"Die Olympischen Spiele werden nicht politische Konflikte lösen"
Politische Probleme würden mit einer Austragung von Olympischen Spiele nicht gelöst, meint Helmut Digel, Sportwissenschaftler und Ratsmitglied im Internationalen Leichtathletik-Verband. Er hält die Kritik am Internationalen Olympischen Komitee (IOC) darum für übertrieben. Aus seiner Sicht ist schon die Öffnung Chinas durch die Spiele ein Gewinn.
Leonie March: Menschenrechte, Presse- und Meinungsfreiheit, all das hatte China dem IOC, dem Internationalen Olympischen Komitee, versprochen, als die Sommerspiele 2008 nach Peking vergeben wurden. Übermorgen beginnen sie, ohne dass die Zusagen eingehalten wurden, kritisieren Menschenrechtsorganisationen und Pressevertreter. Einige von ihnen werfen dem IOC deshalb vor, sich zum Komplizen des chinesischen Regimes gemacht und die olympischen Ideale verraten zu haben. Was er von dieser Kritik hält, möchte ich jetzt von Professor Helmut Digel erfahren. Der Sportwissenschaftler ist Ratsmitglied im Leichtathletik-Weltverband. Guten Morgen, Professor Digel!
Helmut Digel: Guten Morgen!
March: Ist diese Kritik am IOC übertrieben oder gerechtfertigt?
Digel: Ich glaube schon, dass sie übertrieben ist, wenngleich in diesen Tagen eines klar wurde. Es gibt keinen Vertrag zwischen der Regierung und dem IOC. Es gibt einen Vertrag zwischen dem IOC und dem Organisationskomitee. Das ist der übliche Vertrag für Ausrichter Olympischer Spiele. Dieser Vertrag lässt sehr vieles offen und dieser Vorwurf ist meines Erachtens berechtigt, den man nun gegenüber dem IOC in dieser Frage macht. Hier hätte man vor dem Hintergrund der politischen Verhältnisse in China die Probleme sorgfältiger regeln müssen. Das hätte bereits vor neun Jahren geschehen müssen, als die Spiele nach China vergeben wurden.
Allerdings muss dabei auch klar sein: Die Olympischen Spiele werden nicht Menschenrechtsprobleme lösen können. Die Olympischen Spiele werden auch nicht die politischen Konflikte lösen, die zwischen Systemen bestehen, sondern was die Olympischen Spiele leisten können, das sind Öffnungsprozesse für eine Gesellschaft, die zuvor sich als äußerst geschlossen noch dargestellt hat. Genau dies leisten diese Spiele in diesen Tagen. Dies haben die Spiele auch bereits im Vorfeld geleistet. Wer in den letzten neun Jahren regelmäßig in China war, der konnte dies beobachten. Es machte durchaus Sinn, die Spiele an China zu vergeben, weil allein durch diese Entscheidung sind Prozesse in China möglich geworden, die zuvor so nicht zu beobachten waren.
March: Von einem Verrat der olympischen Idee kann also nicht die Rede sein?
Digel: Ich halte diesen Vorwurf für völlig verfehlt, denn das was während der Spiele stattfindet ist genau das, was in den Spielen in München 1972 sich ereignete oder was man sich von den Spielen '72 zumindest erwünscht hatte, oder was in Barcelona der Fall war. 16 Tage werden die Wettkämpfe im Mittelpunkt stehen und Athleten aus 204 Ländern der Welt werden sich begegnen im hoffentlich fairen Wettstreit. Dopingprobleme müssen dabei mitbedacht werden. Sie existieren im Weltsport. Aber das sportliche Ereignis ist identisch mit jenen Ereignissen, die zuvor bei Olympischen Spielen stattgefunden haben.
March: Nun gibt es ja einen enormen politischen Anspruch an die Athleten, die sich äußern sollen, die – auch das war der Vorwurf schon – die Spiele boykottieren sollten. Sind die Sportler in diesem Zusammenhang von diesen Forderungen überfordert?
Digel: Ich halte diese Forderungen für skandalös, denn wenn ein EU-Ratspräsident oder wenn ein französischer Staatspräsident oder auch wenn deutsche Politiker meinen, sie müssten Athleten auffordern, vor Ort gegenüber dem chinesischen Regime über Protestkundgebungen die Verachtung dieser Politik zum Ausdruck zu bringen, dann muss man sie selbst fragen, was sie in den vergangenen 20 Jahren im Dialog mit China geleistet haben. Denn das ist ihr ureigentliches Ressort. Dafür wurden sie gewählt. Das ist ihre Aufgabe.
Es ist nicht die Aufgabe der Sportler, auch nicht die Aufgabe der Sportfunktionäre, die Probleme der Politik zu lösen. Insofern denke ich wird es darauf ankommen, dass mündige Athleten durchaus sich auch politisch artikulieren, dass sie ihre Meinung zu diesen Vorgängen äußern, aber es kann nicht angehen, dass ganze Teams genötigt werden, in dieser Hinsicht sich zu artikulieren.
