Die höchste Form der Liebe
Im Laufe seiner Geschichte geriet der Begriff "Nächstenliebe" immer wieder in die Kritik, von Nichtchristen, aber auch Christen selbst. Dieser so weit gefasste Liebesanspruch überfordere den Menschen, lautet ein Vorwurf. Ist das wirklich so und welcher Art könnte diese Liebe sein?
Im Deutschen gibt es nur ein Wort für Liebe, eben dieses: Liebe. Es muss für alles gelten, für die Liebe zwischen Eltern und Kindern, zwischen Geschwistern, für die zwischen Freunden, Liebespaaren und am Ende auch für den Nächsten. Dann heißt sie "Nächstenliebe". Im biblischen Urtext allerdings, im Neuen Testament, ist die Nächstenliebe genauer bestimmt. Dort ist von "Agape" die Rede. Jochen Sautermeister, Moraltheologe:
"Das ist die Vorstellung von einer selbstlosen Liebe, von der sich verschenkenden Liebe, von einer Liebe, die ganz den Anderen im Blick hat, und nicht umsonst ist im Neuen Testament der Begriff Agape die Liebe, die von Gott ausgesandt wird."
Die göttliche Liebe liefert das Modell für die Liebe zum Nächsten, die verstanden wird als ein Akt der Großzügigkeit, als eine ganz und gar freie Zuwendung, als Geschenk.
Im Neuen Testament taucht der Begriff "Agape" über 100 Mal auf, allein 75 Mal bei Paulus, 25 Mal bei Johannes. Eine Szene hält Jochen Sautermeister für entscheidend, weil sie die Gottesliebe mit der Nächstenliebe verbindet.
"Und zwar ist das eine Erzählung vom nachösterlichen Jesus. Petrus hat ja Jesus nach der Erzählung drei Mal verleugnet. Und dem Nachösterlichen begegnet Petrus und Jesus fragt ihn dreimal 'Liebst du mich?' Und das erste Mal sagt Petrus, du weißt dass ich dich liebe, beim zweiten Mal auch, ja, Herr du weißt, dass ich dich liebe und beim dritten Mal auch. Es macht Petrus ganz betroffen, dass er dreimal gefragt wird. Wenn man den Textbefund ansieht, dann fragt Jesus die ersten beiden Male "agapasme", also liebst du mich? Und das dritte Mal fragt Jesus "Phileisme?", vielleicht könnte man sagen "Hast du mich lieb?" Also man könnte sagen, da ist ein Schritt entgegen auf das Menschenmögliche. Also, dass diese Agape, diese göttliche Liebe, fast menschenunmöglich ist. Und da passiert so eine Transformation."
Agape, diese höchste Form der Liebe, die der göttlichen Liebe gleicht, dieser hohe Anspruch an den Menschen, ist immer wieder kritisiert worden als etwas Menschenunmögliches, etwa von Sigmund Freud. In seinem Buch "Das Unbehangen in der Kultur" ist der Begründer der modernen Psychoanalyse der Überzeugung, das Gebot sei unvereinbar mit den menschlichen Fähigkeiten. Freud hält die Nächstenliebe für eine inflationäre Vorstellung von Liebe, die nur deren Wert herabsetzen, nicht aber die Not unter den Menschen beseitigen könne. Heute, 80 Jahre nach Veröffentlichung des bekannten Essays, kommen die Argumente aus einer ganz anderen Richtung.
"Sloterdijk hat ja dieses Buch geschrieben, 'Du musst dein Leben ändern', und er bemängelt hier, dass wir in der Moderne inzwischen sehr flach leben und nicht mehr den Anspruch des Erhabenen leben. Und er formuliert es mit der 'Vertikalspannung', also wir müssen uns durch das Unmögliche herausgefordert sehen, dass wir uns verändern können und den Herausforderungen auch gewachsen zu sein. Man könnte sagen, in der Nächstenliebe steckt beides drin, dieser ganz hohe Anspruch, dem wir aus der vorgängigen Liebe Gottes nachkommen dürfen und gleichzeitig ist es ein Anspruch, den wir nicht einfach erfüllen."
