Der letzte Zufluchtsort
Professor Volker Sommer ist einer der führenden Primatenforscher unserer Zeit. In seinem Buch "Schimpansenland" räumt er mit dem gängigen Bild des Tierforschers im Urwald auf und berichtet vom mühseligen Unterfangen, den Lebensraum unserer nächsten Verwandten zu schützen.
Wer nie in Afrika war - mit Volker Sommers neuem Buch "Schimpansenland" lässt sich dorthin reisen, spannend und hautnah. Der Primatenforscher mit Lehrstuhl in London erzählt in der Tradition der großen Forschungsliteratur der vergangenen Jahrhunderte von seinem Eintauchen in den dunklen Kontinent, samt lebensbedrohlichen Abenteuern, heiß ersehnten Erfolgen, grandiosem Scheitern und vielen kulturellen Missverständnissen.
Im Südosten Nigerias liegt der Gashaka-Gumti Nationalpark, gegründet in den 1980er Jahren und mit 6000 Quadratkilometern so groß wie Schleswig-Holstein. Das Gelände ist von einer fast 2500 Meter hohen Hochebene geprägt, die sich entlang der Grenze Kameruns erstreckt und fern jeder Zivilisation liegt. Hier wurde vor kurzem die vierte und seltenste Unterart von Schimpansen entdeckt. In seinem Buch erzählt Volker Sommer davon, wie er in der entlegenen Wildnis eine Forschungsstation errichtet und sich gemeinsam mit Studenten und Institutionen vor Ort um den Schutz der Tiere kümmert.
Um es gleich vorweg zu sagen: Schimpansen bekommt man selten zu Gesicht, das gilt für die Wissenschaftler vor Ort wie für die Leser von "Schimpansenland". Mindestens zehn Jahre brauchen Verhaltensforscher dafür, Primaten an ihre Gegenwart zu gewöhnen. Bis dahin hangeln die Tiere blitzschnell davon, wenn Menschen ihnen nahe kommen. Sommers Buch wartet nicht mit rührenden Tiergeschichten auf, auf einer Handvoll Farbfotos sieht man vorwiegend Kollegen bei der Arbeit. In seinem Report beschreibt Sommer, wie Forschungsarbeit wirklich funktioniert. Während sich die Affen verborgen halten, gelangen die Forscher auf indirektem Wege zu ihren Erkenntnissen - sofern man das monatelange Einsammeln, Trocknen und Auseinandernehmen von Kothaufen als "indirekt" bezeichnen möchte. Doktorand Andrew Fowler ist für diese geruchsintensive Arbeit zuständig. Erstaunlich, was Sommer und er aus den fäkalen Hinterlassenschaften der Tiere alles herauslesen - Nahrungsspektrum, Nutzung von Heilpflanzen, Aktivitätszeitpunkte, Hormonkurven, Paarungs- und Sozialverhalten. Eine zweite wichtige Quelle für die Forscher sind die Schlafnester der Tiere: Wie aufwendig wurden sie zubereitet, wie eng oder fern stehen sie beieinander, welchen Blick bevorzugen die Tiere, welche Baumarten meiden sie - alles das lässt sich ermitteln und interpretieren. Im Detail präsentiert Sommer seine Überlegungen und Berechnungen, bis hin zu einigen Formeln und Zahlen - und wir haben die Freude, live dabei zu sein, wenn die Forscher logisch denken, ihre Folgerungen kritisch hinterfragen und es sich schwer machen, Ergebnisse zu formulieren.
Land und Leute sorgen für weitere Hindernisse, mit viel Ironie präsentiert Sommer die tragikomische Seite seiner afrikanischen Odyssee - von schmerzhaft beißenden Wanderameisen bis zu Insektenwolken im Essensteller, von salmonellenverseuchten Geckos bis zu zerquetschten Fröschen im Gummistiefel. Der Chef des Nationalparks veruntreut wichtige Gelder, afrikanische Mitarbeiter setzen ihren Lohn in umweltschädlich knatternde Mopeds um, der 35-jährige englische Doktorand verliebt sich in ein 14-jähriges Dorfmädchen und trifft Hochzeitsvorkehrungen, der Koch zeigt sich außerstande, halluzinogene Pflanzen von der Speisekarte zu streichen, die Menschen in den nahen Dörfern sterben an ansteckenden Krankheiten, weil sie den Fluss als Toilette benutzen, aus dem sie trinken - monatelang bemüht sich Volker Sommer darum, dieses Verhalten zu ändern, bis er frustriert die Segel streicht. Gott habe es so gewollt, sagen Muslime wie Christen und leben weiter wie gehabt. Auf ihren T-Shirts prangen in trautem Nebeneinander starke Männer, Hoffnungsträger - Jesus, Stalin, Osama Bin Laden.
Und irgendwo oben in den Wäldern kämpfen unsere haarigen Verwandten um ihr Überleben - nicht Vettern, sagt Volker Sommer: Brüder und Schwestern. Nähmen wir die Analysen der Genetiker ernst, so müssten wir uns als Affen bezeichnen oder sie als Menschen. Ihr Lebensraum schrumpft, von allen Seiten dringen Jäger und Holzfäller in den Nationalpark ein. Schimpansenkadaver bringen als "Buschfleisch" Geld der reichen Eliten. In den letzten zwei Jahrzehnten wurden die großen Primaten fast ganz ausgerottet. Volker Sommer weiß, dass er gegen Windmühlenflügel kämpft. Alles was von Afrika einstiger Wildnis bleiben wird, sind ausgedehnte, streng bewachte Parks, wo - vielleicht - einige Gruppen von Primaten ihre letzte Zuflucht finden werden.
