Das Freibad, ein Soziotop

Zwischen Chlor, Pommes und Burkinipanik

In Freibädern treffen sich fast alle Klassen.
In Freibädern treffen sich fast alle Klassen. © imago/Hans Blossey
Von Christoph Spittler |
Ob disziplinierte Frühschwimmer, Bikinischönheiten oder balzende Pubertierende: Im Freibad sieht man ein Abbild unserer Gesellschaft im Kleinen. Doch das einstige Pommes-Rotweiß-Kindheitsparadies wird zunehmend zur interkulturellen Kampfzone.
Sieben Uhr. Wolkenlos. 19 Grad Celsius. Morgens vor dem Freibad.
"Bahnen schwimmen kann ich nur so früh, danach ist das Becken zu voll."
Schon bevor die Kasse öffnet, stehen ein paar Leistungsträger der Gesellschaft Schlange.
"Ich schwimme 'ne halbe Stunde, und danach gehe ich nach Hause und frühstücke und fühl' mich gut."
Und auch die ersten Familien finden sich ein.
"Wir haben ja noch ein großes Zelt für die Kleine, dann hat man keinen Platz mehr, nachher ist das so voll hier, das ist der Wahnsinn."
Die Wiesen des Sommerbads funkeln grün und sauber im Morgenlicht. Die Bühne für das große Sommertheater ist noch leer.
Luftdruck 1023 Hektopascal. Regenwahrscheinlichkeit drei Prozent.
Frühaufsteher.
"Morgens, wenn die Kollegen ankommen, wird erstmal das Becken gesaugt, die Durchschreitebecken werden jeden Tag gescheuert und neu aufgefüllt. Ja, und dann geht’s eigentlich um sieben auch schon los mit der Aufsicht."
Laura Naglo, die Leiterin der Sommerbads am Insulaner in Berlin:
"Wir haben früh die Frühschwimmer..."
Die alltägliche Freibadchoreografie.
"... das sind wirklich die Stammgäste, die kommen immer, egal welches Wetter, ob nu kalt, ob Regen, ob warm, die haben wir so bis neun, zehn, dann die Rentner, dann, je nach Temperatur, die Kiddies. Wir haben auch Hortgruppen und Kitagruppen – ja, und dann halt die Jugendlichen und Familien."

"Ein ganz besonderes Soziotop"

"Einmal Schüler bitte."
"Hast du einen Ausweis dabei?"
"Nee."
"Aber schlecht! Also ich sehe dass ihr Schüler seid, aber beim nächsten Mal bitte Ausweis mitbringen."
"Klar, gut."
"Das Freibad war und ist wohl ein ganz besonderes Soziotop...."
Wolfgang Kaschuba, Professor für Europäische Ethnologie.
"... eine Liegewiese fast aller Klassen. Weil sich dort ganz unterschiedliche soziale Gruppen treffen, auch unterschiedliche Generationen, und das ist im Grunde genommen eine der zentralen Kontaktzonen, gerade auch in den Dörfern und kleinen Gemeinden. Einer der großen öffentlichen Räume der 60er- und 70er-Jahre, der auch diese Tendenz zur Privatisierung in der Fernsehecke aufbricht."
Freibad "Bad Marienhöhe" in Hamburg.
Freibad "Bad Marienhöhe" in Hamburg.© imago/Lars Berg
Die Freiheit ist im Freibad relativ. Mit seinen Liegewiesen ist es ein weniger kontrollierter Raum als das Hallenbad. Aber sozial enger als der Urlaubsstrand.
Naglo: "Frühdienst habe ich heute vier Fachkräfte..."
Fachangestellte für Bäderbetriebe. Früher hätte man "Bademeister" gesagt.
"Ich plane es eigentlich so, dass immer fünf bis sechs Aufsichtskräfte oben sind."
Das ist nicht immer einfach zu realisieren.
"Der Bademeister oder Rettungsschwimmer ist ein Beruf, wo es einen großen Fachkräftemangel in Deutschland gibt."
Matthias Oloew ist Sprecher der Berliner Bäderbetriebe, des europaweit größten Schwimmbadunternehmens.
"Bundesweit sind 2.800 Stellen unbesetzt. Hintergrund ist, dass die meisten Bewerberinnen und Bewerber über die nötigen Einstellungsvoraussetzungen nicht mehr verfügen. Sie müssen Leute vom Beckenboden hochholen können, die eben halt ohnmächtig sind. Das ist eine starke körperliche Beanspruchung, die können tatsächlich viele Leute heutzutage nicht mehr machen."
Ein verantwortungsvoller Job.

