Der Rausch des Abzählens von Geld
Frank Castorf hat sich eines Stücks aus den 20er-Jahren über die Auswirkung der Inflation in Berlin von Walter Mehring angenommen. Sophie Rois spielt die Hauptrolle des Juden Kaftan, dessen Ruin die Stabilisierung der Währung bringt.
Es ist die Geschichte des Ostjuden Kaftan, der von Lemberg kommt, um mit 100 Dollar "ganz Berlin aufzukoifen". Auf seinem Weg vom Bahnhof ins Zentrum begegnet er allerlei Strandgut der Inflation – zuletzt dem rechtsradikalen Rechtsanwalt Müller, der ihm zunächst bei seinem geschäftlichen Aufstieg behilflich ist, ihn dann aber in einen Putsch der Potsdamer Generalität verwickelt.
Das Ende der Inflation, das mit der Stabilisierung der Währung beginnt, bringt Kaftan den Ruin. Er wird steckbrieflich als Betrüger gesucht und begegnet am Ende seinem alter ego, einem zweiten Kaftan, der gekommen ist, die von Kaftan verbrauchten 100 Dollar nach Lemberg zurückzubringen. Stück und Uraufführungsinszenierung von Piscator im Jahre 1929 haben in vielfacher Hinsicht mit der Volksbühne und der gleichnamigen Besucherorganisation, die ihren 120. Geburtstag feiert, zu tun.
Da ist einmal der Schauplatz des dramatischen Geschehens, den der Erzähler als "Volksbühne am Bülowplatz, in Nachbarschaft von Scheunenviertel und Grenadierstraße, an der Grenzlinie von Galizien und der Metropole, bezeichnet. Dieser Ort wird zum Zufluchtsort von Kaftan und zum Ort seiner Auseinandersetzungen mit dem Rabbi.
Die Uraufführung dauerte fünf Stunden, Castorf belässt es überraschenderweise mit vier. Zunächst folgt er auch vergleichsweise genau dem von Mehring vorgezeichneten Handlungsverlauf. Verknappungen und Akzentuierungen entstehen durch Zusammenlegungen von Szenensplittern. In der Szene vor dem Bäckerladen begegnet der hungernde Kaftan all den Nutten, Schiebern, Wucherern und Agitatoren, die bei Mehring seinen Weg bereits gekreuzt haben oder noch kreuzen werden. Bereits im Zugabteil trifft der Held auf die Gettobewohner, mit denen er erst später, in der Szene in der Grenadierstraße in Streit geraten wird.
Dann aber wird offenbar, warum als Autor des Unternehmens Mehring/Castorf angegeben werden. Als schwer identifizierbare Fremdkörper dringen allerlei politische Kampfschriften, Pamphlete und Absichtserklärungen ins Spiel. Deren Texte hat Castorf zu Dialogen oder Monologen geformt – der Sinn bleibt überwiegend im Dunkeln. Aus der Schrift des Ernst von Salomon "Die Geächteten" sind Textstellen entliehen, die zwei Geheimbündler in einen Disput darüber verwickeln, ob man den "Beelzebub Kapitalismus mit dem Teufel Marxismus austreiben" könne. Aus Carl Radecks Schrift "Schlageter", die einem Aussteiger aus Krieg und Gesetzbarkeit gewidmet ist, steigt ein kriegsmüder Rekrut heraus und wird gnadenlos liquidiert. Diese buntscheckigen und vielstimmigen Einblendungen sollen wahrscheinlich aufzeigen, welch ein gedankliches Chaos aus Weltkrieg und Inflation aufgestiegen ist.
Im zweiten Teil wird der textliche und inszenatorische Eigenanteil von Castorf immer größer. Wenn die Versammlung der "8 Gerechten von Potsdam", die bei Mehring unter Führung von Friedrich II. gegen das Weltjudentum zu Felde ziehen will, zu einem unverständlichen Mummenschanz im Drogenrausch und mit Homosex und Hitleranbetung mutiert, wenn sich die Figur der Kaftantochter Jessica verdoppelt und vom Bankier Cohn ermordet wird, wenn die Figuren vom Wirt und vom Potsdamer General zusammenfallen, da hat endgültig der Castorf der Spätphase die Oberhand gegen den Zeitchronisten Mehring gewonnen.
Schauspielerisch gibt es ein schmerzhaftes Leistungsgefälle. Der Eindruck vom allein gelassenen Schauspieler, der sich in undifferenziertes Dauerschreien rettet, verfestigt sich. Ausnahme Sophie Rois als Kaftan. Das ist ein clowneskes Stehaufmännchen. Mit artistischen Mitteln werden von ihr exemplarische Haltungen vorgeführt: der entfesselte Tanz um den Dollar, der Rausch des Abzählens der Geldscheine. Schauspielerischer Höhepunkt, wenn Kaftan sich zunächst der Finanzierung des Putsches widersetzen will, nach der Ankündigung der Rückkehr seiner Tochter Jessica durch den Rechtsanwalt Müller einknickt und sich in Glückseligkeit über das Wiedersehen badet. Da leuchtet für Momente die schauspielerische Brillanz früherer Castorf-Inszenierungen auf.
