Die Kunst der Naturbeobachtung
Aus die Zeiten, in denen Forscher in einem Moor, Wald oder Gebüsch saßen und die Natur beobachten? Zumindest wird diese Frage eingehend diskutiert. Es gilt, einen Weg zu finden, den "Daten-Tsunami", den die digitalisierte Forschung liefert, zu filtern.
Eintönig rauscht das Meer, unterbrochen nur vom Anschlagen der Messbojen, in der Kunstinstallation "Fische lauschen" des Schweizers Hannes Rickli. Auch zwei meterhohe Monitore halten kaum mehr bereit als dieses monotone, wenn auch angenehm blaue Rauschen. Es sind Videos von der Spitzbergen-Forschungsstation des Meeresbiologen Philipp Fischer:
"Das ist ein schönes Bild, das könnte eine Galaxie sein. Da sieht man eigentlich gar nichts. Nur das menschliche Auge sieht etwas. Und wenn man ein bisschen Ahnung von der Materie hat, weiß man, dass dieser Punkt ein Fisch ist. Wir haben einen Fisch! Und das Auge ist nach wie vor das wichtigste Organ des Wissenschaftlers – um zu sehen, um Muster zu erkennen. Bei uns in der Verhaltensbiologie auf jeden Fall."
Damit steht Fischer, der im Forschungsprojekt "Computersignale" mit dem Künstler Rickli zusammenarbeitet, als Naturwissenschaftler an einem entscheidenden Punkt, in einer Umbruchsituation. Wie der Blick des Forschers abgelöst wird durch Messfühler und Sensoren, durch die Datenproduktion des Computers, das beschreibt die Wissenschaftsphilosophin Gabriele Gramelsberger:
"Das sind Stunden, wo Fische irgendwelche Dinge tun. Und man muss halt gucken, bis sie etwas Relevantes tun. Das kann man jetzt automatisieren: Die ganze Beobachtung wird dadurch delegierbar an technische Systeme und die Analysesoftware – was natürlich sofort zur ersten Datenflut führt."
"Fragile Daten" war das Thema der Berliner Tagung – und gemeint war damit vor allem das permanente Infragestellen wissenschaftlicher Forschungsergebnisse. Im Zeitalter der Digitalisierung aber droht in der schieren Masse von Daten der Erkenntnisapparat zu verschwinden - womit dem kritischen Blick auf die Experimentieranordnungen jede Aussicht genommen wäre. Genau dieser Entwicklung stellt sich das Schweizer Projekt der "Kunst als Forschungsdisziplin" mit einer Verknüpfung von Ästhetik und Wissensproduktion entgegen. Der Künstler Rickli:
"Mit ästhetisch meine ich den Blick auf die materiellen Herstellungsbedingungen der Unterwasserbildproduktion in der arktischen See. Die Elektrizität etwa, aber auch die spezifische Zeitlichkeit, in der sich Witterung, Seegang, Störungen usw. physisch auf den Datenerhebungsprozess auswirken. Das Einrichten eines Settings, konkrete Raumsituationen oder Lichtsituationen, alternative Geschichten über den Forschungsalltag, die in den offiziellen Publikationen nicht vorkommen."
Diesen Mangel scheint einer der Mitverursacher des "Daten-Tsuanami", wie er es selbst nennt, ausgleichen zu wollen: Hans Hofmann ist Spezialist für Neurowissenschaften und Bio-Informatik an der University of Texas in Austin, und die Großrechner auf der von ihm benutzten Computerfarm heißen "Ranger", "Lonestar" und "Stampede", die Riesendatenspeicher "Corral" und "Ranch". Aber solch illustrative Kosenamen sind kaum mehr als eine Ablenkung, schaut man auf das von Hoffmann geschilderte Grundproblem der datengetriebenen Forschung:
"Wir müssen diese Komplexität irgendwie reduzieren, damit unser Gehirn überhaupt damit umgehen kann, damit wir irgendwelche Muster erkennen können. Wir nehmen sehr viele Informationen mit den Augen auf, und wie man diese komplexen Zusammenhänge visualisiert, das ist auch eine große Herausforderung."
Ganz neue Wissenschaftszweige von Statistikern und Computerexperten haben sich auf Diagramme und ähnliche "Visualisierungen" spezialisiert – wissen aber selten, was dieser Datenabhub am Ende bedeutet. Da war, wie der Wissenschaftshistoriker Staffan Müller-Wille mit Blick auf Carl von Linné demonstrierte, die Biologie im 18. Jahrhundert schon weiter: Der Naturforscher exzerpierte Bücher seiner Kollegen – in einem ganz besonderen Zettelkasten:
"Das ist auch nicht einfach aus diesen Werken reproduziert. Die Art und Weise, in der er das tut, illustriert, dass es ihm vor allen Dingen um Synopsis geht: Dinge auf dem Raum des Papiers zusammen sehen zu können."
Und neben dieser altbewährten Methode der Visualisierung gibt es einen weiteren Weg, der aber auch den Studierenden hierzulande zunehmend verbaut wird, wie man der Frage des Berliner Biologen Alexander Fürst von Lieven an seinen in den USA forschenden Kollegen Hans Hofmann entnehmen konnte:
"Sie haben eben gesagt, Sie haben sich das ausgesucht, die Richtung, in die Sie gegangen sind. Die Studenten, für die dann Naturbeobachtung in Zukunft nur noch am Bildschirm stattfindet, wenn es so läuft, wie Sie das vorgeschlagen haben, werden sie sich das nicht mehr aussuchen können."