Kinder und Jugendliche sind häufig Nichtschwimmer

"Kinder, gerade Kinder, die gerade Seepferdchen gemacht haben und einfach noch unsicher sind, oder auch Jugendliche, das sind schon so Gruppen, wo man halt dann doch nochmal ein Auge mehr drauf hat."
Ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind heute Nichtschwimmer. Insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund sind betroffen.
"Wenn man jetzt etwa Freibäder in den großen Städten anschaut, sind sehr viele Kinder und Jugendliche aus den sogenannten bildungsfernen Schichten, das sind eben auch oft Familien mit Migrationshintergrund, da – das hängt zum einen natürlich damit zusammen, wir wissen, ungefähr ein Drittel der Familien kann nicht in den Urlaub fahren, aus finanziellen Gründen, das ist dann eben der Strandurlaub in der Stadt – und zweitens: für viele Kinder ist das ein relativ kontrollfreier Raum."
"Hartz 4, Hartz 4, mein Herz gehört nur dir!"
9 Uhr. Relative Luftfeuchtigkeit 61 Prozent.
Daseinsvorsorgeauftrag.
"5,50 find ich sehr teuer für den Eintritt. Nur dass man ein bisschen Sonne abkriegt. Ist dann so schnell mal zehn, 15 Euro, wenn man doch zwee drei Bier hier trinkt... Ich finde schon, dass die Bäder also bezahlbar sein sollten."
In Hamburg sind es 3,20 Euro, in Hannover 2,50.
"Wir haben ungefähr einen Kostendeckungsgrad von 30 Prozent. So über den Daumen gepeilt kann man sagen, etwa ein Drittel unserer Kosten erwirtschaften wir selbst."
Mit 50 Millionen Euro bezuschusst das Land Berlin jährlich die Bäderbetriebe.
"Und daran erklärt sich dann auch, dass öffentliche Schwimmbäder in der Form, wie sie in Deutschland gebaut sind, mit großen Schwimmbecken eben halt, die besonders teuer sind, nie privatwirtschaftlich betrieben werden könnten. Anders ist das bei Spaßbädern oder bei Erlebnisbädern, wo dann auch Tageseintrittspreise verlangt werden, die sich nie im Leben mit dem politischen Verständnis des Daseinsvorsorgeauftrages decken würden."
Daseinsvorsorgeauftrag. Ob es dieses Wort in anderen Sprachen gibt?
"In Berlin ist der Daseinsvorsorgeauftrag bei den Schwimmbädern relativ weit gefasst: Ws geht nicht nur darum, dass die Menschen etwas für ihre Gesundheit und ihre Erholung tun, sondern, sondern dass die Kinder schwimmen lernen in der Schule, und das gesamte Vereinsschwimmen, der Leistungssport, das wird auch alles als Daseinsvorsorge betrachtet."
Es gehört also zur Daseinsvorsorge, dass ich jetzt in diesen Pool springe und das Land Berlin dieses Vergnügen mit 3 Euro 85 bezuschusst. Das hat seine Tradition.
"In den 50er-, 60er-Jahren sind eben die Überlegungen der Kommunalpolitiker, dass alle Städte und Gemeinden eben eine eigene Erholungsinfrastruktur brauchen, dass es ganz wichtig ist, solche Orte der Erholung als Spielorte in einer Nachkriegsgesellschaft eben zu errichten, die eben noch nicht so mobil und Easyjetset-mäßig daherkommt wie heute, weil damals für zwei Drittel der Familien eben das Freibad im Grunde genommen dann der Urlaubsort ist."

