"Ich habe das Kulturhaus kennengelernt, da hatte der andere Verein eine Kneipe aufgemacht. Da habe ich in den großen Saal reingeguckt. Die Tür war offen und ich war unglaublich fasziniert", erinnert sich Susanne Reichard. "Ich liebe ja Bühnen. Ich bin dann durch das Haus gegangen und habe so viele Visionen und Vorstellungen gehabt, was man alles in diesem Haus machen kann. Und dann haben wir angefangen und haben das Haus peu à peu nutzbar gemacht. Es war vollgerümpelt, es war kaputt, es war dreckig, es war sehr traurig. Es war ein sehr trauriges Haus."
Susanne Reichard arbeitet seit 2008 ehrenamtlich als Vorstand im Verein "Denkmal Kultur Mestlin e.V." in Mecklenburg–Vorpommern. Mestlin, das ist ein Dorf mit knapp 800 Einwohnern nahe der Mecklenburgischen Seenplatte. Im Verein ist auch Takwe Kaenders:
"Ich bin freischaffende Künstlerin und ich habe hier ein ganz großes Netzwerk über Jahre aufgebaut", erzählt sie. "Seit 25 Jahren bin ich jetzt hier und habe ganz, ganz viele Künstler, die in der Region und in ganz Mecklenburg-Vorpommern leben, akquiriert, begeistern können für das Projekt Kulturhaus. Und da wir hier so eine große Spielfläche haben, die wir bespielen können, wie wir das gern möchten, was keinen Galeriecharakter hat, sondern einen ganz eigenständigen Charakter, ist es für uns ein ganz tolles Projekt, wo wir uns vielfältig austoben können."
"Was das für Konsequenzen hat und was das für Kreise zieht, hat damals keiner geahnt", sagt Peter Enterlein, auch er im Vorstand von "Denkmal Kultur Mestlin e.V.".
"Da kam eins zum anderen hinzu und für uns war relativ schnell klar, dass wir das Haus, wenn wir es erhalten wollen – der Erhalt, die Sanierung und Nutzung des Kulturhauses sind ja unser Satzungsziel –, dass es dafür Öffentlichkeit braucht und Veranstaltungen. So machen wir es eigentlich seit der Vereinsgründung, dass wir den Sanierungsprozess des Hauses, den wir organisieren, für den wir die Fördermittel einwerben, immer parallel laufen lassen zu Öffentlichkeit und zu Veranstaltungen. Das ist bisher ein erfolgreiches Konzept gewesen, weil es damit nicht in der Anonymität versinkt, wie es vor der Wiedereröffnung 2009 gewesen ist."
Nebe Susanne Reichardt, Takwe Kaenders und Peter Enterlein hat "Denkmal Kultur Mestlin" noch weitere zwanzig Fördermitglieder und viele temporäre Unterstützerinnen und Unterstützer. Die meisten nach der Wende in die Region gespült, gestalten sie zeitgenössische Kunstausstellungen und haben für das Kulturhaus vielfältige Veranstaltungsformate entwickelt.
Architektonisch orientiert sich das Kulturhause Mestlin an der Berliner Staatsoper.© Deutschlandradio / Ulrike Sebert
Wir dokumentieren den Text des Features leicht gekürzt.
Fenster, Foyer, Bühne und Außenterrassen konnten bisher denkmalgerecht saniert werden. 2,5 Millionen Euro Fördergelder. Und es liegt noch viel Arbeit vor ihnen. Torsten Cord war schon Gründungsmitglied des ersten Fördervereins von 1997 bis 2004 und lebt seit 1993 in Mestlin:
"Wir befinden uns jetzt am Haupteingang vom Kulturhaus Mestlin. Das Kulturhaus ist das zentrale Gebäude hier am Marx-Engels-Platz, wo noch weitere Wohn-, und Geschäftshäuser stehen, die in den 50er-Jahren gebaut wurden", erklärt er. "Zu dem Ensemble gehört noch ein ursprüngliches Landambulatorium, was sich rückseits vom Kulturhaus befindet. Es steht hier noch am Platz ein großes Gebäude, das ist die Schule und es ist noch am Platz eine Kindertagestagesstätte, die auch heute genutzt wird."
