalismus für eine Degeneration, er zerstöre die Bedingungen seines eigenen Erfolgs. Früher habe der "produktivistische Kapitalismus", den der beredte Wissenschaftler mit Hilfe von Max Webers "Die protestantische Ethik und der Geist der Kapitalismus" sowie, recht großzügig, mit den Ideen der puritanischen Gründungsväter Nordamerikas charakterisiert, die realen Bedürfnisse der Menschen befriedigt. "Geldverdienen und Hilfe für andere" seien damals untrennbar gewesen, ein "Zirkel der Tugend" habe die Gesellschaft geprägt.
Heute dagegen herrsche ein "infantilistisches Ethos". Der Konsument werde als Kind angesprochen, das statt dem Komplizierten, Langsamen und Schwierigen das Einfache, Schnelle und Leichte vorziehe. Die Dinge böten sich als Spielzeug an und verschafften ihrem Käufer den narzisstischen Triumph, über sie vollständig verfügen zu können. Ständig würden neue Bedürfnisse erfunden, um für den Absatz der im Übermaß produzierten Dienstleistungen und Waren zu sorgen. Shopping werde zum "freudlosen Zwang", zur Arbeit.
Der Grund für den Aufstieg des in der Globalisierung verbreiteten "Infantilismus", meint Barber, sei einfach: Kinder glichen sich überall auf der Welt, ausdifferenzierte, erwachsene Kulturen nicht. Die Nutzbarmachung des Lustprinzips für den Konsum wirke allerdings zerstörerisch auf die menschliche Zivilisation, die nicht ohne Mühe, Arbeit und Pflicht entstehen und erhalten werden könne.
Die Nähe zu kulturkonservativen Ansichten leugnet Barber nicht. Dass er ein Mann kräftiger Worte und sprechender Vergleiche ist, macht sein Buch leicht lesbar. Allerdings droht seine Litanei noch in der leicht gekürzten deutschen Fassung den Leser mit einer Vielzahl von Belegen, Anekdoten und Zitaten vornehmlich amerikanischer Provenienz zu erschlagen.
Benjamin Barber wäre kein Amerikaner, ließe er alle Hoffnung fahren. Von drei Widerstandsformen, die in der linken Szene seit geraumer Zeit diskutiert werden, von Kreolisierung, Karnevalisierung und Culture Jamming, einer Art situationistischem Kontramarketing, hält er wenig. Auch für den Staat, der in Europa die öffentlichen Belange wahrnimmt und dem Kapitalismus Regeln auferlegt, kann er sich nicht erwärmen. Barber setzt auf die kritische Konsumentenbewegung der USA und das bürgerschaftliche Engagement von Unternehmen.
Überzeugend wirkt das nicht. Wie sind die kritischen Konsumenten nur dem von Barber als umfassende Geißel der Jetztzeit beschworenen "infantilistischen Ethos" entkommen? Und sind Unternehmen, die Barber übrigens an keiner Stelle als Verantwortliche der Infantilisierung benennt, nicht zumindest deren Profiteure? Warum sollten sie also entgegengesetzt handeln? Benjamin Barbers Warnungen sind glaubwürdiger als seine Hoffnungen.
Rezensiert von Jörg Plath
Benjamin Barber, Consumed! Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Bürger verschlingt
Aus dem Englischen übersetzt von Friedrich Griese
Verlag C. H. Beck, München 2008
396 Seiten, 24,90 Euro
Von einer Konsumkultur möchte Benjamin Barber, Politikwissenschaftler und einst Berater von Präsident Clinton, nicht sprechen. Für ihn ist der "Konsumkapitalismus" angebrochen, eine pathologische Erscheinung, deren Wirkung der Titel seines Buches trefflich einfängt: "Consumed!" kann der glückliche Ausruf des Shoppers ebenso sein wie seine Klage - "Ich habe konsumiert", aber auch: "Ich bin konsumiert worden." Der Konsumkapitalismus, warnt Barber schon im Untertitel, verführt Kinder, infantilisiert Erwachsene und verschlingt die Bürger mitsamt Demokratie.
