David Eagleman/Anthony Brandt: Kreativität. Wie unser Denken die Welt immer wieder neu erschafft
Übersetzt von Jürgen Neubauer
Siedler Verlag, München 2018
288 Seiten. 25,- EUR
Ein Kreativer allein ist nicht genug
Ein Neurowissenschaftler und ein Komponist erklären das Geheimnis der Kreativität in einer einfachen Formel: Vorhandenes verändern und neu zusammensetzen. Das ist zwar nicht tiefgründig, aber die Fülle der Beispiele macht Spaß und ist anregend.
Beim Flug der Apollo 13 explodierte ein Sauerstofftank. Dass die Astronauten trotzdem gesund zur Erde zurückkehrten, verdankten sie findigen Ingenieuren der NASA, die mit Hilfe einer Socke und einer Plastiktüte die Luftversorgung sicherten.
Und als Pablo Picasso 1907 sein Gemälde "Die Damen von Avignon" als zersplitterte Farbflächen malte, ahnte niemand, dass er damit die künstlerische Moderne einläutete. Die Ingenieure und der Maler sind für David Eagleman und Anthony Brandt nur zwei Beispiele menschlicher Kreativität. In ihrem Buch wollen sie erklären, worin das Geheimnis dieser Schöpfungskraft besteht.
Ihr Ansatz überrascht, denn obwohl Eagleman Hirnforscher und Brandt Komponist ist, spielt die Neurowissenschaft keine und die Musik nur eine geringfügige Rolle. Stattdessen argumentieren die beiden anhand optischer Beispiele.
Aus dem Nichts heraus kommen keine Meisterleistungen
Mehr als 200 kleine Farbabbildungen zeigen mexikanische Statuen, das iPhone, Dampftraktoren, Mode und unzählige Kunstwerke. Aus der Bilderflut schließen die beiden im ersten Teil des Buches: Es gibt kein Genie, das aus dem Nichts heraus kreative Meisterleistungen schafft. Für revolutionäre Bilder lassen sich genauso wie für revolutionäre Erfindungen wie das iPhone immer Vorläufer finden.
Kreativität entsteht, wenn das vorhandene Material verändert, auseinandergenommen und neu kombiniert wird, so die Autoren. Ob sich das Neue dann durchsetzt, hänge dabei vom Umfeld ab, denn "Kreativität ist ein gesellschaftlicher Akt".
Anschließend beschreiben sie, was einen kreativen Geist ausmache: Bewährtes infrage stellen, sich nicht mit der ersten Lösung zufrieden geben und Risikobereitschaft.
Im letzten Teil ihres Buches geben sie schließlich Tipps. Unternehmen sollen in Fehlern kreative Chancen sehen und Schulen Kinder zum eigenen Denken anregen. Das war's! Mehr kommt nicht und das klingt vor dem Hintergrund der Autoren banal!
Katalog der Kreativität
Wer theoretische und experimentelle Fundierung erwartet hat oder direkte Einblicke in den kreativen Prozess des Künstlers oder des Wissenschaftlers, wird enttäuscht. Und trotzdem funktioniert das Buch! Es ist eine Art Katalog der Kreativität, der allein Dank der Überfülle der Beispiele Spaß macht.
Sich etwa anzugucken, welche technischen Geräte schon vor dem iPhone einen Touchscreen hatten, unterhält genauso, wie sich über die von Albert Einstein patentierte Herrenweste zu wundern oder die vielen Anekdoten über kreative Erfolge und Katastrophen zu lesen.
Ganz nebenbei wird so plastisch, dass Kreativität viel mit Leidenschaft und Ausdauer zu tun hat: ein Ziel ins Auge fassen, viel ausprobieren, sich nicht entmutigen lassen. Das ist keine überwältigend neue Erkenntnis, aber sie wird hier wunderbar kreativ vermittelt. Die vielen Eindrücke regen an, die eigenen Grenzen auszuloten.
Auch wenn man so nicht zu einem neuen Pablo Picasso oder einem Steve Jobs wird, kann man so durchaus vorankommen. Kreativität lässt sich eben nicht mit Formeln vermitteln, sondern vor allem über Anschauung.