Das erste Musterdorf der DDR
Mestlin, das kleine Dorf irgendwo zwischen Güstrow und Schwerin, wurde ab 1952 als erstes Musterdorf der DDR errichtet, im schlichten funktionalen Baustil der 1950er-Jahre. Mit allen Läden und Einrichtungen, die sich auch in Städten fanden. Junge Leute kamen von überall, um hier zu arbeiten, vorwiegend in der LPG. Moderne Wohnungen wurden gebaut. Mestlin zählte zu DDR-Zeiten 1700 Einwohner und galt als Idealform des sozialistischen Zusammenlebens, politisch, sozial und kulturell. Auf alten Fotos und in Filmaufnahmen: Lebendigkeit. Seit 1989/90 sind viele weggezogen, alte Leute verstorben. Häuser und Geschäfte stehen leer. Bröckelnder grauer Putz. Da mal ein Auto, in der Ferne ein Mensch, ein paar Kinderstimmen. Seltsame Melancholie.
Mitten im Ort, überproportioniert, das Kulturhaus, 57 Meter lang und über 28 Meter breit. Architektonisch orientiert an der Staatsoper Berlin. Erbaut 1952 bis 1957, Bau und Betrieb hundertprozentig staatlich finanziert.
Die Lehrerin Lotte Hansen erinnert sich:
"Ich wohne hier seit 1958, war 41 Jahre in der Schule tätig und habe somit viele, viele Jahre das Geschehen, die Geschichte des Ortes miterlebt. Im Kulturhaus gab es sehr viele Veranstaltungen, erstmal zwei Mal in der Woche Kino, da durfte auch keine Versammlung sein, da war der Saal voll. Ganz Mestlin strömte ins Kino, wir hatten ja noch keinen Fernseher damals. Dann waren eine Menge Veranstaltungen vonseiten des Kreises, Bezirk. Großveranstaltungen, Tagungen vom ZK und von der Kreisleitung, Theater regelmäßig, zur Weihnachtszeit kamen die mit Bussen aus der Umgebung zum Kindertheater angefahren, Tanz, wir hatten eine eigene Tanzkapelle, es waren regelmäßig Tanzveranstaltungen in einem wunderschönen Saal, wo man ganz herrlich tanzen konnte."
Mit der Wende brach dann vieles an Struktur zusammen, sagt Torsten Cord:
"Das Kulturhaus hatte von einem Tag auf den anderen keinen Geldgeber mehr, wurde dann von der Gemeinde an einen Großraumdiskotheker aus Hamburg verpachtet – die erste Großraumdiskothek wohl hier in MV, wo von Hamburg, Berlin und MV die Gäste hier eingeflogen sind, also Freitag/ Sonnabend das Dorf hier zugeparkt war. Und so sind noch andere Strukturen zusammengebrochen, von den Läden, die hier waren, später auch die Gaststätte, die dann dichtgemacht hat. Die Gaststätte im Kulturhaus war ja gleich dicht."
Schießen und Volkstanz im Kulturhaus
Früher dagegen habe fast das gesamte Leben mit den Kindern im Kulturhaus stattgefunden, so Lotte Hansen. "Wir hatten sehr viele Arbeitsgemeinschaften Wir hatten damals vonseiten der GST [Gesellschaft für Sport und Technik] Schießen und Volkstanz, Gymnastik. In den ersten Jahren hatten wir ja noch keine Turnhalle, gut sieben Jahre habe ich auf der Bühne im Kulturhaus Sport unterrichtet, da hatten wir diese große, wunderschöne Bühne als Turnhalle. Unsere Schüler aus der 10. Klasse haben sämtliche Prüfungen im großen Saal des Kulturhauses geschrieben."
"Wenn wir reinkommen, kommen wir in das Foyer des Kulturhauses, ein großzügiges Foyer, von dem dann der große Saal abgeht und auch ein kleinerer Saal und dann der Aufgang ins Obergeschoss", erklärt Torsten Cord.