"Wir konnten uns keinen Urlaub leisten"

"Wir waren so als so ganz kleine Kinder, also Steppkes waren wir hier schon schwimmen. Und konnten nicht schwimmen, konnten beide nicht schwimmen. Er ist ja fünf Jahre jünger. Und dann waren wir immer hier. Wir konnten uns keinen Urlaub leisten, das war dann Urlaub für uns hier."
Etwa 119 Millionen mal wurden im letzten Sommer die 2691 Freibäder der Bundesrepublik besucht. 119 Millionen Mini-Urlaube.
10 Uhr. 22 Grad Celsius. Luftdruck 1026 Hektopascal.
Flucht.
2016 wurde das gute alte Freibad unverhofft zum Medienstar. "Sex-Mob-Alarm im Schwimmbad", titelte die "Bild"-Zeitung, und beim Pressesprecher der Berliner Bäder klingelte das Telefon Sturm.
"Die Anfragen waren immer nach einem gleichen Muster. Es melden sich Medien bei Ihnen, die sonst sich nie melden, das sind dann Boulevard-Magazine oder wie auch immer, und die sind dann schon mit einer gewissen Grundaufregung am Telefon und sagen, 'Wie ist denn das jetzt mit den Flüchtlingen, die vergewaltigen ja ständig Frauen', und dann sagte ich, 'Wie kommen Sie denn da drauf?', 'Ja wie, stimmt das denn nicht?' – Dann sag ich, 'Nein, das stimmt nicht'."
Zwei Anzeigen wegen "Belästigung mit sexuellem Hintergrund" wurden im letzten Sommer in Berliner Freibädern erstattet. Eine Dunkelziffer gibt es sicherlich.
"Hier ist ein Müllbad. Weil hier nur Diebe sind. Hier sind Flüchtlinge, die gucken auf Ärsche von Frauen..."
Wer ist hier Flüchtling? Wie sehen Geflüchtete aus? Schwer zu sagen, wer heute hier ins Freibad geflüchtet ist und wovor.
"Die Freibäder sind natürlich Orte einer extremen Körperlichkeit, wenn man Maßstäbe anderer Gesellschaften nimmt, weil sehr viel Körper gezeigt wird. Und das nun sozusagen im Einzelnen genau zu interpretieren was es heißt, also was damit als Signal ausgesandt wird, das ist natürlich für Leute, die nicht in diesem Kontext sozialisiert worden sind, die also nicht gelernt haben, mit Körperlichkeit und Nacktheit so umzugehen wie wir, ist natürlich unter Umständen schwierig, genau wie wir ja sehr oft mit Bekleidungsvorschriften Schwierigkeiten haben umzugehen."
Die komplexen Be-, Ver- und Entkleidungsregeln verschiedener Kulturen haben ihre Tücken.
"Da gibt es natürlich auch Berührungsmomente, da fühlt man sich ein bisschen schutzloser, wenn man seine Kleidung nicht mehr dabei hat."
Wenn die Kleider fehlen, schützt uns nur noch ein dünner zivilisatorischer Firnis.
"Das ist natürlich gerade im Blick auf Körperlichkeit bei jungen Männern extrem, und wir haben ja natürlich eine deutliche Überrepräsentation junger Männer in der Zahl der Geflüchteten, insofern ist unglaublich erstaunlich, wie wenig passiert, das muss man ganz deutlich sagen."
Die Meldungen über angeblich glotzende und grapschende Geflüchtete kamen im letzten Jahr aus allen Ecken des Landes. Zu Verurteilungen kam es allerdings nur in wenigen Fällen. Die Probleme mit den Neubürgern liegen woanders.
"Es gab zu Beginn der Flüchtlingssituation in Deutschland die Situation, dass die Geflüchteten in die Bäder kamen und die wunderbaren blauen Becken gesehen haben und völlig unterschätzt haben, dass man zwar auf den Beckenboden sehen kann, aber dass das Becken trotzdem drei Meter tief ist, und dass man schwimmen können muss, um sich da über Wasser zu halten, und das konnten die meisten nicht."
In Bornheim wurden 2016 Geflüchtete zeitweilig nicht ins Bad gelassen.

