Die Briten am Nil

Von Raschid Bockemühl |
1882 marschierten britische Truppen in Ägypten ein, um einen Aufstand von Offizieren niederzuschlagen. Die Kämpfe gipfelten im Sieg der Briten in der Schlacht bei Tell el-Kebir am 13. September 1882. Dieser Sieg bot ihnen die Chance, sich auf Jahrzehnte in Ägypten festzusetzen.
Im Sommer 1882 wurde Ägypten von britischen Truppen besetzt. Der ägyptische Herrscher, der Khedive Taufiq, hatte sie um Hilfe gerufen. Sie sollten ihm bei der Niederschlagung einer Armeerevolte und der Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung helfen. Die Briten kamen gern - aber weniger, um dem Khediven zu helfen. Sie hatten andere, längerfristige Ziele im Auge. Dazu 1987 der Ägypten-Experte Alexander Schölch:

"Die traditionelle Antwort ist bekannt: Ägypten sei wegen des Suez-Kanals okkupiert worden. England habe sich genötigt gesehen, für Ruhe und Ordnung entlang dieser imperial lifeline, dieser Lebensader des britischen Empires auf dem Seeweg nach Indien, zu sorgen. Das Argument von der Bedrohung des Suez-Kanals ist jedoch ein historisches Ammenmärchen. Zu keiner Zeit war die freie Schifffahrt durch den Suez-Kanal bedroht."

Die aufständischen Offiziere unter Oberst Ahmed Orabi planten keine Verstaatlichung des von Briten und Franzosen kontrollierten Kanals. Ihnen ging es um dringendere nationale Belange, vor allem ein Ende der finanziellen Ausbeutung des Landes durch die europäischen Mächte. Oberst Orabi, Absolvent der Al-Azhar-Universität und Karriereoffizier, ein Mann mit der Beredsamkeit eines islamischen Predigers, gab die Parole aus "Ägypten den Ägyptern!" Der libanesisch-englische Historiker Albert Hourani analysierte 1991 die Hintergründe:

"Den Vorwand für die britische Invasion lieferte die Behauptung, die Ordnung sei zusammengebrochen. Aber die meisten Zeitgenossen hielten diese Behauptung für einen Vorwand. Der wirkliche Grund lag in dem Machtinstinkt, den ein Staat in einer Periode der Expansion entfaltet, untermauert durch die Wortführer der europäischen Finanzinteressen."

Briten und Franzosen hatten Ägypten immer tiefer in die Schuldenfalle getrieben. Sie bewilligten ihm Kredite zu ruinösen Konditionen. Ägypten musste seinen Anteil an der Suez-Kanal-Gesellschaft verkaufen. Nach dem Liquidationsgesetz von 1880 sollte künftig die Hälfte der ägyptischen Staatseinnahmen ausschließlich zur Schuldentilgung verwendet werden.

Scheich Muhammad Abduh, späterer Rektor der Al-Azhar-Universität und berühmter islamischer Reformtheologe, prangerte öffentlich den verderblichen Einfluss des wirtschaftlichen Niedergangs auf die ägyptische Gesellschaft an, was ihm Gefängnis und Verbannung ins Ausland eintrug. So schrieb er in einer politischen Zeitschrift am
29. Januar 1881:

"Durch die Wucherpolitik der Fremden und Eindringlinge ist das Volk verarmt und ausgesaugt, so dass man die Armut vorzieht und die Arbeit sich nicht mehr lohnt. Auf der anderen Seite lieben die Reichen sinnlose Verschwendung. Die alte griechische und islamische Tugend der goldenen Mitte, die zwischen Geiz und Verschwendung liegt, ist unbekannt."

Die britischen Truppen besetzten zunächst das Nildelta und beschossen Alexandria. Am 13. September 1882 schlugen sie die Soldaten Orabis bei Tell el-Kebir, einer Siedlung auf dem Weg zum Suez-Kanal. Orabi wurde gefangen genommen und nach Ceylon verbannt. 20 Jahre später durfte er nach Ägypten zurückkehren. Nach dem Orabi-Aufstand wurde Sir Evelyn Baring, der spätere Lord Cromer, zum Hochkommissar ernannt. Obwohl er nicht der offizielle Herrscher war, regierte er Ägypten bis 1907.

Der deutsche Orient-Reisende Victor Ottmann, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts zwei Jahre in Ägypten aufhielt, zog 1908 folgendes Fazit:

"Am 14. September 1882 zogen die englischen Truppen in Kairo ein. England kam mit dem Versprechen, das Land zu verlassen, sobald die Ordnung wieder hergestellt wäre. Die Ordnung ist längst wieder hergestellt, aber England bleibt. Denn es besitzt eine ganz hervorragende Kraft der Beharrlichkeit - eine schöpferische Kraft, der es sein Weltreich verdankt."

Der Aufstand unter Oberst Orabi hatte den Briten den willkommenen Anlass geliefert, sich in Ägypten festzusetzen. Jahrzehntelang konnten sie ägyptische Baumwolle in die Textilfabriken von Manchester schicken und den Seeweg nach Indien kontrollieren. Erst 70 Jahre später fand die britische Beharrlichkeit ihr Ende, als ein anderer ägyptischer Oberst, Gamal Abd el-Nasr, die Engländer aus dem Land jagte und die Republik Ägypten ausrief.