Macron "ist nicht mein Präsident"
Inwiefern bestimmt unsere Herkunft unseren Lebensweg? Diese Frage untersucht der französische Soziologe Didier Eribon in seinem neuen Buch "Gesellschaft als Urteil: Klassen, Identitäten, Wege". Auf den französischen Präsidenten ist er nicht besonders gut zu sprechen.
Mit seinem Buch "Rückkehr nach Reims" wurde der französische Soziologe Didier Eribon im vergangenen Jahr in Deutschland bekannt. Darin beschreibt er seine Herkunft als Arbeiterkind und seine Entwicklung zu einem französischen Intellektuellen und erklärt, warum große Teile der Arbeiterklasse eher rechts statt links wählen. Bei Lesungen in Deutschland sorgte sein Bestseller für ausverkaufte Veranstaltungen. Auf der Frankfurter Buchmesse 2017 sagt er rückblickend bescheiden: "Es ist ein Buch, in dem ich versucht habe, meinen persönlichen Werdegang darzustellen."
Klasse und Herkunft
Ist er selbst nicht das beste Beispiel, dass man die eigene soziale Herkunft verlassen kann? Didier Eribon meint Nein: "Dass es Ausnahmen gibt von der Regel bedeutet nicht, dass es trotzdem die Regel gibt. Bei 'Rückkehr nach Reims' ist das genau der Ausgangspunkt: Wie die Ausnahme von der Regel eine Perspektive auf die Regel ermöglicht."
Auch in seinem neuen Buch "Gesellschaft als Urteil: Klassen, Identitäten, Wege" beschäftigt er sich weiter mit diesen Fragen: "Wir sind alle auf Grund von Determinismen entstanden. Ich nenne das Urteile – und davon gibt es ganz viele." Nicht nur die Klasse, aus der man komme, auch das Geschlecht oder die Hautfarbe, mit der man geboren werde, bestimme unseren Lebensweg, ist Eribon überzeugt: "Dadurch nimmt man bestimmte Stellungen in der sozialen Welt ein, spielt bestimmte Rollen. Und es ist sehr schwierig, sich diesen Rollen zu entziehen."
Er versuche zu verstehen, "wie man gegen sozialen Determinismus kämpfen kann", sagt Eribon über sein Buch. Nur so könne man Einspruch einlegen gegen "das Urteil", das man bei der Geburt mitbekommt.
"Ein unanständiger Witz"
Gerade weil er sich viel mit den sozialen Hierarchien und Machtverhältnissen in der Gesellschaft auseinandersetzt, sei er der Einladung zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron nicht gefolgt. Während Macron auf der Buchmesse schöne Reden über Kultur, Kunst und Bücher gehalten habe, seien 500.000 Demonstranten in Frankreich auf die Straße gegangen gegen seine Politik, die die Sozialsysteme wie das Gesundheitssystem oder das Bildungswesen zerstöre, empört sich Eribon: "Man kann nicht sagen: Ich bin für ein Europa der Kultur – und gleichzeitig verteidige ich eine Wirtschaftsagenda, die extrem neoliberal ist. Man gibt mehr Geld den Reichen, macht die noch reicher, damit die vielleicht in die Wirtschaft investieren. Und dann irgendwann später, wenn es der Wirtschaft wieder besser geht, profitieren alle davon. Das ist ein unanständiger Witz."
(cosa)