"Schwimmbäder sind für alle da"

"Wir als Bäderbetriebe hier sehen das nicht als eine Möglichkeit an, mit irgendeinem Verbot für bestimmte Personengruppen zu arbeiten. Schwimmbäder haben einen Versorgungsauftrag, Schwimmbäder sind für alle da, vom Säugling bis zum Greis, sie sind für Männer wie Frauen da, sie sind für alle Religionen da, und das Tolle ist, im Schwimmbad interessiert das nicht."
13 Uhr. 24 Grad. Regenwahrscheinlichkeit 5 Prozent.
Mahlzeit.
"Essen haben wir mit, aber wir gehen auch oft, weil sie die Pommes und den Ketchup hier total mag, sind wir danach quasi pleite. Wir teilen uns immer eine Portion, meine Schwester kriegt 'ne ganze Portion. Ist unterschiedlich, mal dreimal gehen wir Pommes holen, mal viermal..."
Die Schlange vorm Imbiss wächst minütlich.
"Currywurst haben wir im Angebot, mit Pommes oder ohne, Currybuletten, Chicken McNuggets mit Pommes, Schnitzel mit Pommes."
"Eine Currywurst, zwei kleine Pommes und eine große!"
Von den klassischen Freibadpommes geht im Laufe eines Sommertages eine beträchtliche Menge über den Tresen.
"Das kann passieren, dass wir so 20 Kartons, sind immer zwei Tüten drinne, à fünf Kilo."
"Was wir nicht vergessen dürfen: die Versorgungsstruktur im Freibad. Dort lernen in den 60er- und 70er-Jahren viele Jugendliche auch viele Getränke und viele Fastfood-Geschichten kennen: also diese Form eben auch des Konsums, die den Urlaub charakterisiert."
Pappteller mit Currywurst mit Pommes Frites
Pappteller mit Currywurst mit Pommes Frites© picture alliance / dpa / Federico Gambarini
Heute passen die Begriffe "Pommes" und "Bikini-Figur" eigentlich nicht mehr so richtig zusammen.
"Ich glaube, dass vor 20, 30 Jahren dieses Körperbewusstsein vor allem bei den Jüngeren, aber auch bei der mittleren Generation noch nicht so ausgeprägt war. Insofern glaube ich in der Tat, dass es eine größere Toleranzbreite gab. Es gibt sicherlich Leute, die aus diesen Gründen nicht in die Schwimmbäder gehen."
Ein wohlgenährter Junge – mutmaßlich "bildungsfern" – präsentiert seinen Kumpels die noch ausbaufähige Brustmuskulatur.
"Du darfst erstmal meine Titten anfassen!" (kichert)
Frei von Bodyshaming.
Aber jetzt bietet ein freundliches Ehepaar mir erstmal Häppchen an.
"Tee, Oliven, Wassermelonen, Tomaten, Gurke, Eier ich habe gekocht... kannst du aufmachen? Kannst du einen nehmen. Ich hab gestern gemacht."
Doch über dem friedlichen Sommeridyll zieht langsam die Gewitterwolke des drohenden Nachmittags auf.
"Sie streiten, die jungen Leute. Ab 15 Uhr sie kommen hier. - Ohne Grund, einfach so. - Ohne Grund, ja. Temperament, die jungen Leute."
"Du wirst noch Schläge kriegen, richtig fett!"

"Jugendliche, die ihre Grenzen austesten"