"Ich bin mir der Gefahr bewusst, dass wir uns da vielleicht ein Gebilde aufbauen, das gar nichts mehr zu tun hat mit der Realität in der Natur. Das ist eine große Debatte, auch bei uns im Departement, dass parallel zu Bio-Informatik, Technology-Kursen usw. sollten wir die Leute auf Exkursionen in die Natur mitnehmen."
Warum aber, so fragt sich der ebenso an Computer gewöhnte wie an Naturbeobachtung interessierte Laie, mag sich nicht auch die Wissenschaft beides zugleich leisten?
"Das ist ein schönes Bild, das könnte eine Galaxie sein. Da sieht man eigentlich gar nichts. Nur das menschliche Auge sieht etwas. Und wenn man ein bisschen Ahnung von der Materie hat, weiß man, dass dieser Punkt ein Fisch ist. Wir haben einen Fisch! Und das Auge ist nach wie vor das wichtigste Organ des Wissenschaftlers – um zu sehen, um Muster zu erkennen. Bei uns in der Verhaltensbiologie auf jeden Fall."
Damit steht Fischer, der im Forschungsprojekt "Computersignale" mit dem Künstler Rickli zusammenarbeitet, als Naturwissenschaftler an einem entscheidenden Punkt, in einer Umbruchsituation. Wie der Blick des Forschers abgelöst wird durch Messfühler und Sensoren, durch die Datenproduktion des Computers, das beschreibt die Wissenschaftsphilosophin Gabriele Gramelsberger:
"Das sind Stunden, wo Fische irgendwelche Dinge tun. Und man muss halt gucken, bis sie etwas Relevantes tun. Das kann man jetzt automatisieren: Die ganze Beobachtung wird dadurch delegierbar an technische Systeme und die Analysesoftware – was natürlich sofort zur ersten Datenflut führt."
"Fragile Daten" war das Thema der Berliner Tagung – und gemeint war damit vor allem das permanente Infragestellen wissenschaftlicher Forschungsergebnisse. Im Zeitalter der Digitalisierung aber droht in der schieren Masse von Daten der Erkenntnisapparat zu verschwinden - womit dem kritischen Blick auf die Experimentieranordnungen jede Aussicht genommen wäre. Genau dieser Entwicklung stellt sich das Schweizer Projekt der "Kunst als Forschungsdisziplin" mit einer Verknüpfung von Ästhetik und Wissensproduktion entgegen. Der Künstler Rickli:
"Mit ästhetisch meine ich den Blick auf die materiellen Herstellungsbedingungen der Unterwasserbildproduktion in der arktischen See. Die Elektrizität etwa, aber auch die spezifische Zeitlichkeit, in der sich Witterung, Seegang, Störungen usw. physisch auf den Datenerhebungsprozess auswirken. Das Einrichten eines Settings, konkrete Raumsituationen oder Lichtsituationen, alternative Geschichten über den Forschungsalltag, die in den offiziellen Publikationen nicht vorkommen."
Diesen Mangel scheint einer der Mitverursacher des "Daten-Tsuanami", wie er es selbst nennt, ausgleichen zu wollen: Hans Hofmann ist Spezialist für Neurowissenschaften und Bio-Informatik an der University of Texas in Austin, und die Großrechner auf der von ihm benutzten Computerfarm heißen "Ranger", "Lonestar" und "Stampede", die Riesendatenspeicher "Corral" und "Ranch". Aber solch illustrative Kosenamen sind kaum mehr als eine Ablenkung, schaut man auf das von Hoffmann geschilderte Grundproblem der datengetriebenen Forschung:
"Wir müssen diese Komplexität irgendwie reduzieren, damit unser Gehirn überhaupt damit umgehen kann, damit wir irgendwelche Muster erkennen können. Wir nehmen sehr viele Informationen mit den Augen auf, und wie man diese komplexen Zusammenhänge visualisiert, das ist auch eine große Herausforderung."
Ganz neue Wissenschaftszweige von Statistikern und Computerexperten haben sich auf Diagramme und ähnliche "Visualisierungen" spezialisiert – wissen aber selten, was dieser Datenabhub am Ende bedeutet. Da war, wie der Wissenschaftshistoriker Staffan Müller-Wille mit Blick auf Carl von Linné demonstrierte, die Biologie im 18. Jahrhundert schon weiter: Der Naturforscher exzerpierte Bücher seiner Kollegen – in einem ganz besonderen Zettelkasten:
"Das ist auch nicht einfach aus diesen Werken reproduziert. Die Art und Weise, in der er das tut, illustriert, dass es ihm vor allen Dingen um Synopsis geht: Dinge auf dem Raum des Papiers zusammen sehen zu können."
Und neben dieser altbewährten Methode der Visualisierung gibt es einen weiteren Weg, der aber auch den Studierenden hierzulande zunehmend verbaut wird, wie man der Frage des Berliner Biologen Alexander Fürst von Lieven an seinen in den USA forschenden Kollegen Hans Hofmann entnehmen konnte:
"Sie haben eben gesagt, Sie haben sich das ausgesucht, die Richtung, in die Sie gegangen sind. Die Studenten, für die dann Naturbeobachtung in Zukunft nur noch am Bildschirm stattfindet, wenn es so läuft, wie Sie das vorgeschlagen haben, werden sie sich das nicht mehr aussuchen können."
"Ich bin mir der Gefahr bewusst, dass wir uns da vielleicht ein Gebilde aufbauen, das gar nichts mehr zu tun hat mit der Realität in der Natur. Das ist eine große Debatte, auch bei uns im Departement, dass parallel zu Bio-Informatik, Technology-Kursen usw. sollten wir die Leute auf Exkursionen in die Natur mitnehmen."
Warum aber, so fragt sich der ebenso an Computer gewöhnte wie an Naturbeobachtung interessierte Laie, mag sich nicht auch die Wissenschaft beides zugleich leisten?