Rezensiert von Susanne Billig
Volker Sommer: Schimpansenland
C.H. Beck
251 Seiten, 19,90 Euro
Im Südosten Nigerias liegt der Gashaka-Gumti Nationalpark, gegründet in den 1980er Jahren und mit 6000 Quadratkilometern so groß wie Schleswig-Holstein. Das Gelände ist von einer fast 2500 Meter hohen Hochebene geprägt, die sich entlang der Grenze Kameruns erstreckt und fern jeder Zivilisation liegt. Hier wurde vor kurzem die vierte und seltenste Unterart von Schimpansen entdeckt. In seinem Buch erzählt Volker Sommer davon, wie er in der entlegenen Wildnis eine Forschungsstation errichtet und sich gemeinsam mit Studenten und Institutionen vor Ort um den Schutz der Tiere kümmert.
Um es gleich vorweg zu sagen: Schimpansen bekommt man selten zu Gesicht, das gilt für die Wissenschaftler vor Ort wie für die Leser von "Schimpansenland". Mindestens zehn Jahre brauchen Verhaltensforscher dafür, Primaten an ihre Gegenwart zu gewöhnen. Bis dahin hangeln die Tiere blitzschnell davon, wenn Menschen ihnen nahe kommen. Sommers Buch wartet nicht mit rührenden Tiergeschichten auf, auf einer Handvoll Farbfotos sieht man vorwiegend Kollegen bei der Arbeit. In seinem Report beschreibt Sommer, wie Forschungsarbeit wirklich funktioniert. Während sich die Affen verborgen halten, gelangen die Forscher auf indirektem Wege zu ihren Erkenntnissen - sofern man das monatelange Einsammeln, Trocknen und Auseinandernehmen von Kothaufen als "indirekt" bezeichnen möchte. Doktorand Andrew Fowler ist für diese geruchsintensive Arbeit zuständig. Erstaunlich, was Sommer und er aus den fäkalen Hinterlassenschaften der Tiere alles herauslesen - Nahrungsspektrum, Nutzung von Heilpflanzen, Aktivitätszeitpunkte, Hormonkurven, Paarungs- und Sozialverhalten. Eine zweite wichtige Quelle für die Forscher sind die Schlafnester der Tiere: Wie aufwendig wurden sie zubereitet, wie eng oder fern stehen sie beieinander, welchen Blick bevorzugen die Tiere, welche Baumarten meiden sie - alles das lässt sich ermitteln und interpretieren. Im Detail präsentiert Sommer seine Überlegungen und Berechnungen, bis hin zu einigen Formeln und Zahlen - und wir haben die Freude, live dabei zu sein, wenn die Forscher logisch denken, ihre Folgerungen kritisch hinterfragen und es sich schwer machen, Ergebnisse zu formulieren.
Land und Leute sorgen für weitere Hindernisse, mit viel Ironie präsentiert Sommer die tragikomische Seite seiner afrikanischen Odyssee - von schmerzhaft beißenden Wanderameisen bis zu Insektenwolken im Essensteller, von salmonellenverseuchten Geckos bis zu zerquetschten Fröschen im Gummistiefel. Der Chef des Nationalparks veruntreut wichtige Gelder, afrikanische Mitarbeiter setzen ihren Lohn in umweltschädlich knatternde Mopeds um, der 35-jährige englische Doktorand verliebt sich in ein 14-jähriges Dorfmädchen und trifft Hochzeitsvorkehrungen, der Koch zeigt sich außerstande, halluzinogene Pflanzen von der Speisekarte zu streichen, die Menschen in den nahen Dörfern sterben an ansteckenden Krankheiten, weil sie den Fluss als Toilette benutzen, aus dem sie trinken - monatelang bemüht sich Volker Sommer darum, dieses Verhalten zu ändern, bis er frustriert die Segel streicht. Gott habe es so gewollt, sagen Muslime wie Christen und leben weiter wie gehabt. Auf ihren T-Shirts prangen in trautem Nebeneinander starke Männer, Hoffnungsträger - Jesus, Stalin, Osama Bin Laden.
Und irgendwo oben in den Wäldern kämpfen unsere haarigen Verwandten um ihr Überleben - nicht Vettern, sagt Volker Sommer: Brüder und Schwestern. Nähmen wir die Analysen der Genetiker ernst, so müssten wir uns als Affen bezeichnen oder sie als Menschen. Ihr Lebensraum schrumpft, von allen Seiten dringen Jäger und Holzfäller in den Nationalpark ein. Schimpansenkadaver bringen als "Buschfleisch" Geld der reichen Eliten. In den letzten zwei Jahrzehnten wurden die großen Primaten fast ganz ausgerottet. Volker Sommer weiß, dass er gegen Windmühlenflügel kämpft. Alles was von Afrika einstiger Wildnis bleiben wird, sind ausgedehnte, streng bewachte Parks, wo - vielleicht - einige Gruppen von Primaten ihre letzte Zuflucht finden werden.
Rezensiert von Susanne Billig
Volker Sommer: Schimpansenland
C.H. Beck
251 Seiten, 19,90 Euro