Oder anders: ein Anspruch, den wir nicht einfach erfüllen können. Die Art der Liebe wird durch den Zusatz "wie dich selbst" genauer bestimmt. Nächstenliebe und Selbstliebe sind unmittelbar miteinander verbunden, das bestätigt vor allem auch die Psychologie. Jochen Sautermeister, Moraltheologe:
"Aristoteles schreibt ja in der Nikomachischen Ethik, dass die Selbstliebe das erste ist, und dahinter steht die psychologische Einsicht, dass wir nur dann, wenn wir uns selber lieben, dass es uns dann auch möglich ist, anderen gegenüber es auch möglich ist, anderen liebend, wohlwollend entgegen treten zu können. Die psychologische Einsicht Aristoteles' kennen wir ja an den Tagen, wo wir uns selber nicht gut leiden können, da fällt es auch schwieriger, andere stehen zu lassen mit ihren Eigenheiten, auch anderen gegenüber offen zu sein."
Was bei vielen Menschen Widerstand erzeugt, ist, dass die Liebe als Gebot formuliert wird und es doch unmöglich erscheint, Liebe zu verordnen, zu gebieten. Was steckt dahinter? Der Philosoph Wilhelm Vossenkuhl:
"Liebe kann man nicht gebieten. Man kann nicht einmal Zuneigung, was ja noch ein bisschen weniger anspruchsvoll ist, gebieten. Nein, man kann sich nur selbst gebieten, dass man dem Anderen gegenüber eine innere Hinwendung vollzieht, die darin besteht, dass man ihn aus der aktuellen Not in der er ist, aus dem Unglück in dem er vielleicht steht, herausholt, soweit es geht."
"Liebe ist auch Entscheidung. Man kann sagen, da merken wir, wie wir letztlich immer hin- und herspringen. Wir können uns nur für Liebe entscheiden, wenn wir schon Liebe erfahren haben. Ohne diese Erfahrung, ohne ein Grundkontingent an Liebe und Zuneigung der Eltern oder Bezugspersonen ist es nicht möglich, eine psychisch stabile Struktur aufzubauen. Und das setzt voraus, immer wieder an der Entscheidung zu arbeiten, dem Anderen immer wieder neu zu begegnen und sich selbst auch."
Liebe, beziehungsweise Nächstenliebe als Entscheidung zu verstehen, heißt auch, immer wieder einen neuen Anfang zu wagen.
"Das ist die Vorstellung von einer selbstlosen Liebe, von der sich verschenkenden Liebe, von einer Liebe, die ganz den Anderen im Blick hat, und nicht umsonst ist im Neuen Testament der Begriff Agape die Liebe, die von Gott ausgesandt wird."
Die göttliche Liebe liefert das Modell für die Liebe zum Nächsten, die verstanden wird als ein Akt der Großzügigkeit, als eine ganz und gar freie Zuwendung, als Geschenk.
Im Neuen Testament taucht der Begriff "Agape" über 100 Mal auf, allein 75 Mal bei Paulus, 25 Mal bei Johannes. Eine Szene hält Jochen Sautermeister für entscheidend, weil sie die Gottesliebe mit der Nächstenliebe verbindet.
"Und zwar ist das eine Erzählung vom nachösterlichen Jesus. Petrus hat ja Jesus nach der Erzählung drei Mal verleugnet. Und dem Nachösterlichen begegnet Petrus und Jesus fragt ihn dreimal 'Liebst du mich?' Und das erste Mal sagt Petrus, du weißt dass ich dich liebe, beim zweiten Mal auch, ja, Herr du weißt, dass ich dich liebe und beim dritten Mal auch. Es macht Petrus ganz betroffen, dass er dreimal gefragt wird. Wenn man den Textbefund ansieht, dann fragt Jesus die ersten beiden Male "agapasme", also liebst du mich? Und das dritte Mal fragt Jesus "Phileisme?", vielleicht könnte man sagen "Hast du mich lieb?" Also man könnte sagen, da ist ein Schritt entgegen auf das Menschenmögliche. Also, dass diese Agape, diese göttliche Liebe, fast menschenunmöglich ist. Und da passiert so eine Transformation."