Homepage Volksbühne "Der Kaufmann von Berlin"
Das Ende der Inflation, das mit der Stabilisierung der Währung beginnt, bringt Kaftan den Ruin. Er wird steckbrieflich als Betrüger gesucht und begegnet am Ende seinem alter ego, einem zweiten Kaftan, der gekommen ist, die von Kaftan verbrauchten 100 Dollar nach Lemberg zurückzubringen. Stück und Uraufführungsinszenierung von Piscator im Jahre 1929 haben in vielfacher Hinsicht mit der Volksbühne und der gleichnamigen Besucherorganisation, die ihren 120. Geburtstag feiert, zu tun.
Da ist einmal der Schauplatz des dramatischen Geschehens, den der Erzähler als "Volksbühne am Bülowplatz, in Nachbarschaft von Scheunenviertel und Grenadierstraße, an der Grenzlinie von Galizien und der Metropole, bezeichnet. Dieser Ort wird zum Zufluchtsort von Kaftan und zum Ort seiner Auseinandersetzungen mit dem Rabbi.
Die Uraufführung dauerte fünf Stunden, Castorf belässt es überraschenderweise mit vier. Zunächst folgt er auch vergleichsweise genau dem von Mehring vorgezeichneten Handlungsverlauf. Verknappungen und Akzentuierungen entstehen durch Zusammenlegungen von Szenensplittern. In der Szene vor dem Bäckerladen begegnet der hungernde Kaftan all den Nutten, Schiebern, Wucherern und Agitatoren, die bei Mehring seinen Weg bereits gekreuzt haben oder noch kreuzen werden. Bereits im Zugabteil trifft der Held auf die Gettobewohner, mit denen er erst später, in der Szene in der Grenadierstraße in Streit geraten wird.
Dann aber wird offenbar, warum als Autor des Unternehmens Mehring/Castorf angegeben werden. Als schwer identifizierbare Fremdkörper dringen allerlei politische Kampfschriften, Pamphlete und Absichtserklärungen ins Spiel. Deren Texte hat Castorf zu Dialogen oder Monologen geformt – der Sinn bleibt überwiegend im Dunkeln. Aus der Schrift des Ernst von Salomon "Die Geächteten" sind Textstellen entliehen, die zwei Geheimbündler in einen Disput darüber verwickeln, ob man den "Beelzebub Kapitalismus mit dem Teufel Marxismus austreiben" könne. Aus Carl Radecks Schrift "Schlageter", die einem Aussteiger aus Krieg und Gesetzbarkeit gewidmet ist, steigt ein kriegsmüder Rekrut heraus und wird gnadenlos liquidiert. Diese buntscheckigen und vielstimmigen Einblendungen sollen wahrscheinlich aufzeigen, welch ein gedankliches Chaos aus Weltkrieg und Inflation aufgestiegen ist.
Im zweiten Teil wird der textliche und inszenatorische Eigenanteil von Castorf immer größer. Wenn die Versammlung der "8 Gerechten von Potsdam", die bei Mehring unter Führung von Friedrich II. gegen das Weltjudentum zu Felde ziehen will, zu einem unverständlichen Mummenschanz im Drogenrausch und mit Homosex und Hitleranbetung mutiert, wenn sich die Figur der Kaftantochter Jessica verdoppelt und vom Bankier Cohn ermordet wird, wenn die Figuren vom Wirt und vom Potsdamer General zusammenfallen, da hat endgültig der Castorf der Spätphase die Oberhand gegen den Zeitchronisten Mehring gewonnen.
Schauspielerisch gibt es ein schmerzhaftes Leistungsgefälle. Der Eindruck vom allein gelassenen Schauspieler, der sich in undifferenziertes Dauerschreien rettet, verfestigt sich. Ausnahme Sophie Rois als Kaftan. Das ist ein clowneskes Stehaufmännchen. Mit artistischen Mitteln werden von ihr exemplarische Haltungen vorgeführt: der entfesselte Tanz um den Dollar, der Rausch des Abzählens der Geldscheine. Schauspielerischer Höhepunkt, wenn Kaftan sich zunächst der Finanzierung des Putsches widersetzen will, nach der Ankündigung der Rückkehr seiner Tochter Jessica durch den Rechtsanwalt Müller einknickt und sich in Glückseligkeit über das Wiedersehen badet. Da leuchtet für Momente die schauspielerische Brillanz früherer Castorf-Inszenierungen auf.
Homepage Volksbühne "Der Kaufmann von Berlin"