March: Nun kennen Sie China ja schon sehr lange und auch sehr gut. Kann sich denn Ihrer Meinung nach der Blick der Chinesen auf ihr eigenes Land durch die Olympischen Spiele verändern?
Digel: Ich glaube allein für die vielen Freiwilligen wird sich der Blick auf das eigene Land verändern. Das sind ja mehr als 60.000 junge Menschen, die nun dort als Freiwillige mitarbeiten. Sie kommen in Kontakt mit Gästen aus aller Welt. Sie sehen, wie diese jungen Menschen, die mit ihren Betreuern an den Wettkämpfen teilnehmen, ganz andere Lebensstile leben. Sie sehen deren Gewohnheiten. Allein dieser Austausch zwischen den Kulturen wird eine Veränderung bewirken.
China ist natürlich auch offener geworden allein durch die Tatsache, dass nun viele Wettkämpfe in den vergangenen Jahren zur Vorbereitung dieser Spiele stattgefunden haben. Nahezu jährlich fanden bis zu fünf, sechs Weltmeisterschaften in Peking oder in anderen Städten in China statt und immer wieder begegnete damit China der Welt. Solche Begegnungsprozesse sind der eigentliche Beitrag, den der Sport leisten kann. Mehr kann er nicht bewirken. Man sollte die Wirkung des Sports nicht überschätzen.
Aber man muss auch noch andere positive Prozesse dabei im Blick haben. Für die chinesische Bevölkerung hat sich nun das Umweltproblem als ein nahezu unlösbares Problem herausgestellt angesichts der schnellen Industrialisierung. In China ist durch die Vergabe der Olympischen Spiele eine grüne Politik möglich geworden, wie man sie zuvor nicht für möglich gehalten hätte. Diese grüne Politik zeigt positive Wirkungen. Auf diese Weise ist eine Modellstadt für China entstanden. Man kann zeigen, dass es eine bessere Luft geben kann. Man kann zeigen, dass man ökologisch produzieren kann. Auch da hat dieses Ereignis, diese Olympischen Spiele, einen ganz wichtigen Beitrag zu Gunsten der chinesischen Gesellschaft geleistet. Das wird auch von der Bevölkerung anerkannt. Auch die vielen neuen U-Bahnen, die gebaut wurden – es sind ja drei neue Linien entstanden -, oder auch die infrastrukturellen Maßnahmen, die waren dringend erforderlich. Diese Wohnverhältnisse waren teilweise so desolat, dass man wirklich von Elendsvierteln hat reden müssen. In welcher schnellen Zeit und wie umfassend nun eine Wohnsanierung stattgefunden hat, auch dies ist durchaus im positiven Sinne zu würdigen.
March: Professor Helmut Digel war das, Ratsmitglied im Internationalen Leichtathletikverband. Herzlichen Dank für das Gespräch!
Digel: Bitte schön!
Helmut Digel: Guten Morgen!
March: Ist diese Kritik am IOC übertrieben oder gerechtfertigt?
Digel: Ich glaube schon, dass sie übertrieben ist, wenngleich in diesen Tagen eines klar wurde. Es gibt keinen Vertrag zwischen der Regierung und dem IOC. Es gibt einen Vertrag zwischen dem IOC und dem Organisationskomitee. Das ist der übliche Vertrag für Ausrichter Olympischer Spiele. Dieser Vertrag lässt sehr vieles offen und dieser Vorwurf ist meines Erachtens berechtigt, den man nun gegenüber dem IOC in dieser Frage macht. Hier hätte man vor dem Hintergrund der politischen Verhältnisse in China die Probleme sorgfältiger regeln müssen. Das hätte bereits vor neun Jahren geschehen müssen, als die Spiele nach China vergeben wurden.
Allerdings muss dabei auch klar sein: Die Olympischen Spiele werden nicht Menschenrechtsprobleme lösen können. Die Olympischen Spiele werden auch nicht die politischen Konflikte lösen, die zwischen Systemen bestehen, sondern was die Olympischen Spiele leisten können, das sind Öffnungsprozesse für eine Gesellschaft, die zuvor sich als äußerst geschlossen noch dargestellt hat. Genau dies leisten diese Spiele in diesen Tagen. Dies haben die Spiele auch bereits im Vorfeld geleistet. Wer in den letzten neun Jahren regelmäßig in China war, der konnte dies beobachten. Es machte durchaus Sinn, die Spiele an China zu vergeben, weil allein durch diese Entscheidung sind Prozesse in China möglich geworden, die zuvor so nicht zu beobachten waren.
March: Von einem Verrat der olympischen Idee kann also nicht die Rede sein?