Agape, diese höchste Form der Liebe, die der göttlichen Liebe gleicht, dieser hohe Anspruch an den Menschen, ist immer wieder kritisiert worden als etwas Menschenunmögliches, etwa von Sigmund Freud. In seinem Buch "Das Unbehangen in der Kultur" ist der Begründer der modernen Psychoanalyse der Überzeugung, das Gebot sei unvereinbar mit den menschlichen Fähigkeiten. Freud hält die Nächstenliebe für eine inflationäre Vorstellung von Liebe, die nur deren Wert herabsetzen, nicht aber die Not unter den Menschen beseitigen könne. Heute, 80 Jahre nach Veröffentlichung des bekannten Essays, kommen die Argumente aus einer ganz anderen Richtung.
"Sloterdijk hat ja dieses Buch geschrieben, 'Du musst dein Leben ändern', und er bemängelt hier, dass wir in der Moderne inzwischen sehr flach leben und nicht mehr den Anspruch des Erhabenen leben. Und er formuliert es mit der 'Vertikalspannung', also wir müssen uns durch das Unmögliche herausgefordert sehen, dass wir uns verändern können und den Herausforderungen auch gewachsen zu sein. Man könnte sagen, in der Nächstenliebe steckt beides drin, dieser ganz hohe Anspruch, dem wir aus der vorgängigen Liebe Gottes nachkommen dürfen und gleichzeitig ist es ein Anspruch, den wir nicht einfach erfüllen."
Oder anders: ein Anspruch, den wir nicht einfach erfüllen können. Die Art der Liebe wird durch den Zusatz "wie dich selbst" genauer bestimmt. Nächstenliebe und Selbstliebe sind unmittelbar miteinander verbunden, das bestätigt vor allem auch die Psychologie. Jochen Sautermeister, Moraltheologe:
"Aristoteles schreibt ja in der Nikomachischen Ethik, dass die Selbstliebe das erste ist, und dahinter steht die psychologische Einsicht, dass wir nur dann, wenn wir uns selber lieben, dass es uns dann auch möglich ist, anderen gegenüber es auch möglich ist, anderen liebend, wohlwollend entgegen treten zu können. Die psychologische Einsicht Aristoteles' kennen wir ja an den Tagen, wo wir uns selber nicht gut leiden können, da fällt es auch schwieriger, andere stehen zu lassen mit ihren Eigenheiten, auch anderen gegenüber offen zu sein."
Was bei vielen Menschen Widerstand erzeugt, ist, dass die Liebe als Gebot formuliert wird und es doch unmöglich erscheint, Liebe zu verordnen, zu gebieten. Was steckt dahinter? Der Philosoph Wilhelm Vossenkuhl:
"Liebe kann man nicht gebieten. Man kann nicht einmal Zuneigung, was ja noch ein bisschen weniger anspruchsvoll ist, gebieten. Nein, man kann sich nur selbst gebieten, dass man dem Anderen gegenüber eine innere Hinwendung vollzieht, die darin besteht, dass man ihn aus der aktuellen Not in der er ist, aus dem Unglück in dem er vielleicht steht, herausholt, soweit es geht."
"Liebe ist auch Entscheidung. Man kann sagen, da merken wir, wie wir letztlich immer hin- und herspringen. Wir können uns nur für Liebe entscheiden, wenn wir schon Liebe erfahren haben. Ohne diese Erfahrung, ohne ein Grundkontingent an Liebe und Zuneigung der Eltern oder Bezugspersonen ist es nicht möglich, eine psychisch stabile Struktur aufzubauen. Und das setzt voraus, immer wieder an der Entscheidung zu arbeiten, dem Anderen immer wieder neu zu begegnen und sich selbst auch."
Liebe, beziehungsweise Nächstenliebe als Entscheidung zu verstehen, heißt auch, immer wieder einen neuen Anfang zu wagen.