Im Foyer hängen noch Lampen aus DDR-Zeiten.© Deutschlandradio / Ulrike Sebert
"Hier im Foyer sehen wir noch Originallampen, die zwar ursprünglich nicht in diesem Foyer hingen, sondern in einem kleineren Saal, aber wir haben im Rahmen der Sanierung, die wir als Verein im Foyer selber durchgeführt haben, mit großzügiger Unterstützung weiterer Bürger aus der Gemeinde diese Leuchten hier installiert. Somit konnten wir sie auch erhalten und jetzt präsentieren."
Im Foyer sei der Originalfußboden noch erhalten, in anderen Bereichen leider nicht mehr, so Cord.
"Da sind große Schäden aufgetreten, nachdem der Großraumdiskotheker das Gebäude verlassen hat, die Heizung nicht abgestellt hat und in dem Winter 1995 die Heizung kaputtgefroren war und vor allem die Parkettfußböden hochgefroren sind. Die Sanierung des Foyers haben wir mit dem Denkmalschutz abgestimmt, sodass wir annährend die Farbgestaltung erreichen konnten, die auch ursprünglich hier im Foyer Bestand hatte."
Die Kulturhäuser wieder mit Leben füllen
Der Theaterregisseur Stefan Stroux erinnert sich an diese Zeit:
"1994. Wir gehen ins Haus, an dem Toyota vorbei, wieder einmal entern wir ein Schloss über die Hintertür, auch ein Zeichen der Zeit: Haupteingänge geschlossen, zugenagelt. Der kalte Schweiß vom Morgen danach, die Kneipe, die schwarzen Wände, Lichtorgeln auch ohne Menschen, die Disko für zwei- bis viertausend. Das Haus vom Westen erobert. Die Wochenendtänzer, das bringt Profit. Nicht die Erhaltung der Bausubstanz ist das Ziel, notdürftig hergerichtet. Es ist still, der Elektriker wechselt die ausgefallenen Glühlampen."
Stephan Stroux brach 1994 in die neuen Bundesländer auf, zusammen mit dem DDR-Fotografen Michael Schroedter, um 35 Kulturhäuser für ein Theaterprojekt auszuwählen. 1990 gab es 2500, flächendeckend in der ganzen DDR. Stroux‘ Idee: ein Tanzmarathon, inszeniert mit ehemaligen Schauspielern der DDR und den Elementen des jeweiligen Kulturhauses, nach dem Roman von Horace McCoy aus dem Jahr 1935 "Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss". Stephan Stroux hatte die Vision, die Menschen wieder in die verwaisten Kulturhäuser zu holen. Das Theaterprojekt scheiterte am fehlenden Geld. Aus der Idee entstand jedoch das Buch "Salons der Sozialisten", gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Simone Hain. Mittlerweile ein Standardwerk. Vergriffen.
"Es war eine unglaubliche Entdeckung von Landschaft, vor allem aber von Menschen und von Geschichten. Wenn man in ein Kulturhaus hineingeht und sagt: wer kann mir was darüber erzählen... Es gab überall einen Menschen, der genau die Geschichte kannte, das waren ganz tolle Menschen, die wir getroffen haben. Wir haben auch Sachen erfahren von Leuten, die uns erzählt, wie der Angriff auf die BRD vorbereitet war, sehr stark politische Geschichten, die meisten Geschichten hatten etwas mit Verlust zu tun. Mit Verlust der Identität."
In den Kulturhäusern wurde kulturelle Kompetenz erworben
Stroux' Co-Autorin, die Kunsthistorikerin Simone Hain, hat den Schwerpunkt Architektur und Planung und speziell zur DDR-Geschichte geforscht:
"Der Osten hat eine kulturelle Kompetenz erworben – gerade meine Generation –, dadurch, dass man gar nicht an diesen Kulturhäusern vorbeikam. Auch professionelle Künstler wie Cornelia Schleime oder oppositionelle Schriftsteller waren irgendwo in diesen schreibenden Arbeitern oder Zirkeln", sagt sie.