"Wir haben halt wirklich, na klar, die Jugendlichen, die ihre Grenzen austesten – man kennt die auch mit der Zeit, das sind dann auch wirklich Jugendliche, die immer kommen. Und wenn man dann den ganzen Tag da steht und man redet fünfmal, bitte spring jetzt hier nicht vom Beckenrand, und erste, zweite, dritte Ermahnung, dann werden die auch mal des Bades verwiesen."
15 Uhr, wir gehen früh. Ich möchte selber nicht hierbleiben. Besser gehen.
"Bald kommt Polizei, 'ne?"
"Ich glaub der eine hat die anderen unter Wasser gedrückt und dann zurück."
"Hier sind viele Vorfälle gekommen, Prügelei, Klauerei, heute wurde ein Handy geklaut sogar, ein iPhone7, ganz neu..."
15 Uhr. 26 Grad. Luftdruck 1032 Hektopascal.
Die gesellschaftlichen Widersprüche spitzen sich zu.
"Also, da kann ich aus eigener Erfahrung sprechen, dass einen die, ich sag mal, ob das jetzt arabische oder türkische oder generell halt Moslems in dem Sinne, man kann das ja jetzt nicht, ich verallgemeiner das jetzt mal, die nehmen halt die Frau als Person erst mal nicht ernst. Das ist wirklich manchmal ein Problem. Dass man als Kollegin da steht, und die hören einfach nicht."
"Da gab's Anlässe, dass es Gewaltvorfälle in Kreuzberger, Neuköllner Sommerbädern gab, und das wurde nicht mehr vom Badpersonal oder von der Security gelöst, sondern musste Polizei kommen und dann wurden die Bäder geräumt."
Hartmuth Kurzhals leitet ein Gewaltpräventionsprojekt in den Berliner Bädern.
"Und da haben wir dieses Programm 'Bleib cool am Pool' entwickelt. Unsere Konfliktlotsen, die wir über ein paar Monate geschult haben, die laufen durch die Bäder – ihr wichtigstes Werkzeug ist die Sprache. Wir arbeiten mit türkischen, arabischen, englischen, deutschen jungen Frauen, jungen Männern, Leuten aus entsprechenden Communities..."
Seit mehreren Jahren helfen Konfliktlotsen von "Bleib cool am Pool" im Columbiabad Neukölln dabei, kleinere Streitigkeiten friedlich zu lösen.
Seit mehreren Jahren helfen Konfliktlotsen von "Bleib cool am Pool" im Columbiabad Neukölln dabei, kleinere Streitigkeiten friedlich zu lösen.© dpa / picture alliance
"Geh mal runter, geh mal runter. Runter jetzt, komm."
".... die sind in den Bädern vor Ort und können aufgrund ihrer Sprachkenntnisse, aufgrund ihrer Erfahrung, weil die meisten wohnen auch in diesen Bezirken, und dann sagen sie, ok, pass auf, ich kenn deine Eltern, ich weiß wo du wohnst, dann komm ich mal vorbei und berichte denen mal, was du hier gerade für'n Mist im Schwimmbad baust, und das wird deine Eltern nicht erfreuen."
"Und dann bist du zuhause tot. Dann bist du am Arsch zuhause. Ich hab meine, keine Ahnung, fünfte Anzeige, siebte Anzeige oder so. Meine Eltern sagen mir, mach das nicht und sowas."
"Und hältst du dich dran?"

"Oft schon. Ich versuche, dass keine Streitereien passieren."
Mehrmals kam es in Berliner Sommerbädern zu Massenschlägereien.
"Sehr oft gibt’s Stress. Weil der Andere dich provoziert, und dann greifst du an. Er schubst dich, er sagt, ich war erster, beispielsweise hier bei Sprungbrett, er sagt, ich war erster, und dann schubst ihr euch und dann kämpft ihr."

"Jede Menge sozialer Hintergründe"

