Debatte um "Erklärung 2018"

Was verrät der Beruf über die politische Haltung?

Gezeichnete Fäuste recken vor rotem Hintergrund Stethoskop, Stift und Richterhammer in die Höhe
Ärzte, Lehrer, Richter - die Eliten des Landes stehen auf. Ob nun mit der Erklärung 2018 - oder mit der Antwort darauf. © imago stock&people/Eva Bee
Von Martin Tschechne |
Plötzlich stehen sich zwei bürgerliche Lager gegenüber: Die Unterzeichner der "Erklärung 2018" kritisieren Merkels Flüchtlingspolitik. Die Unterzeichner der "Antwort 2018" wiederum distanzieren sich von der "Erklärung 2018" - zwei Eliten im Vergleich.
Zoologe und Rechtsanwältin, Klavierpädagogin, Diplom-Designer und Kirchenmusikdirektor – die Elite hat sich zu ihrer politischen Verantwortung bekannt. Und das ist gut so. Denn lange hatten Parteien und das Feuilleton darüber geklagt, dass die geistige und – ihrem eigenen Selbstverständnis nach – ja auch moralische Elite sich von den Problemen der Gemeinschaft abgewandt und in ein bequemes Privatleben zurückgezogen habe.
Privatier übrigens ist auch ein Zeitvertreib, der auf einer der Listen "Gemeinsame Erklärung 2018" und "Antwort 2018" als Beruf genannt wird. Ebenso wie Feministin, Altruist oder Menschenrechtsaktivistin. Als Beruf! Aber Bäcker und Landwirt sind auch dabei, Blasmusiker und Betriebswirt, Taxifahrer, Maler oder Gynäkologin, dazu jede Menge a.D. oder i.R., "außer Diensten" oder "im Ruhestand" und schnell bietet sich ein heiteres Beruferaten als kleines Gesellschaftsspiel an.
Aber nicht in der bekannten Form: Sage mir, wer du bist, und ich sage dir, welchen Beruf du ausübst. Sondern umgekehrt: Sage mir, unter welcher Berufsbezeichnung du auftrittst, und ich ahne schon, welcher politischen Linie du folgst.

Eliten im Vergleich

Um diese Erkenntnis vorwegzunehmen: Wer hinter einer politischen Überzeugung nach den wahren Motiven stöbert, der wird Enttäuschungen erleben.
Also: Statistik. Auf der eher bürgerlich-rechten Liste der "Erklärung 2018" sind das – eine Art Gag der Initiatoren – genau 2018 Positionen. Weitere Bekenntnisse werden in den sozialen Medien eingesammelt und dem Bundestag vorgelegt, um dort die Sorge der Unterzeichner vor Masseneinwanderung zu debattieren. Ihre Anzahl liegt bei derzeit knapp 150.000.
Auf der Gegenliste haben sich bislang mehr als 5000 Bekenner versammelt, um Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen. Zumindest aber, um die nationalkonservative Position der anderen Seite nicht unwidersprochen zu lassen. Zu vergleichen sind also die Teilmenge von 2018 Vertretern der einen, der eher rechten Elite gegenüber 5000 plus bei den anderen. Die Funktion "Suche und Finde" auf dem Computer ist da sehr hilfreich.

Der Konservatismus der Doktoren

Der Name Müller etwa findet sich 26-mal auf der einen gegenüber 61-mal auf der anderen Liste: Das deutet an, dass beide in etwa gleichem Maße auf dem Boden einer deutschen Normalität stehen. Zweieinhalbmal so viele Müllers auf einer zweieinhalbmal so langen Liste – die Statistik ist also in Ordnung.
Aber 634 Doktoren auf der kürzeren gegenüber nur 615 auf der deutlich längeren Liste – das lässt aufmerken: Ist also die eher konservative Seite zugleich auch die gelehrtere? Oder macht ein Doktortitel erst konservativ, weil es mehr Status quo zu verteidigen gibt? 135 der Doktoren hier weisen sich als Dr. med. aus, also als Mediziner – auf der Liste der, sagen wir mal: integrationsoffenen Bürger findet sich das Kürzel Dr. med. nur 19-mal. Sehr viele Ärzte sorgen sich also um das Erreichte.

Was ist eine Elite?

Und so fort durch die Berufsgruppen. Unternehmer: Auf welcher Seite stehen wohl 59 von ihnen, auf welcher trotz größerer Grundmenge nur 20? Ebenso die Architekten, Künstler, Journalisten, Handwerksmeister, Lehrer. Wo versammeln sich die Autoren, Designer, Philosophen, auf welcher Liste findet sich das Berufsfeld Literatur, zum Beispiel als Kritiker oder Literaturagent, 97-, auf welcher ganze elfmal?
Und was ist überhaupt eine Elite? Sind es jene, die haben und diesen Zustand bewahren wollen? Oder jene, die erkennen? Zum Beispiel, dass hinter dem Wort "Masseneinwanderung" eine organisierte Verunsicherung steckt, und dass Veränderung eine Tatsache ist – aber eine, die man klug gestalten sollte.

Martin Tschechne ist promovierter Psychologe, arbeitet als Journalist und lebt in Hamburg. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie DGPs zeichnete ihn 2012 mit ihrem Preis für Wissenschaftspublizistik aus. Zuvor erschien seine Biografie des Begabungsforschers William Stern (Verlag Ellert & Richter, 2010).

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