Digel: Ich halte diesen Vorwurf für völlig verfehlt, denn das was während der Spiele stattfindet ist genau das, was in den Spielen in München 1972 sich ereignete oder was man sich von den Spielen '72 zumindest erwünscht hatte, oder was in Barcelona der Fall war. 16 Tage werden die Wettkämpfe im Mittelpunkt stehen und Athleten aus 204 Ländern der Welt werden sich begegnen im hoffentlich fairen Wettstreit. Dopingprobleme müssen dabei mitbedacht werden. Sie existieren im Weltsport. Aber das sportliche Ereignis ist identisch mit jenen Ereignissen, die zuvor bei Olympischen Spielen stattgefunden haben.
March: Nun gibt es ja einen enormen politischen Anspruch an die Athleten, die sich äußern sollen, die – auch das war der Vorwurf schon – die Spiele boykottieren sollten. Sind die Sportler in diesem Zusammenhang von diesen Forderungen überfordert?
Digel: Ich halte diese Forderungen für skandalös, denn wenn ein EU-Ratspräsident oder wenn ein französischer Staatspräsident oder auch wenn deutsche Politiker meinen, sie müssten Athleten auffordern, vor Ort gegenüber dem chinesischen Regime über Protestkundgebungen die Verachtung dieser Politik zum Ausdruck zu bringen, dann muss man sie selbst fragen, was sie in den vergangenen 20 Jahren im Dialog mit China geleistet haben. Denn das ist ihr ureigentliches Ressort. Dafür wurden sie gewählt. Das ist ihre Aufgabe.
Es ist nicht die Aufgabe der Sportler, auch nicht die Aufgabe der Sportfunktionäre, die Probleme der Politik zu lösen. Insofern denke ich wird es darauf ankommen, dass mündige Athleten durchaus sich auch politisch artikulieren, dass sie ihre Meinung zu diesen Vorgängen äußern, aber es kann nicht angehen, dass ganze Teams genötigt werden, in dieser Hinsicht sich zu artikulieren.
March: Nun kennen Sie China ja schon sehr lange und auch sehr gut. Kann sich denn Ihrer Meinung nach der Blick der Chinesen auf ihr eigenes Land durch die Olympischen Spiele verändern?
Digel: Ich glaube allein für die vielen Freiwilligen wird sich der Blick auf das eigene Land verändern. Das sind ja mehr als 60.000 junge Menschen, die nun dort als Freiwillige mitarbeiten. Sie kommen in Kontakt mit Gästen aus aller Welt. Sie sehen, wie diese jungen Menschen, die mit ihren Betreuern an den Wettkämpfen teilnehmen, ganz andere Lebensstile leben. Sie sehen deren Gewohnheiten. Allein dieser Austausch zwischen den Kulturen wird eine Veränderung bewirken.
China ist natürlich auch offener geworden allein durch die Tatsache, dass nun viele Wettkämpfe in den vergangenen Jahren zur Vorbereitung dieser Spiele stattgefunden haben. Nahezu jährlich fanden bis zu fünf, sechs Weltmeisterschaften in Peking oder in anderen Städten in China statt und immer wieder begegnete damit China der Welt. Solche Begegnungsprozesse sind der eigentliche Beitrag, den der Sport leisten kann. Mehr kann er nicht bewirken. Man sollte die Wirkung des Sports nicht überschätzen.
Aber man muss auch noch andere positive Prozesse dabei im Blick haben. Für die chinesische Bevölkerung hat sich nun das Umweltproblem als ein nahezu unlösbares Problem herausgestellt angesichts der schnellen Industrialisierung. In China ist durch die Vergabe der Olympischen Spiele eine grüne Politik möglich geworden, wie man sie zuvor nicht für möglich gehalten hätte. Diese grüne Politik zeigt positive Wirkungen. Auf diese Weise ist eine Modellstadt für China entstanden. Man kann zeigen, dass es eine bessere Luft geben kann. Man kann zeigen, dass man ökologisch produzieren kann. Auch da hat dieses Ereignis, diese Olympischen Spiele, einen ganz wichtigen Beitrag zu Gunsten der chinesischen Gesellschaft geleistet. Das wird auch von der Bevölkerung anerkannt. Auch die vielen neuen U-Bahnen, die gebaut wurden – es sind ja drei neue Linien entstanden -, oder auch die infrastrukturellen Maßnahmen, die waren dringend erforderlich. Diese Wohnverhältnisse waren teilweise so desolat, dass man wirklich von Elendsvierteln hat reden müssen. In welcher schnellen Zeit und wie umfassend nun eine Wohnsanierung stattgefunden hat, auch dies ist durchaus im positiven Sinne zu würdigen.
March: Professor Helmut Digel war das, Ratsmitglied im Internationalen Leichtathletikverband. Herzlichen Dank für das Gespräch!
Digel: Bitte schön!