Missbrauch internationaler Verträge
Der Grund für die Festnahme des Schriftstellers Doğan Akhanlı in Spanien dürfte dessen Beschäftigung mit dem türkischen Völkermord an den Armeniern sein, meint Kemal Hür. Dass der türkische Präsident Erdoğan inzwischen so weit gehe, Kritiker auch im europäischen Ausland zu verfolgen, sei ein Skandal.
Plötzlich waren die deutschen Politiker ungewöhnlich schnell und ungewöhnlich klar. Vermutlich ist es dem Wahlkampf zu verdanken, dass Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sowie die Vorsitzenden der SPD, Grünen und Linken sich sehr schnell für die Freilassung des Schriftstellers Doğan Akhanlı eingesetzt und seine Festnahme auf Betreiben der Türkei scharf verurteilt haben.
Doğan Akhanlı wurde am frühen Samstagmorgen von bewaffneten spanischen Polizisten aus seinem Hotelzimmer in seinem Urlaubsort Granada abgeführt.
Sonntagvormittag wurde er von einem Haftrichter in Madrid auf freien Fuß gesetzt, aber mit der Auflage, die Stadt nicht zu verlassen. Die Türkei hatte gegen den 60-jährigen Schriftsteller ein internationales Gesuch erlassen. Nun haben die Behörden des türkischen Despoten Erdoğan 40 Tage Zeit, ihr Gesuch zu begründen.
Auslieferungsverfahren läuft noch
Das Auslieferungsverfahren liegt zunächst in den Händen der spanischen Justiz. Sollte sie eine Auslieferung an die Türkei für zulässig halten, entscheidet letztlich die spanische Regierung.
Die Spanier hatten bereits Anfang August auf Betreiben der Türkei einen schwedischen Journalisten türkischer Herkunft festnehmen lassen: Hamza Yalçın schreibt von Schweden aus für ein linkes türkisches Nachrichtenportal. Ihm werfen türkische Behörden Präsidentenbeleidigung vor.
Die Festnahme von Doğan Akhanlı ist in mehrfacher Hinsicht absurd: Akhanlı ist ein preisgekrönter Friedensstifter. Er setzt sich für die Aussöhnung der Türken und Armenier ein, ist ein unermüdlicher Kämpfer für die Menschenrechte. Akhanlı ist deutscher Staatsbürger. Seine türkische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht mehr. In der Türkei wurde er nach dem Militärputsch von 1980 als Regimegegner für zwei Jahre in einem Militärgefängnis in Haft gehalten. 1991 kam er als politischer Flüchtling nach Deutschland.
Als er 2010 seinen sterbenskranken Vater in der Türkei besuchen wollte, wurde er bei der Einreise festgenommen. Ihm wurde die Beteiligung an einem Raubüberfall Ende der 80er Jahre vorgeworfen. Er wurde nach einer monatelangen Untersuchungshaft freigesprochen. Aber die Staatsanwaltschaft hob den Freispruch drei Jahre später wieder auf. Auf dieser Grundlage liegt in der Türkei ein Haftbefehl gegen Akhanlı vor. Damit ist mutmaßlich auch das internationale Gesuch begründet.
Ein Missbrauch internationaler Verträge
Der eigentliche Grund für die Schikane dürfte aber darin liegen, dass Doğan Akhanlı sich in seinen Büchern mit dem türkischen Völkermord an den Armeniern beschäftigt. Die Türkei erkennt den Genozid von 1915 nicht an und leugnet ihn bis heute. Dass das Ein-Mann-Regime von Erdoğan aber mittlerweile so weit geht, seine Kritiker auch im europäischen Ausland zu verfolgen ist ein Skandal und ein Missbrauch internationaler Verträge. Die Bundesregierung und die EU müssen dem türkischen Präsidenten ohne diplomatische Floskeln verständlich machen, dass er für sein unrechtsmäßiges Vorgehen nicht die europäischen Institutionen instrumentalisieren darf.
Es darf nicht zulässig sein, dass türkeikritische Journalisten und Schriftsteller in ihrem Urlaub Angst haben müssen, auf Befehl eines diktatorisch agierenden türkischen Politikers festgenommen zu werden. Erdoğans Verhalten gegenüber seinen Kritikern, aber auch aktuell gegenüber Deutschland zeigt eines: Der Despot hat jegliche Grenzen des Anstands und des zivilisierten Verhaltens entweder vergessen, oder er hat sie nie gelernt. Im Gebaren eines Barbaren schlägt er verbal um sich mit dem Ziel, das Ausland zum Feindbild aufzubauen und seine Anhänger stärker an sich zu binden. Die EU, die Bundesregierung und die deutschen Parteien müssen sich für die Freilassung des Schriftstellers Doğan Akhanlı einsetzen und dem machthungrigen Egozentriker Erdoğan ein für allemal seine Grenzen aufzeigen – nicht nur im Wahlkampf.