"Ich habe Theater gespielt, erst fing es mit fünf Jahren in der Kindertanzgruppe an, dass ich Bühnenerfahrung habe, und dann bin ich später im Arbeitertheater gewesen. Ich habe oft gesagt, bloß gut, dass ich Theater gespielt habe, ich kann vor 200 Studenten oder 2000 Architekten Vorträge halten, ich bin absolut bühnensicher. Das ist in Gröditz gewesen, ein Stahlwerk in Nordsachsen. Lange Zeit war da Shopping drin, eine Kaufhalle."
"Wir haben auch sehr viel Einsamkeit getroffen bei dieser Reise", so Stefan Stroux. "Die war bestimmt, einmal zu sehen, wieviel Industrie abgestellt wurde, wir haben so viel Industrieruinen gesehen, die man sich gar nicht vorstellen kann, einige davon hätten gut weiterarbeiten können, wir haben also diesen Umgang vom Westen mit dem Osten sehr vor Ort erlebt, durch die Bilder, was da war und durch die Menschen, denen wir begegnet sind. In Bitterfeld, da war der große Kulturkongress. Man sieht da dieses Zentrum für Kultur, dem hatte man die Nabelschnur abgeschnitten. Das war nicht mehr mit dem Werk verbunden. Die hatten 600.000 D-Mark Kosten im Jahr, um das Ding zu heizen, weil sie immer nur das Ganze heizen konnte."
"Wir haben seit der Wende, seit der Wiedervereinigung, eine ganz prekäre Situation für die Kultur in peripheren Räumen", sagt Simone Hain. "Die vornehmste Bauaufgabe, in der sich alles zeigt, was DDR war, sind die Kulturhäuser. Und die sind nicht finanziert, für die gibt es unter wiedervereinigten Bedingungen keine Töpfe. Die sind in der Krise, da war schon Stilllegung, Verkauf, Treuhand usw. Wenn diese Häuser aus den 1920er-Jahren wären oder aus dem 19. Jahrhundert, hätten sie es leichter."
Lotte Hansen, die ehemalige Lehrerin, erinnert sich: "Das war sehr traurig, das war ganz schlimm. Da war ja jedes Wochenende Disko, und da haben die das ganze Kulturhaus innen verändert, haben dann Sand gestreut aufs Parkett und Strandkörbe hingestellt, dieser Orchesterraum wurde zugenagelt, sodass die Bühne noch größer war. Dann war der abgehauen mit seiner ganzen Diskosache und hat das Kulturhaus hinterlassen, als ob eine Bombe eingeschlagen hat. Es hat sich auch keiner gekümmert und sich verantwortlich gefühlt, unser neuer Bürgermeister auch nicht, das war ja für alle ein Anhängsel jetzt. Und das hatte geschneit und geregnet, durch die Fenster und der Fußboden war so hoch, dann haben wir erstmal Schnee geschaufelt, raus geschaufelt aus den Fenstern."
Der kleine Saal ist derzeit der einzige beheizbare Raum im Kulturhaus.© Deutschlandradio / Ulrike Sebert
"Dann gehen wir jetzt vom Foyer in den kleinen Saal, auch Gummisaal genannt", führt Torsten Cord weiter durch die Räume.
"Der hat eine Kapazität bis zu 200 Personen, die hier unterkommen können. Dieser Saal ist zurzeit als einzige Räumlichkeit im Kulturhaus beheizbar. Dieser Saal war auch komplett schwarz gestrichen, so hat die Gemeinde 1995 das Kulturhaus übernommen. Was interessant ist, dass in diesem Saal ein Bleiglasfenster besteht mit Motiven des Landlebens. Dieses Fenster ist leider etwas beschädigt, wir gehen davon aus, dass wir in den nächsten Jahren auch dieses Fenster wiederherstellen können in seiner Vollständigkeit. Hier finden regelmäßig Veranstaltungen statt, dieser Saal wird aber auch genutzt, wenn im größeren Rahmen Veranstaltungen stattfinden, dass hier die Gastronomie gewährleistet werden kann."