Den Kapitalismus möchte der amerikanische Linksliberale nicht abschaffen. Sein Buch ist eine Warnung vor dem ungehinderten Triumph des Kapitalismus - und die Aufforderung, zwischen der Freiheit des Konsumenten und der des Staatsbürgers unterscheiden: Der eine wähle individuell zwischen Waren, der andere entscheide kollektiv mit anderen über gesellschaftliche Belange.
Barber hält den Konsumkapitalismus für eine Degeneration, er zerstöre die Bedingungen seines eigenen Erfolgs. Früher habe der "produktivistische Kapitalismus", den der beredte Wissenschaftler mit Hilfe von Max Webers "Die protestantische Ethik und der Geist der Kapitalismus" sowie, recht großzügig, mit den Ideen der puritanischen Gründungsväter Nordamerikas charakterisiert, die realen Bedürfnisse der Menschen befriedigt. "Geldverdienen und Hilfe für andere" seien damals untrennbar gewesen, ein "Zirkel der Tugend" habe die Gesellschaft geprägt.
Heute dagegen herrsche ein "infantilistisches Ethos". Der Konsument werde als Kind angesprochen, das statt dem Komplizierten, Langsamen und Schwierigen das Einfache, Schnelle und Leichte vorziehe. Die Dinge böten sich als Spielzeug an und verschafften ihrem Käufer den narzisstischen Triumph, über sie vollständig verfügen zu können. Ständig würden neue Bedürfnisse erfunden, um für den Absatz der im Übermaß produzierten Dienstleistungen und Waren zu sorgen. Shopping werde zum "freudlosen Zwang", zur Arbeit.
Der Grund für den Aufstieg des in der Globalisierung verbreiteten "Infantilismus", meint Barber, sei einfach: Kinder glichen sich überall auf der Welt, ausdifferenzierte, erwachsene Kulturen nicht. Die Nutzbarmachung des Lustprinzips für den Konsum wirke allerdings zerstörerisch auf die menschliche Zivilisation, die nicht ohne Mühe, Arbeit und Pflicht entstehen und erhalten werden könne.
Die Nähe zu kulturkonservativen Ansichten leugnet Barber nicht. Dass er ein Mann kräftiger Worte und sprechender Vergleiche ist, macht sein Buch leicht lesbar. Allerdings droht seine Litanei noch in der leicht gekürzten deutschen Fassung den Leser mit einer Vielzahl von Belegen, Anekdoten und Zitaten vornehmlich amerikanischer Provenienz zu erschlagen.
Benjamin Barber wäre kein Amerikaner, ließe er alle Hoffnung fahren. Von drei Widerstandsformen, die in der linken Szene seit geraumer Zeit diskutiert werden, von Kreolisierung, Karnevalisierung und Culture Jamming, einer Art situationistischem Kontramarketing, hält er wenig. Auch für den Staat, der in Europa die öffentlichen Belange wahrnimmt und dem Kapitalismus Regeln auferlegt, kann er sich nicht erwärmen. Barber setzt auf die kritische Konsumentenbewegung der USA und das bürgerschaftliche Engagement von Unternehmen.
Überzeugend wirkt das nicht. Wie sind die kritischen Konsumenten nur dem von Barber als umfassende Geißel der Jetztzeit beschworenen "infantilistischen Ethos" entkommen? Und sind Unternehmen, die Barber übrigens an keiner Stelle als Verantwortliche der Infantilisierung benennt, nicht zumindest deren Profiteure? Warum sollten sie also entgegengesetzt handeln? Benjamin Barbers Warnungen sind glaubwürdiger als seine Hoffnungen.
Rezensiert von Jörg Plath
Benjamin Barber, Consumed! Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Bürger verschlingt
Aus dem Englischen übersetzt von Friedrich Griese
Verlag C. H. Beck, München 2008
396 Seiten, 24,90 Euro