"Natürlich gibt’s jede Menge sozialer Hintergründe, Leute, die abgehängt sind, Leute, die nicht in der Mehrheitsgesellschaft einen Platz finden, und die dann auf die Art und Weise eben Dampf ablassen."
"Ich würd nicht immer alles auf die Ausländer schieben. Da gibt’s ja auch so'ne und so'ne. Und die werden ganz anders erzogen. Da ist noch 'ne Strenge."
Stress im Freibad gab es schon immer. Jedenfalls in der Großstadt.
"Er hatte hier mal einen Unfall, da saß er auf der Wippe, und zwar waren da so Halbstarke, die hatten da den Spielplatz noch, der war da, der Spielplatz, der ist aber jetzt dahinten, da kamen so große Jungs, also Halbstarke, haben den so richtig runtergedrückt und er ist dann gleich hochgeflogen, er war so sechs oder sieben, und er hat sich das ganze Ohr abgerissen."
Die Halbstarken.
"Das war grober früher."
"Möcht' ich mal fast behaupten, die Jugend war grober früher, die ist heut' gar nicht mehr so."
"Durch die Security."
"Ich bin der Meinung, die Jugend hat sich schon verändert. Die entschuldigen sich ja auch, wenn 'se mal angerempelt werden im Bad. Ich glaub die Jugend war zu unserer Zeit, war frecher gewesen."
"Also ich bin in den 50ern aufgewachsen und dann in den 60ern auch im Schwimmbad sehr viel gewesen, aber dass es diese Gewaltexzesse gab, die es heute gibt, daran kann ich mich nicht erinnern."
Die Konfliktlotsen von "Bleib cool am Pool" können nicht jede Gewaltsituation verhindern. Seit knapp 20 Jahren gehören in Berliner Sommerbädern auch private Sicherheitsdienste zum Bild.
"Ich persönlich finde, dass die Idee des Freibads eigentlich ohne Security auskommen müsste, aber das ist heutzutage nicht mehr machbar. Und an besonders heißen Tagen machen wir ja auch die ein oder andere Taschenkontrolle, um zu gucken, was da in den großen Beuteln so alles drin ist, die die Damen und Herren alle mitbringen."
Glas darf hier nicht rein, spitze Gegenstände oder Messer dürfen hier nicht rein...
17 Uhr. 27 Grad.
Am Sprungturm.
"Zehner! Mach Zehner! Vorwärtsrolle! Köpper! Köpper!"
"Ein Deutscher macht einen Köpper!"
Mutproben am Turm. Die Kids filmen ihre Sprünge gegenseitig mit den Handys und begutachten anschließend die Ergebnisse.
Handykameras: noch ein Problem, mit dem sich Bäderbetriebe heute herumschlagen müssen.
"Wir wünschen uns, dass alle auf das Fotografieren weitgehend verzichten."
"Auf der einen Seite haben wir die Entwicklung, dass gerade Kinder und Jugendliche Fotos und Körperbilder, Selfies wie eben auch Fremdfotografien selbst ins Netz stellen, sich damit eben auch entblößen, sich damit zeigen, sich damit selber darstellen, auch auf Kommentare warten, und auf der anderen Seite ist es natürlich ein großes Problem, weil ja in der Tat eben auch Paparazzi sozusagen als Spanner unterwegs sind, die in den Freibädern Kinderfotos natürlich auch jagen."
In Offenbach zum Beispiel ist das Fotografieren im Freibad gänzlich verboten. Anders als in Berlin.

"Können nicht am Tag 12.000 Handys einsammeln"