Architektonische Perlen und neoklassizistische Monumentalität
"Die schlossartigen Kulturpaläste sind mal beeindruckend, mal sehen sie brutal steinern aus. Ich spreche immer von den ruhmreichen Sieben. Es gibt sieben klassische Häuser wie Bitterfeld oder Rathenow oder draußen in Seelow, die von der Bauakademie total ausgefeilte Schönheiten sind", erklärt Kunsthistorikerin Simone Hain.
"Man kann da hinfahren und hat eine Freude. Unterwellenborn ist das weltweit schönste aller Kulturhäuser. Da ist das Abendlicht, da stimmt die Landschaft, da sollte rundherum ein großer Park nach Vorbild von Versailles organisiert werden, also ein Arbeiterschloss. Das ist in Unterwellenborn am ausgeprägtesten. Das ist ein Putzbau, der ist farbig gefasst. Das ist praktisch ein als Muster für die anderen Orte entwickeltes Haus aus der Bauakademie. Alle Kompetenz, die man architektonisch haben konnte, ist in dieses Haus geflossen. Und dann sind da ein paar Häuser, die sich nicht allzu so sehr von traditioneller neoklassizistischer Monumentalität unterscheiden. Hätten auch Nazihäuser sein können."
Die Geschichte der Kulturhäuser beginnt im frühen 19. Jahrhundert mit der industriellen Revolution in England. Mit sogenannten "Mechanic Institutes" als Bildungsanstalten und "workmen’s clubs" als Debattier- und Leseeinrichtungen. Nach Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890 entstanden in Deutschland erste Volkshäuser. Besonders in der Weimarer Republik erstarkte die Volks- und Gewerkschaftshausbewegung. 1931 zählte man 175 dieser Häuser. Eine Idee, um Arbeitern, neben politischen Veranstaltungen, auch Zugang zu Bildung und Kreativität zu schaffen, aber auch einen Ort für Geselligkeit und Gemeinschaft.
Mit Entstehung der DDR wurden diese Ideen flächendeckend in den 2500 Kulturhäusern wieder aufgegriffen, mit vielfältiger Zirkelarbeit, Hochkultur und Unterhaltung. Weitgehend staatlich kontrolliert und daher häufig auch ideologiebelastet. Nach der politischen Wende 1989 packte man Lenin, Marx und Engels in die Keller. Viele der Häuser sind heute zerfallen, abgerissen oder umgewidmet.
Kulturhaus Arnstadt, Thüringen: 2012 abgerissen, durch Wohn-, und Büroneubau ersetzt.
Kulturhaus Eisenhüttenstadt, Brandenburg: 2010 saniert, in Betrieb.
Kulturhaus Zinnowitz-Usedom: viele Jahre ruinös, Umbau zu Luxuswohnungen, 2021 abgeschlossen.
Kulturhaus Dresden Hellerau, Sachsen: saniertes Denkmal - seit 2009 ganzjährig bespielt.
Klubhaus Buna Schkopau X50, Sachsen-Anhalt: Investruine und Lost Place.
Kulturhaus Hans Marchwitza am Alten Markt in Potsdam. Heute Stadtmuseum.
Kulturhaus Völkerfreundschaft Frankfurt (Oder), Brandenburg: Denkmal, ruinös.
Haus der Kultur Gera Thüringen: in Betrieb.
Kulturhaus "Ernst Schneller" Niederschöneweide, Berlin: 2018 abgerissen.
Der Kampf um das Kulturhaus Unterwellenborn
"Unterwellenborn ist aktuell und überhaupt die ganze Entwicklung in einer Nussschale. Das Haus ist von der Treuhand verkauft worden", sagt die Kunsthistorikerin Simone Hain.
"Das ist als Haus der Maxhütte Unterwellenborn, des einzigen verbliebenen, nicht kriegsdemontierten Stahlbetriebs im Osten gebaut worden. Es hat auch die ganze DDR-Zeit über als das Kulturhaus aller Stahlwerker funktioniert. Es ist eines von vielen, das heute noch immer keinen neuen Anfang hat. Nach 30 Jahren Wiedervereinigung sitzt da immer noch ein spekulativer Eigentümer und erwartet jetzt einen zehnfachen Verkaufserlös, wenn es darum geht, es wieder zu beleben, es zu reparieren, in letzter Minute zu retten – der Verfall ist weit fortgeschritten.
