David Miller: Fremde in unserer Mitte. Politische Philosophie der Einwanderung
aus dem Englischen von Frank Lachmann
Suhrkamp, Berlin, 2017
350 Seiten, 32 Euro
Pragmatische Gedanken zu Fragen der Einwanderung
Der britische Philosoph David Miller wünscht sich beim Thema Einwanderung beides: moralische Verpflichtungen gegenüber den Menschen und den krisengeschüttelten Staaten zu berücksichtigen - ohne das Gemeinwesen zu überfordern. Sein Buch "Fremde in unserer Mitte" ist dabei wohltuend pragmatisch.
Nimmt man ein Buch aus der Schule der analytischen Philosophie zur Hand, hat man sofort das Gefühl, in ein gut aufgeräumtes Labor zu treten und für so ziemlich jedes Problem ein paar sehr ordentliche neue Gedanken an die Hand zu bekommen. Keinem Thema unserer Tage ist eine solche aufgeräumte heitere Gelassenheit mehr zu wünschen als der Frage der Einwanderung. Also freut man sich, gleich zu Beginn zu lesen, dass David Miller gegen die Erhitzung der Gemüter mit einer Erhellung der Lage antreten und klären will, "wie wir über Einwanderung nachdenken und wie wir mit ihr umgehen sollten".
Doch zugleich hängt der normative Grundton des Buches mitunter in der Luft – und das liegt einer deutschen Leserschaft, die gern für alles lieber eine Begründung hat als dieses ewige vage "wir sollten", das David Miller nicht nur in dem zitierten Einleitungssatz unbefangen gebraucht, eher nicht. Wir sollten? Wir sind verpflichtet? Wer sagt uns das, wer oder was verpflichtet uns, wer ist dieses "man", das er beruft, und vor welcher Instanz sind wir verworfen, wenn wir uns nicht an die vielen Prinzipien gebunden halten, die Miller diskutiert?
Politische statt ethische Argumentation
Freilich: Miller selbst sagt uns, dass er nicht zuerst ethisch, sondern politisch argumentieren wird, und dass ihm im Interesse einer guten Politik daran liegt, die verschiedenen Argumente aller Lager gegeneinander ernsthaft in Stellung zu bringen. In neun Kapiteln stellt David Miller unter dem - in England viel kritisierten - Titel "Fremde in unserer Mitte" nichts Geringeres als eine "politische Philosophie der Einwanderung" vor.
Und was lernen wir? Sehr viel. Vor allem eines: Es scheint möglich zu sein, menschenrechtlich zu denken und die Grenzen der Möglichkeiten einzelner Staaten zu denken. Moralische Verpflichtungen gegenüber den Menschen und den krisengeschüttelten Staaten zu berücksichtigen, und trotzdem nicht die Gemeinwesen so zu überfordern, dass sie sich in eine allgemeine Indifferenz auflösen müssen, die dann auch keine Basis für irgendeine universale Moral mehr hergeben könnte. Die Position Millers ist, um es in einem Wort zu sagen, auf wohltuende Weise pragmatisch.
Buch nimmt Druck aus der Debatte
Diese grundangelsächsische Herangehensweise tut dem Problem gut. Etwa, wenn er das menschenrechtliche Problem in eine negative und eine positive Definition der Menschenrechte aufteilt: Sind Menschenrechte negativ definiert, als eine Schwelle, die nicht überschritten werden darf, dann ist es nicht gegen die Menschenrechte, Flüchtlinge abzuweisen, solange sie noch andere Möglichkeiten haben. Sind sie positiv definiert, so dass wir verpflichtet sind, überall in der Welt für alle Menschen für ein auskömmliches Leben zu sorgen, erhebt sich in der Realität die Frage: Wessen Brunnen muss ich bohren, und wie viele noch?
Mit seinem überzeugenden Konzept des schwachen Kosmopolitismus nimmt David Miller viel Druck aus der emotional geführten Debatte, so dass wir endlich wieder vernünftig reden können.