"Wir können nicht bei einem heißen Badetag von 12.000 Menschen die Handys einsammeln und dann abends wieder ausgeben, mal abgesehen davon, dass es einen Riesen-Wartepulk an den Kassen geben würde, die ohnehin schon lange Wartezeiten produzieren, macht das nicht wirklich Sinn."
"Hallo! Immer nur einer oben! Runter bitte, der Hintermann!"
"Da haben wir auch die Jungscliquen, die sich dann gegenseitig was beweisen müssen, oder auch gerade, wenn sie dann mit ihren Mädels kommen im Teenie-Alter so von 14 bis 16, und dann hier, guck mal Mäuschen, das und das kann ich, und so bin ich gesprungen..."
"Mädels! Mädels Mädels Mädels! Aber hier gibt’s keine Mädchen, Mädchen hier haben Achselhaare geflechtet!"
"Das ist, glaube ich, heute noch so ein Begegnungsort in vieler Hinsicht. Da begegnen diejenigen, die leistungsbewusst schwimmen wollen denen, die soziales Leben haben wollen, da begegnen Generationen, und vor Allem natürlich, das war immer so und das ist heute auch noch so, da begegnen sich natürlich die Geschlechter, vor allem in den jungen Jahren."
"Sind meine Haare schön? Willst du lecken, ja? – Hübsche Frau, oder?"
Und der junge Mann mit den streng nach hinten gegelten Haaren pflanzt sich flugs neben die Bikinischönheit.
"Wie alt sind Sie, wenn ich fragen darf?"
"35."
"Sehr hübsch! Mein Alter, ich bin 37."
"Guck hinter dir, guck hinter dir. Wäre das jetzt ein arabisches Mädchen, würde eine Schlägerei passieren jetzt."
Doch heute bleiben alle entspannt.
"Ach, eigentlich ganz nett. Hab ich kein Problem. Die jüngeren Jungs waren ein bisschen nervig, weil die immer so über mein Handtuch gelaufen sind und über mich gelaufen sind irgendwann..."
"Ja, man wird halt angesprochen, angeguckt, gerade in Bikini oder Bademode. Jetzt nicht dramatisch, aber halt unangenehm. Ich find das ist Schwachsinn, das auf Migranten zu reduzieren, weil das jeder macht, das machen nicht nur Migranten, das machen genausogut Deutsche – sinnlos."
17 Uhr 30. 27 Grad.
Kleiderordnung.
"Ich finde es nicht gut, dass die Deutschen alle mit Bikini rumlaufen, ich bin doch ein kleines Kind! Die Deutschen ziehen alle Bikini an und so – das ist mir egal. Das ist mir scheißegal. Sobald's nicht einer von meiner Familie ist, ist es mir egal. Weil ich möchte nicht, dass jemand von meiner Familie sich so sehr freizügig anzieht und dann – leck mal kurz meine Eier! – dann würde hier irgendetwas passieren. Keine Ahnung, das ist nicht gut."
Der minimale Mädchen-Schwimmbad-Dresscode sieht anders aus, aus Großer-Bruder-Sicht:
"Fußballshorts, und dann noch ein Hemd oder sowas, T-Shirt oder sowas. Ist besser als Bikini."
"Eine verhüllte Frau ist natürlich in gewissem Sinne eine Irritation, ja, weil wir natürlich plötzlich mit unserer Entblößung auch in gewisser Weise konfrontiert sind, und wir wollen, dass alle so sind, ja, dass nicht uns ein Spiegel vorgehalten wird."
"Es ist schade, dass es mit dem Ramadan so warm ist, weil es gibt viele, die wollen, wenn sie schwimmen gehen, fasten, aber es geht ja nicht, weil da viele nackte Frauen sind."
"Darf man Ramadan ins Freibad?"
"Eigentlich nicht."
"Doch, man darf, mein Onkel hat mir erlaubt."
"Man darf, aber man darf nicht auf Ärsche gucken!"
"Aber die Jungs machen es halt."
"Denkste, ich hab Bock zu fasten?"
"Niemand hält sich dran."
"Ich guck immer auf Ärsche! Und dann die blasen mir immer einen."