Es gibt eine Unterwellenborner Initiative, sieben, acht Dörfer, die sich um dieses Haus herum sozialisiert haben. Passen auf das Haus seit Langem auf, gehen Kontrolle, reparieren, sie bespielen das Haus, es sind große Auftritte vor und in dem Haus gewesen, bis der Eigentümer es ihnen erst kürzlich untersagt hat. Lange Zeit lief das im Einvernehmen, der Eigentümer hat das mit Wohlwollen betrachtet, jetzt spitzen sich die Kämpfe zu. Das Wasser rauscht bei Starkregen vom Dach bis in den Keller durch. Und es muss was gemacht werden."
Es stehe alles auf Hacke und Spitze, so Hain weiter. "Auch weil der Verein dort vor Ort so toll gearbeitet hat, dass sie ganz Thüringen inzwischen als Unterstützung haben, bis in die Staatskanzlei, die Denkmalpflege. Und es ist ein Bedarf vorhanden. Diese Thüringer Dörfer brauchen etwas in dieser Art, das ist nach 30 Jahren absehbar, diese Häuser haben keine Nachfolgerinstitution gefunden, und es gibt auch nicht in irgendeiner Weise etwas, was ihren ursprünglichen Zweck erfüllen würde. Der Schrei nach einem Haus, das Gemeinschaft stiftet, ist groß. Und jetzt kommt so etwas wie eine gut sortierte Gesellschaft der ehemaligen Ingenieure, der Betriebsleiter, der Produktionsarbeiter, die am Gartenzaun stehen und das Haus vor Augen haben und die sagen, das kann nicht wahr sein, ich kann hier nicht länger zusehen."
"Die Kulturfabrik Hoyerswerda macht zwischen Chemnitz und Berlin spannendste Kultur in Ostdeutschland und nach diesem Beispiel funktionieren andere Häuser, vorbildlich das AMO in Magdeburg, das Kulturhaus in Rathenow fürs Feste Havelland, die sind alle untereinander noch im Verbund", so Kunsthistorikerin Simone Hain.
Manche DDR-Kulturhäuser könnten auch "Nazi-Häuser" sein, andere dagegen seien architektonische Perlen, findet die Kunsthistorikerin Simone Hain.© Deutschlandradio / Ulrike Sebert
"Es gibt eine Initiative von Peer Wilhelm, einige Häuser zu retten. Er hat Kulturwissenschaften studiert, macht das jetzt als Manager, vor allem juristisch. Zum Beispiel das Kulturhaus in seinem Heimatort Plessa hat er gerettet, mit Unterstützung von Ludwig Güttler. Er holt sich die Honoratioren, die es so gibt. Er hat eines gerettet und hat gedacht, da geht mehr und versucht, einen Verbund zu schaffen, dass diese Häuser in einer Stiftung erfasst sind, dass sie zusammenarbeiten, dass sie Produktionen miteinander austauschen und in einer Form kooperieren, dass sie sich gegenseitig stützen."
"Das Haus war zweite Heimat"
Zurück in Mestlin, Mecklenburg-Vorpommern.
"Wir haben Veranstaltungen für Kinder organisiert. Wir haben, was leider nicht lange getragen hat, für die ältere Bevölkerung Tanztees organisiert. Wir haben Veranstaltungen, die wir einkaufen und die sich dann angeschaut werden. Wir haben eine Theater-Jugendgruppe gehabt", sagt Susanne Reichard. "Wir haben im letzten Jahr ein sehr spannendes Format gestartet, mit vielen verschiedenen Künstlern, verschiedenen Richtungen und Laien zu arbeiten, das Haus zu öffnen für viele Wochen. Es gibt einen wunderbaren Markt Hinterland, immer vor Weihnachten, der für drei Tage das Haus öffnet, wo viele Kunstgewerbekünstler ausstellen und verkaufen. Wir haben verschiedene Konzertformate für junge Menschen, halbjunge Menschen, für ältere Menschen."
