Deniz Yücel: Wir sind ja nicht zum Spaß hier
Reportagen, Satiren und andere Gebrauchstexte
Edition Nautilus, Hamburg 2018
Broschur, illustriert; 224 Seiten, 16 Euro
Prominente Autoren zeigen eine Türkei im freien Fall
Deniz Yücel und Doğan Akhanli haben Bücher der Unruhe geschrieben. Thema: die Türkei. Während Yücel den türkischen Staatspräsidenten Erdogan als "Gangster" bezeichnet, sieht Akhanli "Merkmale typischer faschistischer Diktatoren". Es lohne sich, beide Bücher zu lesen, meint unser Kritiker.
Da Notizblöcke im Gefängnis Silivri verboten sind, musste eine türkische Ausgabe von "Der kleine Prinz" dran glauben. Der seit Februar 2017 inhaftierte Deniz Yücel hat die Seiten herausgerissen, die weißen Ränder mit einem stibitzten Stift beschrieben und sie mit der Wäsche herausschmuggeln lassen. Aus den losen Blättern wurden nun die letzten 30 Druckseiten von "Wir sind ja nicht zum Spaß hier".
Und deren zentrale Botschaft lautet trotz aller Unbill der Haft: "Mir geht es ganz gut." Von Angst jedenfalls lässt sich Yücel nicht fesseln. Er beschimpft den türkischen Staatspräsidenten Erdogan und dessen Leute als "Gangster" – "dem Charakter nach halb Teppichhändler aus Kayseri, halb Istanbuler Parkplatzmafia." Das sind im Vorblick auf Yücels Prozess heikle Worte. Erst jüngst hat Erdogan verlautbart, dass er kritische Publizisten für "Gärtner" des Terrorismus hält, die durch ihre Kolumnen den Terror "bewässern". Yücels Attacken werden seine Meinung nicht ändern.
Aber Yücel schätzt nun einmal Klartext, kraftvollen Stil und Sarkasmus. Das zeigen Artikel aus TAZ, WELT und JUNGLE WORLD, die den Hauptteil des Buches ausmachen. Am wichtigsten im aktuellen Kontext: das Interview mit dem Vizechef der PKK und "Der Putschist", eine Geschichte über die Folgen von Erdogans Machtausbau nach dem Putschversuch 2016.
Wegen dieser Artikel wurde Yücel inhaftiert. In beiden erscheint die Türkei von Gewalt zerrissen, niedergedrückt von Erdogans Größenwahn und sehr weit entfernt von den Standards moderner Rechtsstaatlichkeit. Viele sonstige "Gebrauchstexte" (so der Untertitel) würde man ohne Yücels Gefangenschaft kaum noch einmal lesen. Doch nun ist er eine Person der Zeitgeschichte in bedrückender Lage – und dank der Texte kommt man ihr näher.
Akhanli hat bereits dreimal in türkischen Gefängnissen gesessen
Doğan Akhanlis nächtliche Festnahme in Granada am 19. August 2017 verlief vergleichsweise glimpflich. Die Türkei, die den deutschen Schriftsteller türkischer Herkunft wegen der angeblichen Beteiligung an einem Raubüberfall 1989 bei Interpol zur Fahndung ausgeschrieben hatte, konnte keine Auslieferung erwirken. Nach wenigen Tagen kam Akhanli frei, musste allerdings wochenlang in Spanien bleiben.
In Verhaftung in Granada schildert Akhanli die Einzelheiten und verbindet sie mit einer fragmentarischen Autobiographie. Der ehemalige Kommunist hat bereits dreimal – 1975, 1985-87 und 2010 – in türkischen Gefängnissen gesessen. Sein Bild der modernen Türkei ist noch düsterer als Yücels. Erdogan zeigt für ihn "Merkmale typischer faschistischer Diktatoren".
Stets läuft die politische Zeitgeschichte mit
In puncto Erzählweise und Sprache ("Die Straßen dunsteten nach Einsamkeit") gleicht Akhanlis Buch über weite Strecken einem Roman. Bildungsfrohe Verweise auf berühmte Bücher und Filme durchziehen den Text; stets läuft die politische Zeitgeschichte mit, bis sich Akhanli schließlich in der unzählbaren Schar erwähnenswerter Verwandter, Freunde und Bekannter zu verlieren droht.
Wie Yücel besitzt auch Akhanli Humor, führt aber die feinere Feder. Beide Autoren verfestigen den Eindruck, dass sich die Türkei in freiem Fall befindet, und über Deutschland erfährt man auch nicht nur Gutes. Beide haben Bücher der Unruhe geschrieben. Es lohnt sich, sie gemeinsam zu lesen.
Doğan Akhanli: Verhaftung in Granada oder Treibt die Türkei in die Diktatur?
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018
Broschur, illustriert; 224 Seiten, 9,90 Euro