Burkinis weit und breit nicht in Sicht

Die viel beschrieenen Burkinis sind weit und breit nicht in Sicht an diesem Sommertag im Freibad. Realität sind sie jedoch durchaus.
"Der Burkini war ja so eine Entwicklung, die in den meisten Freibädern akzeptiert worden ist, mit dem wesentlichen Argument, das ermöglicht Frauen, an diesem öffentlichen Leben in einem Ort, der die Körperlichkeit thematisiert wie das Freibad, überhaupt teilzunehmen: die Alternative für viele von ihnen wäre sonst eben gar keine Teilnahme."
"Es gibt immer Leute, denen das nicht passt, aber die Regeln sagen, sie dürfen, wenn's der richtige Stoff ist – Es geht wirklich über rassistische Äußerungen bis hin zu, 'dürfen die das', ja, wirklich dass wir die nicht haben wollen hier in unserem Land und die nicht im Schwimmbad haben möchten. Gut, wir sind aber ein freies Land, und damit dürfen die auch hier schwimmen gehen."
"Ist ja teilweise auch schon verboten, glaube ich."
"Ja weil's gefährlich ist, man weiß nicht, was da drunter ist."
"Ja, aber das ist eben ihr Glaube!"
"Sie wissen schon, was ick meine. Was man da drunter verstecken kann."
"Was denn?"
"Sag ich nicht. Kann man sich denken."
"So wie eine Frau im Burkini von männlichen biodeutschen Jugendlichen angeglotzt wird, weil sie so viel anhat, so wird eben unter Umständen eine Bikinischönheit von Jugendlichen, die das noch nicht so oft gesehen haben, angeglotzt, weil sie so wenig anhat."
So selbstverständlich ist die öffentliche Entblößung bei uns noch gar nicht so lange. In den 70ern noch war das Freibad einer der wenigen Orte, an denen man überhaupt unbekleidete Körper sehen konnte.
"Daniel, der auf der Sonnenterasse des Wannseebades vor sich hinträumte, hatte ihn gleich bemerkt. Er bewunderte seinen starken Körper."
Rosa von Praunheim zeigt 1971 in seinem Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt", das Sommerbad als Schwulentreffpunkt.
"Der immer stärker werdende Wunsch nach einem männlichen Körper treibt sie aus ihren Familien heraus zu den Orten, wo sich Schwule treffen. Homosexuelle Treffpunkte sind ein Jahrmarkt der Eitelkeit."
"Wenn wir über urbane Minderheiten, urbane Subkulturen sprechen, müsste eigentlich das Freibad auch als Formationsort solcher Kulturen in den 60er- und 70er-Jahren dann eben auch eine Rolle spielen, weil dort Körperlichkeit eben ausgelebt werden konnte und noch nicht in den öffentlichen Räumen, wie wir das heute haben."
19 Uhr. 24 Grad. 1020 Hektopascal.
Leichte Abkühlung.
Langsam leert sich die Freibadwiese. Über 3000 Badegäste haben das Sommerbad heute besucht. Über mangelnden Zuspruch können sich die öffentlichen Bäder nicht beklagen, trotz zunehmender Konkurrenz von Erlebnis-Badelandschaften aller Art.
"Das sind privatwirtschaftliche Angebote, die in der Form nicht mit dem politischen Daseinsvorsorgeauftrag gleichkommen. Keines dieser Schwimmbecken ist zum Beispiel sportgerecht. Die Beckentiefe ist meistens zwischen 1,20 und 1,30, das gilt dann als Nichtschwimmerbecken, und dann gibt es keine gesetzliche Auflage, einen Schwimmmeister zu beschäftigen."
Die Berliner Hipster haben sich ihre eigene Erfrischungsinfrastruktur geschaffen. Coole Poolparty-Locations, die dann "Haubentaucher" heißen oder "Badeschiff" – letzteres ein Schwimmbecken, das auf der Spree schwimmt.
"Die Art von einem Bade-Club wie der Haubentaucher, der ja auch eine Türpolitik betreibt, keine strenge, aber es ist ja eine Türpolitik, und auch eine de-facto-Türpolitik durch die Preise, die sie verlangen. Sie müssen da ja verzehren, Sie können ja nicht einen Picknickkorb da mit rein nehmen – weiß ich nicht, ob man sich da was abgucken kann, ich glaube eher, Badeschiff und Haubentaucher haben sich von der deutschen Freibadkultur was abgeguckt."
"Wir suchen heute so wie jeden Tag fleißige Helferkinder, die uns noch ein wenig helfen wollen. Dafür gibt es natürlich Freikarten."
Die fleißigen Helferkinder sammeln eifrig den sommerlichen Müll ein, und der Freibad-Tag neigt sich dem Ende zu. Wenn alles gut geht, jedenfalls.
"Es ist 19:30 und somit Badeschluss."
"Wenn die Gäste dann gesammelt sich weigern, aus dem Becken zu gehen, dann muss im Endeffekt manchmal dann auch mit Polizeieinsatz gearbeitet werden."
"Bitte jetzt aus dem Wasser kommen, zu Ende rutschen, bitte nicht nochmal hoch laufen zur Rutsche! Wie gewohnt schließt das Freibad in 30 Minuten, um 20 Uhr, bis dahin noch einen schönen Aufenthalt, bis morgen."
180.000 Liter Frischwasser wurden an diesem Tag im Freibad verbraucht und mit 35 Gramm Chlor versetzt. 200 Kilo Pommes wurden konsumiert und ein Hausverbot wurde ausgesprochen.
"Im Grunde bleibt eigentlich das Freibad das, was es ist: Pommes-Schranke und Chlor und viel Spaß, und heißer Sonnentag, wunderbar."
In einer beschwingten Sommernacht ins Freibad einzubrechen: Das empfiehlt sich übrigens heutzutage nicht mehr.
"Lassen Sie sich nicht erwischen, dann gibt’s Hausverbot! Das kann zum Beispiel sein, da fährt die ganze Nacht so ein Beckenroboter, der mit Strom versorgt wird und saugt den Beckenboden – und bei einem unglücklichen Fall der Fälle erleiden Sie einen Stromschlag!"
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