"Wir sind das Sprech-Denk-Theater"
Selten wurde über einen designierten Theaterintendanten so heftig diskutiert wie über Chris Dercon, der im kommenden Jahr die Ära Castorf an der Berliner Volksbühne beenden soll. Nun meldete sich auch Dercon erneut zu Wort, auf einer Debattenrunde im Roten Rathaus unter dem Titel "Die Zukunft der Kulturmetropole Berlin".
Offenbar war den Veranstaltern klar: Viele sind an diesem Abend vor allem wegen Chris Dercon da. Also wurde gleich zu Beginn klargestellt: Die sei kein Abend zur Volksbühne. Fragen dazu gab's dann doch: zum Beispiel ob ihn, den noch amtierenden Tate-Modern-Chef, die Berichterstattung der vergangenen Wochen verletzt habe:
"Was mir am meisten wehgetan hat, sind die Ankündigung in der Berliner Zeitung, dass es 50 Entlassungen gibt - das stimmt nicht. Das sind Lügen - das sind keine Missverständnisse. Das hat mir wehgetan."
Ende September wolle er erste Pläne zum Hangar in Tempelhof vorstellen. Es folgen ein paar allgemeine Schlagworte zur inhaltlichen Ausrichtung z.B:
"Ich denk an Öffentlichkeit kreieren."
Dann bittet Chris Dercon darum, in Ruhe arbeiten zu können - nicht ohne kleinen Seitenhieb auf die Medien:
"Ich weiß, dass es Kürzungen gibt in der deutschen Presse, aber Fact-Checking ist etwas ganz Zivilisiertes und gehört zur Demokratie. Ich wünsche mir mehr Demos in der Berichterstattung über die Volksbühne."
"Hauptstadt des Sprechtheaters"
Und irritiert mit einer eigenwilligen Definition des Wortes Sprechtheater:
"Also ich würde sagen, wir sind die Hauptstadt des Sprechtheaters. Das gibt es überall. Wie das ist das Sprechtheater? Dann muss ich mich korrigieren - wir sind das Sprech-Denk-Theater - voila das sind wir.
Auf dem Podium: drei weitere Kulturakteure, die eins eint - der Blick von außen auf Berlin: der gebürtige Bayer Matthias Schulz, demnächst Intendant der Staatsoper Unter den Linden kommt aus Salzburg in die Hauptstadt, Annemie van Ackere stammt wie Chris Dercon aus Belgien, Paul Spiess – Chef-Kurator des Landes Berlin im Humboldt Forum ist Holländer. Wie erleben Sie den Kulturbetrieb in Berlin? Zunächst einmal als sehr positiv, schließlich wolle fast jeder Künstler hierher, wo man noch gut leben kann. Noch.
Annemie van Ackere: "Woran ich mich nicht gewöhnt habe, ist wie Institutionen gefördert werden und wie freischaffende Künstler gefördert werden."
Annemie von Ackere, die vor vier Jahren das Hebbel am Ufer übernahm, ärgert sich über zu kurze Laufzeiten von Freien-Förderungen und dadurch unmöglich gemachte Planbarkeit für Künstler. Wie ihre Mitstreiter auf dem Podium fürchtet sie um eine Verdrängung der Kreativen aus den Zentren an den Rand – so wie in London, Paris, Barcelona längst geschehen.
Annemie van Ackere: "Ich würde mir wünschen, dass auch die Kunstmetropole Berlin sehr stark ist und das man Kultur nicht nur als Gleitmittel für Liegenschaftspolitik oder Industrie zu locken oder Kreativindustrie zu locken. Es gibt noch was anderes."
Ein bisschen mehr Chaos
Die Kunstmetropole als Ort für Diskurs, Anregung oder Widerspruch zum Beispiel. Mit einer flexibleren Verwaltung, mehr Vernetzung der einzelnen Sparten – aber ohne – um mit Matthias Schulz zu sprechen:
"dass dann jeder irgendwo das gleich macht. Man muss aufpassen sich nicht zu verzetteln."
Viele Aspekte, viele gute Ideen – und doch wünscht man sich – wie von Paul Spieß gefordert, ein bisschen mehr Chaos. Im Verlauf des Abends kreist immer wieder ein Satz des noch amtierenden Volksbühnen-Chefs Frank Castorf im Kopf. In seiner Rede, anlässlich der Verleihung des Großen Kunstpreises der Stadt Berlin an ihn sagte er: "Es gibt vieles, bei dem ich mir unsicher bin, aber eins ist klar, wir sind zu konsensbedürftig geworden."