Das Angebot werde angenommen, bestätigt die Mestlinerin Lotte Hansen. "Aber natürlich nicht mehr wie früher. Die Alten gehen nicht mehr, ach, die schönen Zeiten, was haben wir da gefeiert, die nehmen das nicht mehr so an, und die Jüngeren oder Mittelaltrigen, die finden keine Bindung zu dem Haus. Während für uns das Haus zweite Heimat war."
Zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler, nicht nur aus Mecklenburg-Vorpommern, zeigen in drei verschiedenen Ausstellungsreihen pro Jahr in allen Räumen des Kulturhauses interessante Kunstpositionen. In Mestlin gastieren die Musikfestspiele des Landes. Aber auch die plattdeutsche Sendung "De Plappermoehl" vom NDR wurde 2018 hier aufgezeichnet. Da saß auch die 80-jährige Lotte Hansen mit auf der Bühne und der große Saal war übervoll. Wie früher, sagt sie.
"Jetzt bewegt sich alles in einem Themenraum von weitaus weniger Bevölkerung, die viel, viel mobiler ist, die ganz viele Interessen entwickelt hat und ganz viele Möglichkeiten, ihre Freizeit zu gestalten", stellt Peter Enterlein fest. Folgerichtig sind weitaus weniger Besucher und Zuschauer aus der Region, aus der Gemeinde verfügbar, als das noch vor 30 Jahren der Fall war. Für die Veranstaltungen, die wir von uns aus für die Gemeinde, für die Region machen, ist es gut besucht, aber es hilft bei weitem nicht, die Zuschauerzahlen zu erreichen, die vor Jahren mal da gewesen sind. Dazu brauchen wir eine überregionale Ausstrahlung, das ist in unserem Ansatz, ein überregionales Publikum, im Sommer auch gern, was sich im Transitverkehr in den Urlaub findet, die holen wir mit Themen her, die für die regionalen Anwohner nicht so interessant und spannend sind. Das ist ein Konflikt, aber es ist wichtig für uns, dass beides möglich ist, dass beides angenommen wird."
Lotte Hansen trauert ein wenig den Zeiten hinterher, als im Kulturhaus noch das pralle Leben herrschte.© Deutschlandradio / Ulrike Sebert
Identitätsstiftende Orte in der DDR
Kulturhäuser der DDR - wie viele davon noch existieren, ist nicht endgültig erforscht. Sie dienten der kulturpolitischen Machterhaltung der SED, waren aber mindestens ebenso sehr identitätsstiftende Orte der Gemeinschaft. Dort, wo sie nicht mehr existieren, vorwiegend in den ländlichen Räumen oder an der Peripherie der Großstädte, haben sie eine Leere hinterlassen. Ganze Landstriche sind in ihrer kommunalen, auch kulturellen Struktur verödet. Initiativen zur Rettung oder Wiederbelebung der Häuser sind oft gescheitert. Jetzt, dreißig Jahre später, erleben einige Häuser eine Wiederentdeckung. Welche Bedeutung sie architektonisch, historisch, kulturell hatten, rückt langsam ins Bewusstsein. Öffentliche Gelder sichern den Bestand und unterstützen kulturelle Nutzungskonzepte.
Beispiel Bitterfeld: Der denkmalgeschützte Kulturpalast in Bitterfeld war lange vom Abriss bedroht. Eine Veranstaltungsfirma aus der Region hat ihn mit großen Visionen und finanziellen Mitteln des Bundes 2020 übernommen. Hier soll ein zeitgemäßer Veranstaltungsort entstehen. Eine Institution aus der DDR-Zeit soll mit neuem Leben gefüllt werden.
Mitwirkende
Es sprachen: Nina West, Frank Robert und Birgitt Dölling
Ton: Hermann Leppich
Regie: Stefanie Lazai
Redaktion: Winfried Sträter